Auf gefährlichere Routen gedrängt

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Der Papst, der UN-Flüchtlingshochkommissar und der deutsche Innenminister sind sich einig: Die Hauptschuldigen an den Flüchtlingstragödien im Mittelmeer sind die Schlepper. "Wir müssen diesen verantwortungslos handelnden Schleusern und Schleppern ihr menschenverachtendes und kriminelles Handwerk legen", sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als Reaktion auf das letzte "Großunglück" mit über 200 Ertrunkenen vor der libyschen Küste. UNHCR-Chef Antonio Guterres meinte nach der Havarie letzte Woche, dass derzeit wieder die "Schmuggel-Saison" beginne. Und Benedikt XVI. mahnte in seiner Palmsonntagspredigt, nach dieser Tragödie nicht zur Tagesordnung überzugehen, sondern "gemeinsame Strategien und humanitäre Maßnahmen gegen den skrupellosen Menschenhandel" zu entwickeln.

Jetzt ist es aber keineswegs so, dass es keine europäischen Strategien zur Eindämmung dieser Flüchtlingsüberfahrten gibt. Die EU setzt derzeit vor allem darauf, durch strengere Kontrollen ihrer Grenzschutzagentur Frontex das Ablegen der Boote an den afrikanischen Küsten möglichst zu verhindern. Über den Erfolg dieses Vorhabens zeigt man sich aber selbst in Brüssel ungewiss: "Es gibt einfach keine Wunderlösungen", gibt durchaus selbstkritisch der EU-Kommissionssprecher Michele Cercone zu bedenken.

Schlepper bekämpfen, ist zu wenig

Um das Flüchtlingssterben im Mittelmeer einzubremsen, greifen jedoch "humanitäre Maßnahmen gegen den skrupellosen Menschenhandel" zu kurz. Schlepper sind ein Übel, aber sie nehmen nur einen Platz in einem unmenschlichen Orchester ein. Humanitäre Maßnahmen gegen die skrupellose Ignoranz und noch mehr die skrupellose Abschottungspolitik seitens der Europäischen Union sind genauso notwendig.

So wie im Kampf gegen den Terror, darf Europa auch in der Abwehr von illegaler Migration nicht seinen Wertekodex ignorieren. Ansonsten stellt man sich auf eine Stufe mit repressiven Regimen oder Schlepperorganisationen, die aus der Not von Flüchtlingen Kapital schlagen. Zweitere sollen im vergangenen Jahr über vier Milliarden Euro an der Schlepperei von Küste zu Küste verdient haben. Aber auch für die nordafrikanischen Staaten ist der Flüchtlings- und Migrantenzug ein Geschäft.

Angelo Bonelli, italienischer Spitzenpolitiker der Grünen, wirft Libyen vor, "Migranten auszunutzen, "um Milliarden von der italienischen Regierung zu erhalten". Im Sommer letzten Jahres hat Italiens Premier Silvio Berlusconi mit Libyens Staatschef Muammar Gaddafi mehrere Milliarden Euro Entschädigung für die italienische Kolonialzeit von 1911 bis 1942 in Libyen abgeschlossen. Wichtigster Teil des Abkommens ist eine bessere Zusammenarbeit beider Länder im Kampf gegen die illegale Einwanderung. Ohne diese Entschädigung wollte Libyen weiterhin die Abfahrt von Flüchtlingsbooten an seinen Küsten ignorieren.

Lukrativer Faustpfand Migranten

Doch seit das Geld überwiesen wird, ist Bewegung in die libysche Küstenwache gekommen. Ab 15. Mai sollen nun italienische Schiffe mit libyschem Personal die Küsten überwachen. "Wir erhoffen uns viel von der Zusammenarbeit mit Libyen", sagt Italiens Innenminister Roberto Maroni.

Judith Gleitze von der deutschen Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl", stationiert auf Sizilien, ist weniger optimistisch: Sie weiß von sechs Booten, die zum Einsatz kommen, "was sollen die denn groß ausrichten?"

Gleitze berichtet auch davon, dass im Gegensatz zu den vielen kleinen Booten in den vergangenen Jahren derzeit vor allem größere Modelle mit hunderten Menschen an Bord zum Einsatz kommen. Aus eigener Erfahrung weiß sie aber, dass die Kapitäne dieser Schiffe nicht Schlepper im klassischen negativen Sinn sind, sondern sehr oft selbst Migranten, die sich mit ihrer mehr oder weniger ausgeprägten nautischen Erfahrung die eigene Überfahrt erarbeiten.

Die größeren Schiffe sind jedenfalls ein Indiz dafür, dass Europas Abwehrmechanismen greifen und die Flüchtlinge auf längere und gefährlichere Routen abgedrängt werden. Teils auch unter Gewaltandrohung von Frontex-Schiffen. "Das ist schwer zu belegen", sagt Gleitze, "aber es passiert, es gibt Zeugen dafür." (wm)

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