Kelsen

Architekt der österreichischen Verfassung: Zum 50. Todestag von Hans Kelsen

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Hans Kelsens Todestag jährt sich zum 50. Mal. Die Ansichten und Haltungen des „Architekten“ der österreichischen Verfassung könnten aktueller nicht sein. Eine Einordnung.

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Hans Kelsens Todestag jährt sich zum 50. Mal. Die Ansichten und Haltungen des „Architekten“ der österreichischen Verfassung könnten aktueller nicht sein. Eine Einordnung.

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Vor fünfzig Jahren, am 19. April 1973, einem Gründonnerstag, stirbt Hans Kelsen in den USA. In Österreich wird er heute als Architekt der Verfassung gerühmt. Vielen gilt er als idealistisch – aber er ist ein gnadenloser Realist, der allzu einfachen Vorstellungen von Demokratie und Frieden einen entlarvenden Spiegel vorgehalten hat. Seine Zeitgenossen beschreiben Kelsen als einen charismatischen Menschen, seinen Lebensweg als faszinierend und tragisch.

So wird er 1881 in eine jüdische Familie geboren. Sein öffentliches Wirken begann inmitten des Ersten Weltkriegs. Seine Ideen sollten die Debatten über die neue demokratische Staatenwelt prägen. Antisemitismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und Faschismus treiben ihn ins Exil. Mit fast 60 Jahren fängt er in den USA von Neuem an – und wird des Kommunismus verdächtigt und absurderweise vom FBI observiert. Dabei bestätigte sich seine Kritik des Marxismus in der Sowjetunion und im China Mao Tsetungs. Im Alter wird er Zeuge der Bürgerrechtsbewegung – als Kelsen in Berkeley stirbt, kämpft Richard Nixon im Weißen Haus um sein „Watergate“-Überleben.

„Was ist die Wahrheit?“

Hierzulande gehört Kelsen zum Inventar der Republik. Oft scheint es, als wäre er – wie ein mythologischer Gesetzgeber einer antiken Polis – kurz erschienen, um eine Verfassung zu schreiben. Das, was Kelsen gelehrt hat, wofür er sich in engagiert hat, warum er die Erste Republik verlassen musste, wird nur vereinzelt angesprochen. Als junger Mann findet Kelsen die Jus-Vorlesungen fad, bevorzugt Philosophie. Sein erstes Buch schreibt er über Dante. Früh befasst er sich mit Psychologie, wird später ein Freund Sigmund Freuds. Obwohl er zum Christentum konvertiert, macht ihm seine Herkunft die akademische Karriere schwer. Ohnehin wird ihn Religion zeitlebens beschäftigen, und die Frage des Pilatus am Karfreitag, „Was ist Wahrheit?“, wird zentral für sein Wirken.

Es ist aber nicht nur das feinfühlige Interesse Kelsens für alles, was das Leben ausmacht, was sein Denken prägt. Es sind viele praktische Erfahrungen und die Neugier, auch außerhalb der Universität tätig zu sein. Im Ersten Weltkrieg wird er zum Rechtsberater für Kriegsminister Stöger-Steiner. Kelsen ist sich dessen bewusst, was Staatsgewalt bedeutet. Und Krieg, wie er im Juni 1944 schrieb, sei „Massenmord, die größte Schande unserer Kultur“. Im Herbst 1919 wird Kelsen dann von Staatskanzler Renner beauftragt, Entwürfe für eine Verfassung der Republik auszuarbeiten. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern gelingt es Kelsen, nüchterne Formulierungen zu entwerfen, die einen Kompromiss aller Parteien ermöglichen. Er ist sich im Klaren, dass Gesetze nie ausreichen können, um Demokratie und Rechtsstaat zu erhalten. Daher bleibt er auch als Professor und Verfassungsrichter weiter in der Volksbildung tätig.

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