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Balkanwanderung

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Anfang April 1970 begann planmäßig die Repatriierung eines Teiles der türkischen Minderheit aus Bulgarien auf Grund des Rückführungsabkommens vom 22. März 1968, dessen Verwirklichung aus verschiedenen Gründen immer wieder verschoben, ja manchmal verhindert wurde. Entsprechend dem erwähnten Dokument werden jedes Jahr wöchentlich 300 Türken aus Bulgarien, jedoch nur zwischen dem 1. April und dem 30. November, mit ihren in der Türkei lebenden Angehörigen zusammengeführt. Die erste Heimkehrergruppe traf in der Türkei schon am 8. Oktober 1969 ein. Jetzt soll die Rückführung der vorgesehenen 35.000 Türken beschleunigt werden. Es wird ohnehin drei Jahre dauern, bis sie alle in der alten Heimat eintreffen werden.

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Anfang April 1970 begann planmäßig die Repatriierung eines Teiles der türkischen Minderheit aus Bulgarien auf Grund des Rückführungsabkommens vom 22. März 1968, dessen Verwirklichung aus verschiedenen Gründen immer wieder verschoben, ja manchmal verhindert wurde. Entsprechend dem erwähnten Dokument werden jedes Jahr wöchentlich 300 Türken aus Bulgarien, jedoch nur zwischen dem 1. April und dem 30. November, mit ihren in der Türkei lebenden Angehörigen zusammengeführt. Die erste Heimkehrergruppe traf in der Türkei schon am 8. Oktober 1969 ein. Jetzt soll die Rückführung der vorgesehenen 35.000 Türken beschleunigt werden. Es wird ohnehin drei Jahre dauern, bis sie alle in der alten Heimat eintreffen werden.

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Im Jahre 1944 — zur Zeit der kommunistischen Machtergreifung — lebten ungefähr 800.000 Türken in Bulgarien. Da ständig alarmierende Gerüchte über eine bevorstehende Zwangsaussiedlung in Bulgarien kursierten, entstand eine wahre Panikstimmung unter den Türken; infolgedessen haben von 1948 bis 1951 etwa 156.000 Türken Bulgarien unbehelligt auf eigene Faust verlassen. Dann kam ein Stillstand, so daß in den folgenden zehn Jahren insgesamt nur 20 alte, gebrechliche Türken Bulgarien legal verlassen konnten,um ihren Lebensabend bei Verwandten in der Türkei zu verbringen.

Die bulgarische Volkszählung von 1956 registrierte 656.000 Türken. Ihre Zahl wird heute mit ungefähr 700.000 angegeben.

Historische Reminiszenzen, politische Vorurteile haben bisher die Regelung der „Türkenfrage“ in Bulgarien verhindert. In den Augen des Sofioter Regimes gelten die Türken seit Jahrzehnten als „unverbesserliche Antikomimunisten“ und „traditionelle Russenfeinde“. Die türkische Minderheit bereitete nicht nur wegen ihrer zahlenmäßigen Stärke der bulgarischen Regierung ständig Sorge, sondern auch deshalb, weil sie die homogenste Volksgruppe ist. Die tiefreligiösen Mohammedaner sind auch nationalbewußte Türken, die sich bestimmt nicht wortlos und ohne Widerstand hin- und herschieben lassen würden.

Es hat 24 Jahre gedauert, bis ein vernünftiges Abkommen über die Rückführung eines Teiles der türkischen Minderheit aus Bulgarien erzielt werden konnte; auch die praktische Durchführung wurde wiederholt verschoben. Selbst die Vorverhandlungen waren kompliziert und schwierig und dauerten sehr lange. Und überhaupt sind nicht ganz fünf Prozent der Türken in Bulgarien davon betroffen. (Die Türken machen 10 Prozent der gesamten bulgarischen Bevölkerung aus.) Sofia möchte am liebsten alle Türken loswerden, aber daran kann man derzeit nicht einmal denken. Für das türkische Parlament war die Ratifizierung des Abkommens gar nicht eilig. In Bulgarien wurde das Agreement nach drei Monaten ratifiziert, in Ankara Wartete man mehr als ein Jahr damit, und als endlich das Parlament seinen Segen erteilte, fehlte noch immer die Unterschrift des türkischen Staatspräsidenten. Die Türken fanden viele Ausreden: Vorerst konnte das Aufnahme- und Übergangslager auf dem Bahnhof zu Edirne nicht planmäßig erbaut werden.

Die Ratifikationsurkunden konnten schließlich am 19. August 1969 in Sofia ausgetauscht werden. Damit trat das Abkommen formal in Kraft. Ankara hatte vom Anfang an Angst davor, daß Parteiagitatoren und Spione unter den Heimkehrern in die Türkei eingeschleust werden würden. Diese Angst war einer der Hauptgründe dafür, daß Ankara die Unterzeichnung und die Durchführung des Abkommens immer wieder verzögerte. So wurden die ersten 82 Personen erst am 8. Oktober 1969 in Edirne abgefertigt

In den letzten vier Jahren wurden die bulgarisch-türkischen Beziehungen systematisch verbessert. Heute wird eine bilaterale Kooperation angestrebt. Dennoch schwebt über Sofia wie eine dunkle, mit Elektrizität geladene Wolke die Unmöglichkeit der Absorhierung der türkischen ethnischen Minderheit. Die Türken bilden in Bulgarien einen Unruheherd. Die Abschiebung von maximal 35.000 Türken löst nicht die Frage und die damit zusammenhängende Spannung.

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