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Auf dem Weg zum Westminster-Modell

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Proporzverfassungen sollten die Stabilität der Demokratie gewährleisten. Heute werden sie eher als Zwang zur Koalition empfunden.

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Proporzverfassungen sollten die Stabilität der Demokratie gewährleisten. Heute werden sie eher als Zwang zur Koalition empfunden.

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In sieben der neun österreichischen Rundesländer schreiben die Landesverfassungen vor, daß der Grundsatz der Verhältniswahl nicht nur bei der Wahl des Landtages, sondern auch bei der - durch den Landtag vorzunehmenden -Wahl der Landesregierung zu gelten hat. Das führt zu dem Ergebnis, daß in diesen lündern alle im Landtag vertretenen Parteien ab einer bestimmten Mindestgröße auch in der 1 Landesregierung vertreten sind.

Die Vorteile dieser „Proporzverfassungen” sind, daß auch kleinere Parteien über ihre Reteiligung an der Regierungen den Genuß von Informationen und Gestaltungsmöglichkeiten kommen, von denen sie sonst ausgeschlossen wären. Die Verfassung erzwingt eine Zusammenarbeit, die sonst so möglich, aber eben nicht sicher wäre.

Entgegen einer weitverbreiteten Annahme gehen die Proporz Verfassungen der Länder nicht auf die Anfänge der Zweiten, sondern auf die der Ersten Republik zurück. Die 1 Landesverfassungen waren Ausdruck eines quasi-rätedemokrati-schen Denkens, das Regierungen -wie etwa nach der provisorischen Rundesverfassung 1919 - nur als Vollzugsausschüsse des Parlaments sehen wollte. Und überdies sollten sie mithelfen, den Graben zwischen dem „roten” Wien und den „schwarzen” Ländern zu überbrücken. Tatsächlich waren die Landesregierungen am Ende der Ersten Republik auch die letzten Rastionen eines Minimalkonsenses zwischen rechts und links. Die Heimwehren in den meisten christlich-sozial dominierten Ländern machten deshalb auch gegen christlich-soziale Landeshauptleute Front.

Eben deshalb gab es aber auch am Reginn der Zweiten Republik gute Gründe, die Proporzverfassungen beizubehalten. Erst mit der Aufweichung des starren Zweieinhalb-Par-teiensystems werden die Nachteile dieses Modells immer deutlicher: Proporzregierungen werden zunehmend als Koalitionszwang verstanden, und das Fehlen einer wirklichen Opposition wird beklagt.

Dafür kann die Situation in Tirol ein Reispiel sein: Alle vier im Landtag vertretenen Parteien stellen seit 1994 Mitglieder der Landesregierung. Es gibt daher in Tirol keine Opposition im Sinne parlamentarischer Systeme, sondern nur Regierung. Ob SPÖ, FPÖ und Grüne wollen oder nicht - sie müssen mit der dominanten ÖVP regieren.

Das Fehlen einer parlamentarischen Opposition wird noch durch eine Inkonsistenz der Proporzverfassungen ergänzt, die sich im Salzburger Verfassungskonflikt äußert: Trotz Proporzverfassung kann die Mehrheit des Landtages einem Mitglied der Landesregierung das Mißtrauen aussprechen und es so „stürzen”. Das ist ein Widerspruch: Entweder wird ein Landesrat (wie Schnell) als Repräsentant seiner Partei angesehen, auf dessen Restellung diese Partei einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat - dann dürfte es eigentlich kein Recht der Landtagsmehrheit auf ein Mißtrauensvotum geben; oder es besteht eine Rindung jedes Regierungsmitglieds an die Landtagsmehrheit - dann aber macht die Proporzverfassung keinen Sinn.

Die Landesverfassungen wollen beides: die dem parlamentarischen System immanente politische Deckung zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung; und die dem parlamentarischen System widersprechende Proporzregelung, die der Mehrheit des Landtages das Recht nimmt, über die gesamte Regierung zu verfügen.

Dieser Widerspruch wird besonders deutlich, weil neue Parteien (Grtine, Liberale) und eine neu formierte Partei (FPO) sich (in durchaus unterschiedlichen Formen) als Oppositionsparteien gerie-ren. Was auf Bundesebene in die dort konsequenter umgesetzte Logik eines parlamentarischen Systems paßt, das ist in der Widersprüchlichkeit der Landesverfassungen ein permanenter Konfliktfall: Sind Schnell und Achatz oder auch Lichtenberger nun Regierung, oder sind sie Opposition? Die Antwort spiegelt die Inkosi-stenz der Verfassungen wider: Sie sind Regierung, sie sind aber gleichzeitig auch Opposition.

Deshalb spricht alles dafür, der In-konsistenz der Proporzverfassungen ein Ende zu bereiten und (durchaus in Parallele zur Bundes- aber auch zur Vorarlberger Landesverfassung) das Modell der Westminster-Demokratie konsequent umzusetzen. Dies bedeutet freilich nicht nur die Abkehr von der Proporz- und die Einführung einer Majorzregierung - also einer Re Stimmung, die es der Mehrheit des Landtages überläßt, die gesamte Landesregierung zu bestellen —, dies bedeutet auch, daß zwei weitere Schritte gesetzt werden müßten:

■ Aufwertung der Opposition im Landtag: den parlamentarischen Minderheiten müssen Kontrollrechte eingeräumt werden, die nicht geringer entwickelt sein dürften als die der Opposition im Nationalrat.

■ Einführung eines klaren Ressortprinzips auf Regierungsebene: Landesräte sollten klar umrissene, logisch verbundene Kompetenzen erhalten, für die sie auch die volle politische Verantwortung tragen. Das würde vor allem auch implizieren, daß die Landesregierung nur mehr einstimmig Reschlüsse fällt - und daß nicht, wie derzeit, ein Regierungsmitglied durch einen Mehrheitsbeschluß der Landesregierung zu einer Politik gezwungen werden kann, die es eigentlich ablehnt.

Die Proporzverfassungen sind zwar kein Produkt des „Geistes von 1945”. Aber sie haben wie viele Produkte dieses Geistes den Wind des Wandels gegen sich. Und wie diese haben auch die Proporzverfassungen historische Verdienste. Proporzver-Jassungen freilich waren nie Selbstzweck, sondern Mittel zur Stabilisierung und zur Qualitätssicherung der Demokratie. Vieles spricht dafür, daß diesem Zweck heute andere Instrumente besser dienen können.

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