Austrocknung der Sozialpartnerschaft?

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"Die aktuellen Angriffe auf die Kammern sind ungleich massiver als im Jahr 2000. Bestandsgefährdung stand auf der Agenda von FPÖ und NEOS.

Der FPÖ gelang es nicht, ihre Position in den Regierungsverhandlungen durchzusetzen. Was ihr allerdings gelang, war die Verankerung eines Ultimatums im Regierungsprogramm."

Das Thema der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern spielte im vergangenen Wahlkampf eine herausragende Rolle. Die Auseinandersetzungen um dieses Thema sind nicht neu. Die FPÖ, die seit ihren Anfängen in den 1950er-Jahren eine ablehnende Position zum sozialpartnerschaftlichen Einfluss auf die Politikgestaltung in Österreich bezog, startete in den 1990er-Jahren heftige Angriffe auf die Kammern. Die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern wurde ebenso wie die Einkommensprivilegien von Kammerfunktionären in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Selbst ÖVP und SPÖ, die mit den Interessenorganisationen traditionell eng vernetzt sind, gingen damals zu den Kammern auf Distanz. Das Koalitionsabkommen dieser beiden Parteien aus 1994 sah die Abhaltung einer Abstimmung über die Kammern vor. Das Ergebnis der 1996 durchgeführten Urabstimmung war für die Kammern, insbesondere für die Arbeiterkammern, sehr positiv. Das Thema der Pflichtmitgliedschaft trat in der Folgezeit vorerst in den Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen.

Drohgebärden gegen die Opposition

Mit der Beteiligung der FPÖ an der Regierung Schüssel im Jahr 2000 waren die Kammern, ihre Finanzierung und politische Mitgestaltungsfunktion erneut Angriffspunkte. Jörg Haider propagierte in den ersten Monaten der neuen Regierung einen Eingriff in die Finanzen der Kammern: Die Arbeiterkammerumlage sollte von 0,5 Prozent auf 0,3 Prozent des Bruttolohns der Kammermitglieder reduziert werden.

Die Umsetzung dieses Vorhabens gelang nicht. Die angekündigte Kürzung der Finanzmittel bildete eine Drohgebärde gegen eine Organisation, die zur Opposition gegen die schwarz-blaue Regierung gezählt wurde. Was der FPÖ im Bündnis mit dem Koalitionspartner ÖVP allerdings gelang, war eine einschneidende Zäsur in den Spielregeln und Mitgestaltungsmöglichkeiten der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Die traditionelle gleichberechtigte Einbindung der großen wirtschaftlichen Interessenorganisationen von Kapital und Arbeit wurde weitgehend aufgehoben. Bevorzugt eingebunden in die politische Willensbildung wurden aufgrund der engen Vernetzung mit der ÖVP die Unternehmerund Bauernkammern. Selbst die Einbindung von ÖGB und AK in das traditionelle Begutachtungsverfahren wurde damit unterbunden, dass die Regierung Gesetzesvorhaben durch ihre Parlamentsfraktionen als Initiativanträge, und damit am Begutachtungsverfahren vorbei, in den Nationalrat einbringen ließ. Sozialpartnerschaftliche Abstimmung zwischen den Interessenorganisationen und der Regierung wurde weitgehend lahmgelegt und zur Ausnahme. Dies betraf selbst die Sozialpolitik, deren inhaltliche Gestaltung seit den 1960er-Jahren durchwegs aus der Interessenabstimmung zwischen diesen Akteuren resultierte.

Kurzum: Unter der schwarz-blau/orangen Regierung erfuhr die Sozialpartnerschaft weitreichende Einschränkungen. Betroffen davon waren jedoch nicht die institutionellen Strukturen der Kammern, sondern deren Rolle als politischer Gestaltungsfaktor im Rahmen von Gesetzwerdungsprozessen. Sozialpartnerschaft stand weitgehend vor dem Aus. Gilt dies auch für die aktuelle Neuauflage von Schwarz/Türkis-Blau?

Im Unterschied zum Jahr 2000 sind die aktuellen Angriffe auf das Kammersystem ungleich massiver. Eine Bestandsgefährdung stand auf der Agenda der FPÖ und NEOS. Die FPÖ hatte die Forderung nach Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft, verbunden mit der Einschränkung der Einnahmen, zu einer zentralen Bedingung für eine Regierungsbeteiligung erklärt. Grundsätzlich ähnlich lautete die Position der NEOS, die dies auch schon im Frühjahr 2015 vertreten hatten.

Wider die Stimmung der Bevölkerung

Beide Parteien propagierten einen derartigen Einschnitt in die Struktur des Kammersystems -dies entgegen der laut Umfragen (Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft Dezember 2017) in der Bevölkerung weit verbreiteten Einschätzung, dass die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft sowohl für die ArbeitnehmerInnen schlecht wäre (63 Prozent), als auch für die Sozialpartnerschaft eine Schwächung bedeuten würde (59 Prozent).

Abgesehen davon haben sich die Bedingungen für die Durchsetzung einer derartigen Forderung in rechtlicher Hinsicht einschneidend verändert. Mit dem in die Bundesverfassung neu eingefügten Artikel 120a-120c betreffend die sonstige (d. h. nichtterritoriale) Selbstverwaltung wurde das Kammersystem verfassungsrechtlich verankert. Die Abschaffung der Kammern bzw. von Kernbestandteilen des Kammersystems wie der Pflichtmitgliedschaft bedarf damit einer parlamentarischen Verfassungsmehrheit. Aufgrund des Wahlergebnisses bei der Nationalratswahl 2017 würde die Regierungskoalition zusammen mit den NEOS über diese Mehrheit verfügen und die Verfassungsbestimmung im Artikel 120 abändern können. Bisher klappte es jedoch nicht.

Die Liste Kurz hatte im Wahlkampf keine dezidierte Position zur Frage der Mitgliedschaft bezogen. Der Listenführer plädierte dafür, dass die Kammern ihre Aufgaben effizient und serviceorientiert wahrnehmen sollten. ÖVP-intern stieß die Forderung der FPÖ und NEOS nach Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft seitens der mit den Wirtschafts-und Landwirtschaftskammern vernetzten Funktionäre auf Widerstand. Deren Präsidenten sprachen sich (ebenso wie die des ÖGB und der Bundesarbeiterkammer) wiederholt dezidiert gegen die Abschaffung aus. Die breite Ablehnungsfront zeigte sich anschaulich am Treffen der Spitzen beinahe sämtlicher Kammern im Land Salzburg.

Ultimatum an die Kammern

Vor diesem Hintergrund gelang es der FPÖ nicht, ihre Position in den Regierungsverhandlungen durchzusetzen. Was ihr allerdings gelang, war die Verankerung eines Ultimatums an die Kammern in der Frage der Finanzierung im Regierungsprogramm: "Die Bundesregierung wird an die gesetzlichen Interessensvertretungen herantreten und diese einladen, bis zum 30. Juni 2018 entsprechende Reformprogramme vorzulegen. Diese Programme sollen konkrete Effizienzsteigerungen und finanzielle Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder beinhalten. Erscheinen die vorgeschlagenen Maßnahmen zu wenig weitgehend bzw. nicht ausreichend zielorientiert, behält sich die Bundesregierung vor, gesetzliche Maßnahmen dem Nationalrat zur Beschlussfassung vorzulegen." Mit diesem Ultimatum hat die FPÖ im Regierungsprogramm 2017 mehr durchgesetzt, als ihr unter der Regierung Schüssel gelungen war.

Wie sieht es mit der Sozialpartnerschaft aus? Wird auch die Neuauflage von Schwarz/Türkis-Blau diesen traditionellen politischen Gestaltungsfaktor in seinen Möglichkeiten weitgehend ausschalten? Das Regierungsprogramm hält sich diesbezüglich noch bedeckt. Der Begriff Sozialpartnerschaft findet sich im Programm nicht; es ist an einige Stellen von Sozialpartnern, das heißt also von den sozialpartnerschaftlich relevanten Akteuren, die Rede. Diese hätten in der Nachkriegsgeschichte großen Anteil an der Entwicklung unseres Landes gehabt und seien "auch heute wichtige Partner der Bundesregierung". Wo diese Partnerschaft zum Tragen kommen wird, ist nur an drei Punkten konkretisiert: bei der Prüfung und Beseitigung von Diskriminierungen von Frauen; in Kollektivverträgen, bei der Neukodifizierung des ASVG und bei der Ablöse des Berufsschutzes durch den Einkommensschutz. Das heißt, dass die neue Regierung offenkundig eine äußerst beschränkte Beteiligung der Sozialpartnerorganisationen anpeilt. Bleibt es dabei, wird ein Abstieg der Sozialpartnerschaft auch unter der Neuauflage stattfinden. Die ersten Maßnahmen der Regierung noch Ende 2017, nämlich die Aussetzung der Aktion 20.000 und das vorzeitige Auslaufen des Beschäftigungsbonus, deuten in diese Richtung: Diese erfolgten ohne jegliche Einbindung der Sozialpartnerverbände per Umlaufbeschluss.

Zusammenfassend: Ein Abstieg der Sozialpartnerschaft würde wie bereits unter der Regierung Schüssel sowohl auf eine deutliche Schwächung der Interessenorganisationen der ArbeitnehmerInnenschaft als auch auf eine Politik zu deren Lasten hinauslaufen -und damit die gesellschaftliche Ungleichheit in Österreich vergrößern.

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