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Die ÖVP steht im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten tief im roten Schatten. Ein Tag mit einem Lokalpolitiker.

Samstag, 6. September 2008. Am Keplerplatz im zehnten Bezirk gönnen sich einige Männer schon am Vormittag ihr erstes Bier. Die zahlreichen leeren Dosen, die auf den Grasflächen herumliegen, lassen darauf schließen, dass das keine Ausnahme ist.

Den beiden Herren, die sich abseits unterhalten, ist das ein Dorn im Auge: Thomas Kohl, Kandidat für die bevorstehende Nationalratswahl, hört sich die Beschwerden eines Anrainers an. "Die Würstelbude dort am Eck ist ein Problem", meint Kohl später. Er spricht mit gesenkter Stimme, als hätte er Angst, gehört zu werden. "Die verkaufen hier auch Hochprozentiges. Das gehört unterbunden." Er erzählt von Ratten. Davon, dass die Kinder von der naheliegenden Volksschule hier nicht mehr spielen könnten, weil es so stinke. Davon, dass Frauen belästigt würden. Das Wort "Gesindel" liegt ihm auf den Lippen, auch wenn er es nicht ausspricht. "Der Herr da hat vorgeschlagen, für den Park ein Alkoholverbot zu erlassen. Gar keine so schlechte Idee." Auch im Kleinen bewegt sich die ÖVP augenscheinlich voll auf "Law and Order"-Linie.

In den Nationalrat wird es Thomas Kohl wohl nicht schaffen. Der 44-jährige Klubobmann der VP-Favoriten kandidiert am dritten Listenplatz seiner Partei im Wahlsprengel Wien Süd. 2006 musste sich die Volkspartei hier in Favoriten mit dem dritten Platz hinter SPÖ und FPÖ begnügen. Gerade einmal 14,4 Prozent der Stimmen konnten erreicht werden, gegenüber 2002 bedeutete das einen Verlust von nicht weniger als zehn Prozentpunkten und des so wichtigen Grundmandats. Bei der kommenden Wahl rechnet man mit einem ähnlichen Ergebnis. "Die FPÖ wird - leider - der große Gewinner sein", meint Kohl. Seine eigenen Chancen auf den Nationalrat stehen also schlecht. Vom Erfolg der Bundes-ÖVP ist er aber fest überzeugt: "Wir werden Erster."

In Favoriten wird die SPÖ dennoch kaum vom Thron zu stoßen sein. Die Vormachtstellung der Sozialdemokraten zeigt sich schon in banalsten Details. Der Wahlkampfstand der ÖVP hätte eigentlich am Viktor-Adler-Markt stehen sollen. Nachdem dort aber eine größere SPÖ-Veranstaltung stattfindet, musste man kurzfristig auf den einige hundert Meter entfernten Keplerplatz ausweichen. Zusammen mit ein paar Kollegen verteilt Kohl - im Trachtenjanker, weil er noch zum Erntedankfest auf den Heldenplatz muss - hier Broschüren. Die Reaktionen der Passanten reichen von "Gibt's da was gratis?" bis "Von euch nehm i nix!". Als sich schließlich doch einer auf ein längeres Gespräch einlässt, braucht Kohl nicht lange, um zu seinem Lieblingsthema zu kommen: Familienpolitik. Das kostenlose letzte Kindergartenjahr sei ihm als Vater zweier Töchter ein besonderes Anliegen. "Familie ist Zukunft: Entlasten und Fördern", steht auf der Broschüre. Der ältere Herr - er ist noch unentschlossen - scheint sich aber eher für Gesichtshaar als für Familienpolitik zu interessieren: "So ein Dreitagebart geht überhaupt nicht", empört er sich über das Foto Wilhelm Molterers auf dem anderen Flugblatt. "Genauso wie beim Van der Bellen. Wenn sie sich nicht rasieren, bekommen sie meine Stimme nicht!" Kohls Vollbart ist ihm schon sympathischer. "Ein bisschen noch wachsen lassen, dann passt das schon."

Mit der Frage, ob er dem Finanzminister einen Gebrauchtwagen abkaufen würde, kann Kohl doch noch punkten. Die Vertrauenswürdigkeit stehe ihm schon ins Gesicht geschrieben, lenkt der Unentschlossene scheinbar ein bisschen entschlossener ein, "auch mit Dreitagebart". Kohl hat ein Grinsen im Gesicht, als der Mann weiter geht. Ob er erfolgreich war, will er nicht beurteilen. Viele Leute hätten vor Wahlen einfach das Bedürfnis, ihre Meinung zu äußern, sagt er. "Egal, bei welcher Partei."

"Dreitagebart geht nicht"

"Bei den Ausländern bin ich ganz beim Haider, muss ich zugeben", erzählt eine weitere Passantin. Sie klingt, als wolle sie alle Ausländer aus Österreich vertreiben. Kohl behält dennoch sein Lächeln und versucht, die Dame vom kostenlosen letzten Kindergartenjahr als Mittel zur Integration zu überzeugen. "Aber auf der Straße haben sie Deutsch zu sprechen", meint die Frau zum Abschied. Kohl lächelt, fast ein wenig verlegen. Er selbst hat nichts gegen Ausländer. Zumindest sagt er das. "Dort oben im Türkenviertel haben innerhalb kürzester Zeit fünf türkische Friseure aufgemacht. Da muss man sich schon fragen, wo da die Ursachen liegen", meint er. Überhaupt sei die hiesige Fußgängerzone der ÖVP schon lange ein großes Anliegen. Über die letzten Jahre seien hier die meisten alteingesessenen Betriebe verloren gegangen. "Nur noch Großketten und Ausländer." Die anderen Parteien würden das totschweigen, behauptet Kohl.

Beim jährlichen VP-Straßenfest, das nächstes Wochenende hier stattfindet, soll das erneut thematisiert werden. An diesem Samstag gehört die Favoritenstraße allerdings der SPÖ. Mit Fortdauer des Vormittags kommen immer häufiger rote Luftballons von der Konkurrenzveranstaltung vorbei. Nach zwei Stunden wird der Stand schließlich in ein Einkaufswagerl verpackt und davongekarrt. Als Kohl sich schon in Richtung U-Bahn aufmachen will, steht wieder der unentschlossene Passant vor ihm. Bei der SPÖ-Veranstaltung sei es zu laut gewesen, erzählt er. Nicht einmal Kugelschreiber habe er bekommen. "Ihr red'ts wenigstens mit die Leut'", sagt er. Immerhin eine Stimme scheint hier gewonnen, trotz Dreitagebart.

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