Auswendig lernen? Verstehen!

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In einem Offenen Brief lehnte Bildungswissenschafter Stefan Hopmann die Mitarbeit an der Lehrplanreform ab. Eine Antwort aus dem Ministerium.

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In einem Offenen Brief lehnte Bildungswissenschafter Stefan Hopmann die Mitarbeit an der Lehrplanreform ab. Eine Antwort aus dem Ministerium.

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Sehr geschätzter Herr Professor Hopmann, als für das Pädagogik-Paket und somit auch für die Weiterentwicklung der Lehrpläne verantwortlicher Mitarbeiter des Bildungsministeriums nehme ich Ihren Offenen Brief in der FURCHE vom 31. Oktober 2018 und Ihre Nicht-Teilnahme im Expertengremium für die Weiterentwicklung der Lehrpläne mit Bedauern zur Kenntnis. Wobei ehrlich gesagt ja eine gewisse Ironie darin liegt, dem Ministerium vorzuwerfen, wider wissenschaftliche Vernunft zu handeln und gleichzeitig die Einladung zur Mitarbeit als Wissenschaftler auszuschlagen. Ich bedaure Ihre Nicht-Teilnahme auch deswegen, weil das Ressort Ihre Expertise sehr schätzt. Ich werde jetzt die eigentlich unverschämte Unterstellung, das Bildungsministerium wolle mit der Weiterentwicklung der Lehrpläne der nachkommenden Generation bewusst Schaden zufügen, ignorieren. Ich denke, Sie kennen den Herrn Bildungsminister lange und gut genug, um zu wissen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Überarbeitung ist notwendig

Welches Ziel verfolgen wir mit der Weiterentwicklung der Lehrpläne? Die Lehrpläne sollen praktikable Dokumente werden und festlegen, was ein Kind am Ende der Volksschule bzw. am Ende der Unterstufe oder Mittelschule im Wesentlichen wissen und können soll.

Die Überarbeitung der Lehrpläne der Volkschule, der Mittelschule und der AHS-Unterstufe ist auch deshalb notwendig, da diese in ihren Grundsätzen mindestens zwanzig Jahre alt sind. Dieses Alter hat unter anderem zur Konsequenz, dass Themen wie die Digitalisierung zu kurz kommen, um die Jugend auf die Chancen und Risiken der "Digitalen Revolution" vorzubereiten.

Mit dem jeweiligen Lehrplan soll ein gut verständliches, praxisfreundliches, auf klare, wesentliche Bildungsziele reduziertes und nach internationalen Maßstäben zeitgemäßes Instrument für die konkrete Unterrichtsarbeit an den autonomen Schulen bzw. Schulclustern vorliegen.

Die Lehrpläne werden kompetenzorientiert -das heißt, es wird klar beschrieben, was eine Schülerin bzw. ein Schüler am Ende einer Schulstufe wissen und können soll. Außerdem wird es in Zukunft eine Verknüpfung von Lehrplänen und Leistungsbeurteilung geben. Das ist auch ein Handlungsauftrag aus dem Nationalen Bildungsbericht 2015, in dem "die genaue Festlegung von (Mindest-)Zielen durch die Formulierung von Kerncurricula und Mindeststandards, die Ausrichtung an Kompetenzen, ein verändertes, an Förderung orientiertes Verständnis der schulischen Leistungsbeurteilung" gefordert wird.

Im Hinblick auf die Beschreibung der Wissensbestände hat sich seit PISA in den Lehrplänen ein konzeptioneller Wechsel vollzogen. Statt detaillierter Darstellung von Inhalten wird auf überfachliche und fachliche Kompetenzen fokussiert, die auf die Anwendung des Wissens zielen. Denn es ist nicht nur relevant, welche Inhalte Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht vermitteln, sondern ebenso wichtig, was davon bei den Schülerinnen und Schülern ankommt - welche Kompetenzen sie also erwerben. (Nebenbemerkung: Sollte sich eine Leserin oder eine Leser am Begriff "Kompetenzen" stoßen: Wir verstehen darunter keine Ökonomisierung der Bildung, sondern nach Franz E. Weinert die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen.)

Lernprozesse zielgerichtet anleiten

Wir befinden uns mit unseren Reformplänen auch in guter Nachbarschaft: Nicht zuletzt sind Bayern und Hamburg in Deutschland einen sehr ähnlichen Weg gegangen, den das Bildungsministerium jetzt einschlägt. Bayern -mit dem laut Bildungsmonitor 2018 von der "Initiative Soziale Marktwirtschaft" immerhin zweiterfolgreichsten Bildungssystem in Deutschland -hat gerade eine kompetenzorientierte Lehrplanreform umgesetzt. Auch den Bayern geht es um das Erwerben überdauernder Kompetenzen, die über das reine Wissen hinausgehen. Kurz gesagt: Schüler sollen Dinge verstehen und Probleme lösen und nicht Lehrstoff für wenige Stunden auswendig können.

Merkmale guter Lehrpläne sind, dass sie auf wesentliche fachliche Kompetenzen abzielen und aufbauend gestaltet sind. Sie beschreiben Anforderungen für Schulstufen und Bildungsgänge und sollten so abgefasst sein, dass sie von den Nutzergruppen des Lehrplans, also auch Eltern und Schülerinnen und Schülern, verstanden werden können.

Vielfach wurde an den bestehenden Lehrplänen Kritik geübt, dass die Lehrplanziele einerseits zu "idealistisch" - weil zu umfangreich -und andererseits zu unkonkret seien. Das hat auch negative Konsequenzen für die Leistungsbeurteilung. Es liegt derzeit in der Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer, zu definieren, was "das Wesentliche" aus den Lehrplänen ist und wann ein/e Schüler/in beispielsweise Aufgaben "in weit über das Wesentliche hinausgehendem Ausmaß" erfüllt und somit ein "Sehr gut" verdient. Dies führt naturgemäß dazu, dass sich die Beurteilung der Schülerinnen und Schüler bisher zu stark an der Sozialnorm -also dem Leistungsdurchschnitt in der Klasse -und nicht an den tatsächlich erreichten Kompetenzen orientiert. Die geplante Konzentration der Lehrpläne auf wesentliche Bereiche hilft, den Lernprozess zielgerichtet anzuleiten, unterstützt die Absicherung von Grundkompetenzen und erhöht die Transparenz in der Leistungsbeurteilung. Mit den geplantem Kompetenz- bzw. Bewertungsraster wollen wir die Brücke zwischen dem Lehrplan und den Beurteilungsstufen (Noten) bauen.

Unterrichtsarbeit bleibt unberührt

Wir wollen also den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schulen den notwendigen Spielraum nicht nehmen. Das Wie -also Methodik und Didaktik, Unterrichtsmedien, Sozialformen des Unterrichts usw. - bleibt bei den Lehrerinnen und Lehrern. Die im Schulunterrichtsgesetz geregelte Unterrichtsarbeit bleibt unberührt.

Das Bildungsministerium will vielmehr als für die Lehrpläne zuständige und verantwortliche Behörde zusammengefasst

Lehrpläne inhaltlich aktualisieren (inklusive der Berücksichtigung digitaler Grundkompetenzen, Medienkompetenzen, dem Einsatz moderner Technologie im Unterricht, wirtschaftlicher und unternehmerischer Kompetenzen sowie Kenntnisse im MINT-Bereich),

Lesbarkeit und Verständlichkeit der Lehrpläne für Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Eltern erhöhen,

mehr Transparenz in der Leistungsbeurteilung ermöglichen und

auf wesentliche Bildungsziele je Fach und Schulstufe fokussieren,

den Erwerb von Grundkompetenzen unterstützen.

Die Expertinnen und Experten unseres Ressorts haben in gewissenhafter Arbeit auf Basis internationaler Erfahrungen erste Konzepte und Leitlinien für die künftigen Lehrpläne entwickelt. Und genau diese wollen wir mit der Wissenschaft diskutieren und einer kritischen Reflexion durch ein externes Sounding Board unterziehen, zu dem wir Sie herzlich eingeladen hatten.

Mit freundlichen Grüßen Klemens Riegler-Picker

| Der Autor ist Leiter der Sektion I - Allgemeinbildung und Berufsbildung - imBundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung |

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