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Auf fremde Kosten zechen

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Die Sozialpolitik soll sich, wenn sie zur Gesellschaftspolitik auf-r steigen will, weiterhin aüsdehnen. Freilich kann dieses Wachstum nur in dem des Sozialproduktes erfolgen. Das Prinzip einer Einkommensverteilung auf ‘ einer zweiten Ebene durch die Apparaturen der Sozialpolitik darf nicht als stille Enteign nung oder als Bremse für unser Wirtschaftswachstum verstanden werden.

Die Sozialpolitik hat heute den Charakter eines gesellschaftlichen Lastenausgleiches, einer horizontalen wie vertikalen Solidarität. Des einen Last wird von allen anderen mitgetragen. !

¡.’In .einer solchen. Eityatiopifiste der Alkpholkoasum, zwar noo immer eine Privatangelegenheit und für viele eine Demonstration von Konsumfreiheit; seine Folgen aber, die „Zeche“ eines übermäßigen Verbrauches von Alkohol, müssen alle mitzahlen. Der Gedanke der Solidarität wird wie sooft mißbraucht.

Vor allem bei den Folgen des Alkoholmißbrauches ‘ werden der ‘Sozialpolitik horrende Aufwenduh- gen zugemutet; die haben nichts mehr mit den Standardrisiken zu tun, deren Kosten die Einrichtungen der Sozialpolitik übernehmen müssen.

Wie sehr die sozialpolitischen Ein- , richtungen an den Folgen einer mangelnden Konsumdisziplin zu ..tragen haben, beweist uns ein sehr instruktiver Artikel von Dr. A. E. ,Findeis.’der jüngst in der „Sozialen Sicherheit“ (Nr. 10 1963) erschien!

Acht Milliarden vertrunken

Im Jahre 1962 wurden in unserem Land nachweisbar acht Milliarden für Alkoholika ausgegeben. In Wirklichkeit war die Summe erheblich höher, da es sich bei dem genannten Betrag wohl nur um die fiskalisch erfaßter) Umsätze ¡handeln kann, nicht aber um den Eigenverbrauch und jene ‘Umsätze, deren steuerliche Erfäßbarkeit nicht möglich gewesen ist. Der Konsum an Alkohol wächst. Im Jahre 1938 wurden in Österreich (sicher kein repräsentatives Beispiel) 120 Flaschen Whisky konsumiert im Jahre 1960 waren es bereits- 120.000, eine Demonstration unseres nachdrücklichen Bekenntnisses zu westlicher Lebensweise. Uber den Wodkakonsum der anderen, die sich an den nordöstlichen Lebensstil anzupassen suchen, ver-j (‘ mag die Statistik, die insoweit bedenklich einseitig ist, pichte, zu &erjff! richten. Im Jahre 1950 verbrauchte man in Österreich fast1 20 Millionen Liter Spirituosen, zwölf Jahre später sind es über 40. Die Summe aller jener Alkoholika, die eine hohe Behörde in den statistischen Griff zu bekommen vermochte, belief sich im Jahre 1960 auf etwa 776 Millionen Liter. Wenn auch eine Addition der Verbrauchsmengen verschiedener Alkoholsorten keine eindeutige Aussage zu bieten vermag, ist. eif doch ein ernsjer Hinweis auf die fortschreitende’Alkoholisierung un-! seres Volkes, wenn wir erfahren, daß’ wir je Kopf der Bevölkerung (Kinder ‘mitgerechnet) in einem Jahr über 100 Liter alkoholhaltige Getränke verbraucht haben. (Üie Zahlen werden nur wenig freundlicher, wenn wir den Konsum der Auslandsgäste abziehen.) Die gleichen Personen, die eine kleine Erhöhung des Milch- ‘ Preises nur mit’ lautem Protest ? quittieren, sind bereitwillig geneigt, jede Preiserhöhung von Alkohol mitzumachen. Wie Dr. Findeis feststellt, führt eine Steigerung der Alkoholpreise zu keiner Reduktion der Nachfrage, die in dieser Hinsicht eine unelastische wie in England beim Tee ist.

Wir alle zahlen mit!

Die Sozialversicherungseinrichtungen sind notleidend geworden. Der Staat und die im Erwerbsprozeß Tätigen werden gezwungen, ihre Beiträge zu erhöhen. Bei allem Verständnis für eine dynamische Rente oder für die Notwendigkeit, die medizinische Fürsorge auszubauen, können wir nicht begreifen, warum auch jene Kosten, und dies in einem steigenden Umfang, von uns allen mitgetragen werden sollen, die durch Selbstverschulden von Personen im Bereich der Unfall- und der Krankenversicherung notwendig geworden sind.

Aus diesem Grund ist der Vorschlag, den einmal die Arbeiterkammern machten, aus Abgaben auf den konsumfertigen Alkohol einen Teil der Krankenkassenaufwendungen zu finanzieren, zumindest erwägenswert. Im Jahre 1962 brachten übrigens die Alkoholsteuern zirka 1370 Millionen an Erträgnissen (zirka 17 Prozent des zu versteuernden Umsatzes) ein. Manche Alkoholika werden übrigens steuerlich weniger belastet als nichtalkoholische Getränke. Bier ist beispielsweise mit keiner Getränkesteuer belastet, dagegen wohl die Fruchtsäfte und Mineralwässer. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, daß die Ge-

tränkesteuer eine Gemeindeabgabe ist, auf welche die jeweilige Gemeinde auch verzichten könnte, wenn sie wollte! ‘ .

Vor allem Jugendliche

Österreich hat derzeit 280.000 bis

420.0 Alkoholkranke, die meist von den Sozialversicherungseinrichtungen betreut werden und werden müssen. In den Trinkerheilstätten werden im Jahr nicht weniger als 3000 Kuren mit einer Mindestdauer von sechs Monaten gewährt. Auf der anderen Seite wird es immer schwieriger, Schwerstkranke in einem Spital unterzubringen. Das ist die Groteske: Über ein halbes Jahr dauernde kostspielige Sorgemaßnahmen für Menschen, die mißbräuchlich die Konsumfreiheit genutzt haben, und auf der anderen Seite faktisch Aufnahmesperre für Kranke, die, nimmt man sie in Spitalspflege, oft nur auf den Gängen der Krankenhäuser unterzubringen sind.

Der übermäßige Alkoholkonsum ist vor allem bei Jugendlichen anzutreffen. Regelrechte Alkoholvergiftung bei jungen Menschen hat sich in Österreich in den letzten Jahren versechsfacht. Kein Wunder! Jene Einrichtungen, die man beschönigend „Informationsträger“ nennt, und die oft aus Steuermitteln errichteten Vergnügungsinstitutio- nen tun alles, um den Alkoholkonsum als Bezeugung legitimen, wenn nicht heldischen Verhaltens hinzustellen.

Wegen des bedenklichen Anwachsens der Arbeitsunfälle als Folge eines unangemessen hohen

Alkoholkonsums hat sich die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt bereits entschlossen. Rentenanträge abzulehnen, wenn der Unfall nicht auf betriebliche Umstände zurückzuführen war. Diese Maßnahme ist an sich richtig, bedeutet aber wahrscheinlich nur die Abwälzung einer Last von einer Anstalt auf die andere oder auf die Fürsorge.

Unpopuläre Vorschläge

Die Forderung, daß jene, die durch den Mißbrauch von Alkohol der Sozialversicherung Lasten aufbürden, über eine Zwecksteuer eine Art Voraus auf jene Kosten überweisen sollen, die sie einmal verursachen könnten, ist durchaus richtig. Man darf aber nicht übersehen, daß durch eine solche Zwecksteuer auch jene belastet werden, die Alkohol in mäßigen Mengen oder gar nicht konsumieren.

Wenn es auch unpopulär ist, sollten die Sozialversicherungseinrich- tungen doch auch erwägen. Personen, die durch eigenes Verschulden Kosten herbeiführen, zu einer Selbstbeteiligung zu veranlassen. Wenn jemand sechs Monate der Allgemeinheit zur Last fällt und ihr alle Aufwendungen für eine Entwöhnungskur aufhalst, ist es gewiß kein unbilliges Verlangen, den einmal Gesundgewordenen alle oder einen Teil der Kurkosten tragen zu lassen. Derzeit ist die Gewißheit, bei Alkoholschäden devotest von den Sozialversicherungseinrichtungen betreut zu werden, geradezu eine Einladung, sich keine Hemmungen aufzuerlegen. Auch das ist provozierende Ausbeutung!

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