Ausverkauf statt Neuorientierung

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Eine vernünftige österreichische Lösung hätte auch im Wettbewerb der liberalisierten Energiemärkte bestehen können.

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Eine vernünftige österreichische Lösung hätte auch im Wettbewerb der liberalisierten Energiemärkte bestehen können.

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Die steirische Elektrizitätsgesellschaft ESTAG hat nicht nur einen entscheidenden Anteil ihrer Aktien an den französischen Atomkonzern Electricite de France (EdF) verkauft.

* Verkauft worden ist auch die Glaubwürdigkeit einer von allen parlamentarischen Gremien und der Bundesregierung beschlossenen Anti-Atom-Politik. Und damit auch ein Stück Glaubwürdigkeit der Demokratie.

* Verspielt worden ist die Chance unseres Landes, in einem immer stärker integrierten Europa eine über seine Größe hinausgehende aktive Rolle in der Gestaltung einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung zu spielen. Einer Entwicklung, die ökologische, aber auch regionale beschäftigungspolitische Kriterien berücksichtigt.

* Versäumt wurde schließlich auch die Möglichkeit, innerhalb der künftig liberalisierten europäischen Stromwirtschaft einen eigenständigen, wettbewerbsfähigen österreichischen Wirtschaftszweig zu gestalten.

Folgendes Zitat stammt nicht von Greenpeace oder den Grünen, sondern aus einem Brief der steiermärkischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic an Bundeskanzler Klima vom 9. Juli 1997: Meiner Ansicht nach müßte Österreich nun die Initiative ergreifen, eine Koalition atomfreier Staaten zu schaffen und dafür die entsprechenden Schritte auf nationaler und internationaler Ebene in die Wege leiten. [...] Ich ersuche Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, daher um die weitere Verfolgung dieses Anliegens in den internationalen Gremien und um Unterstützung des Konzeptes der österreichischen Umweltverbände zur Schaffung einer "Koalition atomfreier Staaten".

Fünf Monate später verkauft die steirische Landesregierung unter Landeshauptfrau Klasnic dem größten Atomkonzern der Welt, der EdF 25 Prozent plus eine Aktie mit der zusätzlichen Vereinbarung, daß die künftige Geschäftspolitik, die Geschäftsführung und das Budget nur mit Zustimmung der EdF beschlossen werden können.

Seit mehr als zehn Jahren tritt die österreichische Bundesregierung offiziell für ein wichtiges umweltpolitisches Ziel ein: Mitteleuropa soll ohne Atomkraftwerke auskommen. Langfristig will man auch noch möglichst viele andere Länder von den Gefahren dieser Technologie überzeugen. Das Ziel wird auf diversen Umweltkonferenzen und in politischen Sonntagsreden feierlich verkündet - zuletzt vom Umweltminister auf der Klimakonferenz in Kyoto.

Glaubwürdig waren diese Worte schon bisher nur beschränkt, denn konkrete Maßnahmen für Umstiegshilfen zu anderen Technologien - vor allem für unsere osteuropäischen Nachbarn - hat es bis heute nicht gegeben. Aber mit dem Einstieg der EdF in die steirische ESTAG müßten wir, vor allem bei internationalen Auftritten, am besten schweigen.

Daß Atomstrom sich physikalisch von Strom aus Sonnen- oder Windkraft nicht unterscheidet, ist auch den Umweltschützern bekannt - auch wenn ihnen manche österreichische Medien das Gegenteil unterschieben, weil es einfacher ist, Andersdenkende zu verleumden, als sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen. Warum die Allianz mit einem ausländischen Atomriesen trotzdem problematisch und die Rede vom "Atomstrom" berechtigt ist, liegt in der Preisgestaltung der verschiedenen Stromanbieter. Frankreichs Atomkraftwerke produzieren einen Überschuß an Elektrizität, der schon jetzt zu Schleuderpreisen in Europa angeboten wird. Möglich ist das vor allem, weil die EdF ein staatlicher Betrieb ist, der mit Milliardenbeträgen subventioniert wird. Bei solchen subventionierten Preisen aber haben erneuerbare, umweltfreundliche Technologien wie Windkraft, Sonnenenergie oder Biomasse keine Chance. Von freiem Wettbewerb kann hier keine Rede sein. Ganz zu schweigen davon, daß auch unsere französischen Mit-Europäer das Recht haben sollten, ohne die Risiken der Atomkraftwerke zu leben.

Das Ende einer scheinheiligen Atom-Debatte Die österreichische Atom-Diskussion ist ein Lehrbeispiel für den Widerspruch zwischen Schein und Wirklichkeit. Augenzwinkernd werden öffentlich Positionen vertreten, an die man nicht ernsthaft glaubt und denen man in den politischen Entscheidungen täglich zuwiderhandelt. Eine Politik aber, die vollkommen anders handelt als sie spricht, untergräbt die Glaubwürdigkeit der gewählten Institutionen und gefährdet die Demokratie.

Alle neun Landtage und der österreichische Nationalrat haben wiederholt und gerade auch im vergangenen Jahr Anträge und Resolutionen zum Ausstieg aus der Atomtechnik beschlossen. Erst am 9. Juli 1997 haben alle fünf Parteien einstimmig einen Entschließungsantrag verabschiedet, der die Bundesregierung unmißverständlich auffordert, "... konsequent mit dem Ziel eines kernenergiefreien Mitteleuropas die Politik fortzusetzen und auch weiterhin auf internationaler Ebene alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Unterstützung für diese Politik auszubauen und zu verbreitern".

War das alles nur zur Beruhigung der besorgten Bevölkerung gedacht, aber in Wirklichkeit nicht ernst gemeint? Welches Vertrauen können die Wähler in ihre Vertreter haben angesichts einer solchen Doppelzüngigkeit? Leider sind auch die meisten österreichischen Medien kein kritisches Korrektiv gegenüber einer solchen Politik. Man muß den Eindruck gewinnen, daß viele von ihnen sich eher als Lobbies besonderer wirtschaftlicher Interessen verstehen, anstatt als Plattformen einer öffentlichen Diskussion.

Atomkurs statt selbständiger Energiepolitik Die Steiermark wird nun zu einer Drehscheibe für den Strom aus den französischen Atomkraftwerken nach Osteuropa. Die EdF ist in Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Bosnien und auch beim AKW Mochovce in der Slowakei beteiligt. Der offensichtlich überhöhte Kaufpreis von 5,6 Milliarden Schilling ist die Prämie für diesen strategischen Vorteil.

Die EdF verfolgt damit zwei Ziele: einerseits soll die Steiermark als regionales Standbein genutzt werden, um nach der europäischen Strom-Liberalisierung 1999 die Großabnehmer in Österreich mit billigem Atomstrom zu versorgen. Zweitens soll das Netz der ESTAG als Stromdrehscheibe in Richtung Mittel- und Osteuropa genutzt werden. Der Wettbewerb im internationalen Stromhandel wird in erster Linie von den künftigen Kosten des Stromtransportes entschieden werden. Die sogenannten Netzdienstleistungen (Reservehaltung, Frequenzstabilisierung und so weiter) spielen eine entscheidende Rolle. Besitzt ein Energiekonzern regionale Standbeine, die über ganz Europa verteilt sind und die diese Netzdienstleistungen selbst erbringen können, so wird für sie der Stromtransport natürlich deutlich kostengünstiger. Die Steiermark als Drehscheibe für den billigen subventionierten französischen Atomstrom ist also - entgegen den Behauptungen der steirischen Landesregierung - der entscheidende Grund für den hohen Betrag, den die EdF für die Beteiligung gezahlt hat. Alternative, erneuerbare Energiequellen, die die Grundlage einer glaubwürdigen Anti-Atom-Politik sind, haben gegen eine solche Konkurrenz keine Chance mehr.

Österreichische Lösung wäre möglich und richtig gewesen Die Öffnung der europäischen Elektrizitätsmärkte tritt im Februar 1999 in Kraft. Sie birgt Risiken, aber auch Chancen. Die Grünen haben immer die grundlegende Neuorganisation der österreichischen Elektrizitätswirtschaft gefordert, um dieser Herausforderung positiv zu begegnen. In den meisten europäischen Ländern hat man längst begriffen, daß eine selbständige Energiepolitik entscheidend ist für die wirtschaftliche Entwicklung. Entscheidend vor allem, wenn die Erhaltung der Umwelt und der Beschäftigung als politische Ziele ernst genommen werden. Deshalb war für die Grünen eine österreichische Lösung mit einem intakten politischen Handlungsspielraum so wichtig.

Die Möglichkeiten waren gegeben. Die heimische E-Wirtschaft ist zwar derzeit höchst ineffizient, das jährliche Einsparungspotential durch Synergien zwischen den Unternehmen wird von Branchenkennern auf rund zehn bis 15 Milliarden Schilling pro Jahr (!) geschätzt. Damit könnten die Strompreise für alle Kunden um bis zu 20 bis 30 Prozent gesenkt werden. Genug, um in Zukunft auch im Wettbewerb der liberalisierten Energiemärkte bestehen zu können.

Eine starke österreichische Lösung wird es nun auch mittelfristig nicht mehr geben. Die EdF wird es zu verhindern wissen, daß ihr mit einer geeinten österreichischen Elektrizitätswirtschaft ein ernstzunehmender Konkurrent erwächst.

Die Autorin ist Umweltsprecherin der Grünen.

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