Auf der Suche nach der goldenen Mitte

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Der Fremdenverkehr hat sich in Jordanien seit dem Friedensschluß mit Israel zum zweitwichtigsten Wirtschaftssektor gemausert. Allein: Diese Stütze ist vielfach vom Einknicken bedroht. Just der westliche Gönner-Freund USA könnte das große Geschäft verderben.

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Der Fremdenverkehr hat sich in Jordanien seit dem Friedensschluß mit Israel zum zweitwichtigsten Wirtschaftssektor gemausert. Allein: Diese Stütze ist vielfach vom Einknicken bedroht. Just der westliche Gönner-Freund USA könnte das große Geschäft verderben.

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Felsenstadt Petra, Taucherparadies Rotes Meer, Wüstenzauber Wadi Ramm - Jordanien besitzt Touristenattraktionen von Weltruf. Und die ehrgeizige Regierung setzt alles daran, weitere Fremdenverkehrsmarken zu positionieren. Beim Toten Meer ist das gar nicht mehr nötig. Hier wird eifrig die Hotel-Infrastruktur für Gesundheitstouristen ausgebaut.

Große Hoffnungen setzt man auf jüngste archäologische Funde am Jordan. Ein üppig grünes Neben-Wadi beherbergt einen ganzen Komplex von frühchristlichen Kirchen, Klöstern und Nebengebäuden. Hier wurde - meinen zumindest die Verantwortlichen, wenige Monate vor dem Heiligen Jahr 2000 - Jesus von Johannes getauft. Sie berufen sich dabei auf das Evangelium, das den Ort mit "Betanien, auf der anderen Seite des Jordan" angibt (Joh 1, 28). Es könnte aber auch direkt am Haupt-Fluß, bei weiteren freigelegten Kirchen-Ruinen geschehen sein. "Die Leute werden hier in Elektroautos entlangfahren und können sich am Fuß der Ausgrabungen taufen lassen", träumt Tourismus-Minister Akel Biltaji im Gespräch mit der Furche vom großen Geschäft mit den Pilgern. "Die Arbeit der Archäologen dauert sicher noch Jahre", dämpft er aber manch überzogene Erwartung. Im übrigen, zeigt sich der Minister an Nachhaltigkeit interessiert, wolle man die Fundstätten nicht bebauen. Besucher, die zu Tausenden auf den Ruinen herumtrampeln, soll es nicht geben.

Trotz dieser Wachstumspolitik mit Augenmaß ist die Devisen-Quelle Tourismus in Gefahr. "Unser größtes Problem ist, daß wir im Mittleren Osten liegen", bringt es ein Tourismus-Verantwortlicher auf den Punkt. "Wir haben ein Image-Problem", gesteht denn auch Biltaji auf einer im Dezember von der Welt-Tourismus-Organisation veranstalteten Tagung in Amman (Thema: "Tourismus und Medien: Destinationen in Mittelost und Nordafrika ein Image geben"). So opportunistisch die Abgrenzung gegenüber so manchem Nachbarn auch scheinen mag: Der Zusammenhang zwischen einer größeren Krise in der Region und massiven Einbußen beim kleinen, unbeteiligten Jordanien ist belegt. Im Februar des Vorjahres etwa, als sich die Spannungen zwischen dem Nachbarland Irak und den Vereinten Nationen zuspitzten, ging der Tourismus um ein Fünftel zurück.

Meldungen über einen "Showdown am Golf" torpedieren - zumindest in Übersee - den Kern jordanischer Selbstdarstellung: die mit Argusaugen gehütete Stabilität. Der kleine Pufferstaat ist schon rein geographisch in einer heiklen Situation zwischen Israel und Syrien, zwischen dem US-Stützpunkt Saudi-Arabien und Saddam Husseins Irak. Dazu kommt noch das Palästinenser-Problem: Palästinenser sind an sich ein Teil der jordanischen Bevölkerung, viele von ihnen leben aber noch immer in - nach wie vor "Camps" genannten - Flüchtlings-Vierteln am Rand der Städte. Zusammen mit den seßhaft gewordenen Beduinen in den oft westlich anmutenden Stadtteilen und Siedlungen bilden sie eine sehr junge Bevölkerung mit 40 Prozent unter 15 Jahren.

Westliche Hilfe Auch bei der Beschäftigungsfrage gelingt ein gewisser Ausgleich. Bergbau, Tourismus und Landwirtschaft, die drei größten Sektoren, können nicht alle 4,5 Millionen Bürger beschäftigen. Daher fängt der öffentliche Dienst mehr Arbeitskräfte auf und soziale Probleme ab denn anderswo.

Das kostet teures Geld, das nicht zu knapp aus dem Westen fließt. Deutschland erließ Jordanien kürzlich die Schulden, US-Außenministerin Madeleine Albright macht sich praktisch für eine Verdoppelung der US-Hilfe stark. Zu 75 Millionen US-Dollar Militär- und dem Doppelten an Wirtschaftshilfe sollen heuer zusätzliche 200 Millionen "Sicherheits-Unterstützung" nach Amman gepumpt werden. Belohnung für internationales diplomatisches Geschick, aber vor allem auch für nationalen Interessenausgleich durch König Hussein, der Verantwortliche nicht nur mit seinem verschmitzten Lächeln gewinnt. (Welch Unterschied zur Selbstdarstellung des schmallippig-säuerlich grinsenden Hafez al-Assad in Syrien!) Das austarierte labile Gleichgewicht stören selbst die kurz gehaltenen Islamisten kaum (eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit dem syrischen Spitzel-Regime). Zwar protestierten bei den jüngsten amerikanisch-britischen Luftschlägen gegen Bagdad auch Jordanier "aus allen Lebensbereichen" (wie die "Jordan Times" tagelang stereotyp formulierte); darunter auch führende Moslembrüder. Doch im Vergleich zum Februar 1998, als Demonstranten "brutal niedergeschlagen wurden" (ein europäischer Beobachter) - Bilanz: ein Toter - und im Vergleich zu anderen arabischen Gebieten verliefen die antiwestlichen Proteste ruhig. Wohl auch dank massiven Einsatzes der Sicherheitskräfte, die etwa protestierende Studenten nicht den Campus verlassen ließen.

Noch vor Bekanntwerden dieser Proteste trafen die ersten Stornos im Tourismusministerium ein. Vier Tage US-Flieger über dem Irak verunsicherten einzelne Jordanien-Veranstalter in Großbritannien, aber vor allem in Japan. "Die Japaner", schmunzelt ein Beamter hinter vorgehaltener Hand, "tragen nicht einmal 0,0001 Prozent Risiko."

Doch auch bei einem umfassenden Nahost-Frieden droht der Hauptattraktion für Kultur- und Natur-Touristen Gefahr: In Petra, jener aus dem Fels geschlagenen Hauptstadt der geheimnisvollen Nabatäer, ist der Verfall der Fassaden und Tempel längst in vollem Gange. Kulturhistorisch Einmaliges und architektonisch oft Gewagtes verwittert. Von ursprünglich 3.000 Gebäuden sind gerade noch 70 erhalten. Und die zerbröseln mit der Zeit durch Wind und Wetter. Das Paradoxe daran: Just die erosionsbedingte Verfärbung des vorwiegend rötlichen Sandsteins in knallgelbe, blaue, ja violette Streifen und Kreise fasziniert die Besucher.

Helge Fischer, deutscher Denkmalschützer und seit fünf Jahren für die GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) in Petra, will diese Freude niemandem nehmen. Um die Stadt aus Stein dennoch zu retten, hat er mit einem Team lokaler Fachleute in jahrelangen Laborexperimenten einen speziellen Reparaturmörtel entwickelt. Behutsam an erosionsexponierten Stellen des Weltkulturerbes angebracht, soll er weiteren Verfall verhindern. Anders als bei früheren Versuchen soll nicht mit Zement fürs Auge geschönt werden, was eben schon alt und bar der ursprünglichen Schutzschicht ist. Der neue Mörtel läßt den Feuchtigkeitshaushalt zwischen Fels und exponierter Fassade unbeeinflußt. Ältere Methoden können dagegen nach 20 Jahren dazu führen, daß wegen Feuchtigkeitsstau "die ganze Fassade runterkommt" (Fischer).

Goldgräber-Stimmung Hinter dem Entwicklungsprojekt steht das Ziel, Jordanien beim Aufbau einer Institution für Denkmalschutz zu helfen. Ein Gegengewicht zur Goldgräber-Stimmung, wie sie etwa dieses Tourismusziel Nummer eins umgibt. Die Anzahl der Hotels hat sich in fünf Jahren verzehnfacht. "Internationale Erfahrungen zeigen, daß es eine Tendenz zum Disneyland gibt, wenn das große Geld winkt", weiß Fischer. Einzelne Unternehmer träumten gelegentlich davon, durch die sanfte rosafarbene Schlucht von Petra eine Eisenbahn für fußlahme Besucher zu legen.

"In Petra wollen wir keinen Massentourismus", bekräftigt Biltaji den politischen Willen zum Augenmaß. Nachsatz: "In Aquaba am Roten Meer aber sehr wohl." Allein: Dagegen stehen andere Interessen. Wo Taucher aus aller Welt unter bunten Fischen und über Korallenriffs paddeln, könnte statt weiterer Hotels eine Raffinerie samt Zollfreizone gebaut werden. Schon heute laufen mehr als die Hälfte der Ein- und Ausfuhren Jordaniens über diesen Hafen, den einzigen Meereszugang des Landes. Bei weiterer Industrialisierung ginge Aquaba wohl als Strand- und Tauchdestination baden. Im Nu flögen die Devisenbringer dann wohl Israel und Ägypten zu. Denn auch deren Rot-Meer-Küsten laden zum Baden.

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