Aus Angst vor der Signalwirkung

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Ein Drittel der Asylwerber ist gezwungen unterzutauchen. Kein Umstand, der Integration fördert.

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Ein Drittel der Asylwerber ist gezwungen unterzutauchen. Kein Umstand, der Integration fördert.

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Die meisten Bewohner von "The House", einer Volkshilfe-Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Linz sind zufällig nach Österreich gekommen. "Die wissen oft gar nicht, wo sie sind, Hauptsache ihr Ziel Europa haben sie erreicht", erklärt Volkshilfe-Mitarbeiter Christian Schörkhuber beim Rundgang in der Zufluchtstätte. Derzeit warten hier 28 Jugendliche aus 13 Nationen auf den Abschluß ihres Asylverfahrens.

Mit diesem einheitlichen Bild von Europa sind die hilfesuchenden Flüchtlinge der Zeit weit voraus. Gerade was den Bereich Asylpolitik anbelangt, präsentiert sich die EU keineswegs so homogen, wie sie es selber gerne hätte, und die Asylsuchenden erwartet, je nachdem wo auf dem Kontinents sie stranden, eine unterschiedliche Behandlung.

Um ein größeres Tempo in die Bestrebungen für eine gemeinsame EU-Ausländer- und -Asylpolitik zu bringen, verabschieden die 20 Kommissare Mitte dieser Woche eine Art Anzeigetafel ("scoreboard"), die für alle Aspekte der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik die Ziele auflistet, das national Geleistete, die Instrumente und vor allem die Termine. Mit einem ähnlichen Plan brachte die Kommission Ende der achtziger Jahre neue Fahrt in die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes, der heute Prunkstück im europäischen Einigungsprozeß ist.

Der frische Wind in der "Vergemeinschaftung" des Asylrechtes tut dringend not. Zwar legt der seit Mai 1999 geltende Amsterdamer Vertrag fest, daß binnen fünf Jahren die Union zu einer gemeinsamen Handhabung von Asyl, Einwanderung, Flüchtlingsaufnahme und dem Schutz der EU-Außengrenzen finden soll, doch die dazu nötigen einstimmigen Beschlüsse sind ein so großer Hemmschuh, daß niemand mit einer gemeinsamen Einwanderungspolitik bis 2004 rechnet. Kommissionspräsident Romano Prodi forderte, möglichst rasch auf Mehrheitsbeschlüsse umzustellen. Allein dieser Antrag verlangt wiederum einen einstimmigen Beschluß, der am Widerstand der Nationalstaaten zu scheitern droht.

Diese Beschreibung der EU-Vorhaben und Schwierigkeiten braucht zum besseren Verständnis die Erdung in der konkreten Flüchtlingswelt. Sonst verkommt das Ringen um den seit Amsterdam versprochenen gemeinsamen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zur EU-Bürokratie, zum Advokatengezänk.

Auf den Boden geholt werden die Besucher im bereits genannten "The House" in Linz auf alle Fälle. Die hier spartanisch untergebrachten Jugendlichen haben bei ihrer Landung in Europa aber noch Glück gehabt. Sie gehören zu jenem Drittel Asylsuchender in Österreich, die bei sozialen Organisationen oder bei Verwandten unterkommen. Ein weiteres Drittel wird in Bundesbetreuung genommen, was bedeutet, daß sie in Flüchtlingsheimen, Gaststätten oder Pensionen wohnen. Hart trifft es das restliche Drittel, im letzten Jahr aufgrund des erhöhten Flüchtlingsandrangs im Zuge der Kosovo-Krise immerhin rund 7.000 Personen, die ohne Anspruch auf Unterstützung dastehen und untertauchen (müssen).

Karola Paul, die Repräsentantin der UNO-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR kritisiert den Zustand, daß die Bundesbetreuung für Asylwerber in Österreich ein "Gnadenrecht" ist. Sie fordert, die Kann-Bestimmung auf Bundesbetreuung in einen Rechtsanspruch umzuwandeln und verweist auf die Praxis in Deutschland, wo jeder Flüchtling auf die Dauer seines Asylverfahrens Unterkunft und Verpflegung erhält.

Auch alle Fälle, deren Asylbescheid negativ ist, die aber aufgrund der Situation im Herkunftsland nicht abgeschoben werden können, sich also im rechtlichen Niemandsland befinden, müssen in Deutschland im Gegensatz zu Österreich keine Delogierung fürchten. "Wir können sie nicht einfach in die Obdachlosigkeit schicken", antwortet Bernd Günter Wagner, der Leiter der Aufnahmeeinrichtung für Asylwerber in München, auf die furche-Anfrage nach der Vorgangsweise in Bayern.

Im österreichischen Innenministerium, Abteilung Flüchtlingsbetreuung sieht man die Sache anders. Abteilungsleiter Viktor Demel würde bei einer entsprechenden Anfrage seinem Minister "ein vorbehaltloses Recht auf Bundesbetreuung in keinster Weise empfehlen". Demel spricht von einer "falschen Signalwirkung", fürchtet eine "unglaubliche Sogwirkung", wenn alle Asylwerber ausnahmslos in den Genuß der Bundesbetreuung kämen. Das Anmieten von Gasthöfen und Pensionen vergleicht der oberste Flüchtlingsbeamte mit der Herbergsuche von Maria und Josef. "Sie wissen ja", schildert Demel der furche die Situation, "in Österreich sind Flüchtlingsunterkünfte nicht überall gern gesehen." Die Schwachen und Schwächsten genießen laut Demel Vorrang. Andere müssen für ihren Unterhalt selbst sorgen, oder bei der Familie unterkommen. "Goldener Mittelweg" nennt der Abteilungsleiter sein Bestreben, ansonsten fürchtet er die bereits zitierte "Signalwirkung".

Ein goldener Weg ist für viele die hiesige Fremdenpolitik keineswegs. Was bleibt an Möglichkeiten, wenn keine Familie da ist, wenn selber arbeiten bei Strafe verboten ist? Wie können Ladungen und Bescheide zugestellt werden, wenn die feste Adresse fehlt? Jährlich führt dieser Umstand zu mehreren tausend Einstellungen des Asylverfahrens. Die Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die karitativen Institutionen beklagen, daß sie das für Integrationsaufgaben dringend gebrauchte Geld zur Abdeckung der Grundbedürfnisse benötigen. Ohne NGOs als Schmiermittel läuft in der Flüchtlingsbetreuung nichts. Leider fehlt die Bereitschaft offizieller Stellen, die Expertenschaft dieser Organisationen vermehrt zu nutzen.

Seine Aufgaben in der Flüchtlingsbetreuung bürdet der österreichische Staat teilweise anderen auf, teilweise übt er sie grob fahrlässig gar nicht aus. Anders ist das quasi-verordnete Untertauchen mit allen negativen Folgeerscheinungen nicht zu bezeichnen. In "normalen" Jahren beträgt die Asylwerberzahl in Österreich zwischen sechs- und siebentausend. Eine Zahl, die unterzubringen ist, da in "anormalen" Jahren weit mehr untergebracht werden. Ob eine EU-weite Regelung Verbesserungen bringt, ist fraglich. Die EU fordert Mindeststandards. Keinem Land ist aber untersagt, diese zu übersteigen. Als Signal für andere.

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