Argwohn ist die erste Bürgerpflicht

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Militärische Gewalt kann vielleicht das momentane Morden beenden, aber Konflikte löst man damit nicht.

Das Ende des Ost-West-Konflikts hat die militärischen Machtmittel entfesselt. Der Einsatz von Militär erscheint weniger gefährlich, da weniger eskalationsträchtig. Gleichzeitig brechen vielerorts Bürgerkriege auf, die vorher von der jeweiligen Blockführungsmacht eingehegt wurden. Die Bilder massiver Menschenrechtsverletzungen erreichen Amtsstuben und Stammtische, und es ertönt Kriegsgeschrei wie: "Sie verstehen keine andere Sprache".

Die militärische Intervention wird "humanitär" genannt, der Krieg "gerecht". Wohlgemerkt, so ethisch fragwürdig diese Begriffe zunächst scheinen, inakzeptabel ist, dass Staatsführer die Bevölkerung niedermetzeln und sich hinter ihrer Souveränität verstecken, inakzeptabel ist ebenso, sich einfach als nicht zuständig zu erklären. Schuldig macht sich allemal auch der, der zuschaut. Aber kann der Einsatz militärischer Mittel Konflikte wirklich lösen, oder ist es nur einfacher - und demonstriert viel nachdrücklicher politische Entschlossenheit - gordische Knoten zu zerschlagen statt sie langwierig und unspektakulär aufzudröseln? Und weiter: darf die militärische Intervention fallweise, das heißt interessenabhängig erfolgen? Verstecken sich nicht hinter der neuen Moralität die altbekannten weltpolitischen Interessen?

Unübersehbar scheint inzwischen zu sein, dass militärische Gewalt vielleicht das momentane Morden beendet, aber Konflikte nicht löst; stattdessen selbst verletzt, tötet und zerstört, dem Konflikt die eigene Auffassung von Gerechtigkeit überstülpt und damit einen Zustand stabilisiert, mit dem keiner der Beteiligten leben kann.

Das gilt für Kosovo ebenso wie für die Versuche, terroristische Attentäter zu bekämpfen ohne die Zustände ins Visier zu nehmen, die immer wieder neu Menschen in den Fanatismus treibt - wobei zunächst unerheblich bleibt, ob man ihre Auffassung der Dinge teilt oder nicht. Dies gilt es zu klären.

Doch Militär als letztes Mittel, auch unter Inkaufnahme von Zerstörung und weiteren Toten? Nicht um politische Probleme zu lösen, sondern um kurzfristig blutige Problemlösungen zu verhindern? Unproblematisch _ und wohl auch nur modellhaft beschreibbar - sind die beiden Positionen am äußeren Rand des Antwortspektrums. Radikale Pazifisten lehnen militärische Gewaltanwendung in jedem Falle ab, die "realistische" Position in der Theorie der Internationalen Politik stellt kurzgefasst alle verfügbaren Instrumente in den Dienst staatlicher Macht und Interessenpolitik. Dazwischen gibt es keine Position, die für sich in Anspruch nehmen kann "richtig" zu sein. Bei unserer eigenen Entscheidung hilft uns vielleicht die Betrachtung der Kriterien, die für den "gerechten Krieg" aufgestellt worden sind, diesen nicht zu rechtfertigen, sondern viel eher Kriege zu verhindern.

Es muss "einen gerechten Grund" geben, schweres Unrecht auf Seiten nur einer der streitenden Parteien. Eingreifen darf nur eine "legitime Autorität", früher die von Gott eingesetzte Obrigkeit, heute völkerrechtlich eindeutig die UNO. Krieg muss das "letzte Mittel" sein, vorher müssen alle anderen mit ganzem Ernst und ganzer Kraft unternommenen Verständigungsversuche fehlgeschlagen sein, also weder Scheinverhandlungen noch spontane Rache. Die "rechte Gesinnung" und die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" verlangen eine ständige Überprüfung, ob die eingesetzten Mittel das Ziel wirklich erreichen helfen und ob nicht gewaltärmere Mittel möglich, und damit geboten sind.

Sind diese Kriterien bisher wirklich berücksichtigt worden, oder wurde nicht eher mit der weltpolitisch unangemessenen aber so plausibel erscheinenden Regel "wer nicht hören will, muss fühlen" argumentiert. Und eben diese unterschwelligen Appelle an Alltagserfahrungen sind das Hauptproblem bei unserer Meinungsbildung. Wenn andere als ethische Beweggründe hinter der Kriegführung stecken, wie erfahren wir sie? Wie viele gezielte Falschmeldungen bereiten den Krieg vor: bewusst falsche Schätzungen, gestellte Bilder, unterschlagene Informationen? Argwohn ist die erste Bürgerpflicht, wenn jemand aufruft zum Krieg.

Die Autorin ist Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck.

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