Argentinien im Würgegriff der Drogenmafia

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seit dem Jahr 2000 hat sich in dem von krisen geschüttelten land am Rio de la Plata die Drogenmafia breitgemacht. staat und Polizei scheinen gegen die Banden machtlos.

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seit dem Jahr 2000 hat sich in dem von krisen geschüttelten land am Rio de la Plata die Drogenmafia breitgemacht. staat und Polizei scheinen gegen die Banden machtlos.

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Im August des Vorjahres wurde beim Grenzübergang von Argentinien nach Brasilien in der Grenzstadt Puerto Iguazú "L'ingegnere", der Ingenieur, wie er respektvoll in seiner italienischen Heimat genannt wird, aus einem Autobus geholt und verhaftet. Es handelte sich um den 52-jährigen Pantaleone Mancuso aus Kalabrien, Führer der berüchtigten kalabresischen Mafia "Ndrangheta". Sie wird als die mächtigste internationale Organisation des Rauschgifthandels betrachtet, die 80 Prozent des in Europa konsumierten Kokains in einem Wert von 40 Milliarden US-Dollar jährlich bereitstellt. Im vergangenen Februar wurde er an Italien ausgeliefert, wo ihn ein Prozess wegen mehrfachen Mordes erwartet. Damit war offenkundig, was Geheimdienste, in Argentinien tätige Agenten der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA, schon längst wussten: In dem südamerikanischen Land ist die kalabresische Mafia genauso aktiv wie das "Envigado-Büro" aus Kolumbien und das mexikanische Kartell der "Zetas" - und sie arbeiten sehr produktiv zusammen.

Drittgrößter Drogenexporteur

Nach Angaben der Vereinten Nationen ist Argentinien nach Brasilien und Kolumbien der drittgrößte Drogenexporteur Lateinamerikas. Das Land produziert, handelt und exportiert Drogen wie nie zuvor. Und die Preise für den begehrten Stoff der Träume sind hier so niedrig wie kaum irgendwo anders auf der Welt. Argentinien ist zum internationalen Tummelplatz für Drogenhändler geworden. Aus den Andenstaaten Peru, Bolivien und Kolumbien wird Kokapaste eingeschmuggelt, das Vorprodukt zur Herstellung des Kokains, und dort weiterverarbeitet. Von Argentinien aus verläuft der Transport über den Atlantik nach Afrika und von dort weiter auf dem Seeweg nach Europa oder über Südafrika und Mosambik nach Asien, wo Kokain in der letzten Zeit eine Konjunktur erlebt.

Argentinien war viele Jahre lang an niedrige Kriminalitätsraten gewöhnt, ähnlich wie das geruhsame Nachbarland Uruguay. Doch 1976 kamen die Militärdiktatur und eine Periode der Unterdrückung, in der an die 30.000 Menschen in den Haft-und Folterzentren der Diktatur ermordet oder von Hubschraubern aus über dem offenen Meer abgeworfen wurden.

Das Debakel im Krieg gegen Großbritannien um die Falkland-Inseln von April bis Juni 1982 zwang die Militärs zum Rücktritt. Die Rückkehr zur Demokratie war geprägt von einem trügerischen Wirtschaftsaufschwung und einem enormen Konsumrausch, dem ab dem Jahr 2000 ein schlimmes Erwachen folgte: Das Land stand vor dem Kollaps, ein Präsident nach dem anderen musste zurücktreten oder das Land fluchtartig verlassen. Millionen von Menschen waren über Nacht verarmt, eine bis dahin ungekannte Armutskriminalität breitete sich aus. Mit dem Zerfall der Wirtschaft zerriss auch das soziale Gewebe in der Bevölkerung, ein idealer Nährboden für den Drogenhandel. Unter dem Präsidenten Néstor Kirchner und nach seinem frühen Tod seiner darauffolgenden Gattin Cristina Fernández Kirchner als Staatschefin setzte scheinbar eine Verbesserung der Wirtschaftslage ein.

Doch wo die organisierte Drogenkriminalität erst einmal richtig Fuß gefasst hat, gibt sie ihr Terrain so schnell nicht mehr auf. Wie so häufig in den großen Drogenproduktionsländern der Welt, wurde auch in Argentinien ein Teil der Bevölkerung angesteckt. Vor allem Jugendliche aus den marginalisierten Schichten der größeren Städte. Zum Beispiel das Barrio "1-11-14" in der Hauptstadt Buenos Aires, wo sich kaum "auswärtige" Besucher hinwagen.

In diesem und ähnlichen Vierteln herrschen die Banden der Drogenhändler, oder terrorisieren zumindest die Bevölkerung - der Staat hat sich zurückgezogen. Oder er beteiligt sich in Form ehemaliger Geheimdienstler oder staatlicher Funktionäre an dem großen Kuchen, den der Drogenhandel lukriert. Nach der Erfahrung der argentinischen Soziologin Laura Etcharren sind viele Polizisten bestechlich. Über eine "schwarze Kasse", die mit Schmiergeldern aus dem Drogenhandel und anderen Aktivitäten der organisierten Kriminalität gefüllt wird, fließt Geld in die Beamtenhierarchie.

Die Hauptstadt der Drogen

Rosario, eine drei Autostunden nördlich von Buenos Aires gelegene Provinzhauptstadt mit rund einer Million Einwohnern, ist die vom Drogenhandel am stärksten betroffene Stadt Argentiniens. Im vergangenen Jahr gab es hier über 500 Mordfälle, die direkt oder indirekt mit der Rauschgiftkriminalität in Verbindung stehen. Die meisten Opfer sind Jugendliche, die im Auftrag von Drogenbanden den Markt gegen die Konkurrenz verteidigen. Rosario ist auch die Stadt der so genannten "Küchen" und "Bunker", Häuser oder Lokale, wo der Kunde gegen Bargeld den begehrten Stoff erwerben kann wie Zigaretten oder Lebensmittel. Die drittgrößte Stadt Argentiniens hatte sich schon in den 1930er-Jahren den Spitznamen "Chicago Argentiniens" erworben, als dort der sizilianische Mafioso Juan Galiffi, besser bekannt als Don Chicho, sein Unwesen trieb. Im Kokain-Konsum hat Argentinien mittlerweile den Spitzenplatz in Lateinamerika erobert.

Widerstand gegen diese Zustände regt sich vor allem in der Zivilgesellschaft. Etwa beim Abgeordnete von Buenos Aires, Gustavo Vera. Der Sozialaktivist und Linkspolitiker engagiert sich schon seit Jahren im Kampf gegen Menschen-und Drogenhandel, gegen Kinderausbeutung und Sklavenarbeit. Im Krisenjahr 2001 gründete er die "Stiftung Alameda", mit der er die kriminellen Machenschaften von Personen des öffentlichen Lebens, darunter auch aus dem staatlichen Bereich, aufdeckte. Im Dezember 2013 wurde er auf der Liste des Mitte-Links-Bündnisses UNEN ins Parlament gewählt. Wegen fehlender Dialogbereitschaft verließ er im Vorjahr diese Allianz und gründete eine neue politische Partei namens "Gemeinwohl". Der Name geht auf einen Ausspruch eines langjährigen engen Freundes von Vera zurück, dem ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio, heute besser bekannt als Papst Franziskus: "Die Macht ist Gemeinwohl. Wenn sie dem Eigenwohl dient, ist es Korruption".

Appele des Papstes

Gustavo Vera gelangte im vergangenen Februar unabsichtlich in die Schlagzeilen der Medien, auch der internationalen. Der Papst hatte ihm nämlich ein Mail folgenden Inhalts geschrieben: "Lieber Bruder. Danke für Dein Schreiben. Ich sehe, wie Du mit Volldampf unermüdlich tätig bist. Ich bitte Gott darum, dass er Dich beschütze. Hoffentlich können wir die Mexikanisierung Argentiniens noch rechtzeitig vermeiden. Ich habe mit einigen mexikanischen Bischöfen gesprochen und erfahren, dass die Situation dort schrecklich ist."

Mit "Mexikanisierung" meinte der Papst die vom Drogenhandel ausgehende Gewaltwelle, die in Mexiko seit 2006 über 100.000 Todesopfer gekostet hat. Vera stellte das päpstliche Schreiben auf seine Homepage, wo es auch mexikanische Regierungsstellen zu Gesicht bekamen. Das Außenministerium Mexikos schickte dem Vatikan eine Protestnote, in dem es sich über die "Stigmatisierung" des Landes durch den Papst wandte. Dieser stellte sich jedoch auch weiterhin hinter seinen Freund. In der dritten Aprilwoche lud er ihn zu einem Kolloquium über Drogen-und Menschenhandel in den Vatikan ein.

Am 25. Oktober werden in Argentinien Präsident und Parlament neu gewählt. Die gegenwärtige Staatschefin Cristina Fernández Kirchner darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten; sie hätte auf Grund der Skandale der letzten Zeit ohnehin kaum Chancen auf einen Wahlsieg. Durch den von ihr gepflegten rhetorischen Linksdiskurs kam auch die argentinische Linke in Misskredit, verstärkt durch die Uneinigkeit in den eigenen Reihen. Von den drei aussichtsreichsten Kandidaten, die alle aus dem politischen Establishment und aus dem Mitte-Rechts-Spektrum kommen, Mauricio Macri, Daniel Scioli und Sergio Massa, wird wohl einer in einer Stichwahl zum nächsten Präsidenten Argentiniens gewählt werden. Die Gefährdung des Landes durch den Drogenhandel war bis jetzt im Wahlkampf noch kein Thema -daran wird sich wahrscheinlich auch nichts ändern.

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