Basteln am Babyboom

Werbung
Werbung
Werbung

"Vereinbarkeit von Beruf und Familie" ist mittlerweile zum politischen Schlagwort mutiert: Wie schwer fällt es berufstätigen Frauen in Österreich, sich beide Wünsche zu erfüllen? Und leiden ihre Kinder darunter? Fragen, auf die im vorliegenden furche-Dossier höchst unterschiedliche Antworten zu finden sind.

Ein Herz für Kinder hat wohl schon immer in ihrer Brust geschlagen. Doch nun haben Österreichs Regierungsvertreter auch ihre Liebe zu den berufstätigen Müttern der Kleinen entdeckt. Nicht ganz freiwillig: Schwindende Geburtenzahlen und wachsender Fachkräftemangel zwingen zu einer Neuorientierung in der Familien- und Frauenpolitik. Zu dramatisch klingen jene Zahlen, die erst jüngst von der "Statistik Austria" in die mediale Umlaufbahn geschickt wurden und dort für nachhaltiges Entsetzen sorgten: Exakt 75.458 Geburten wurden im Jahr 2001 verzeichnet - ein historischer Tiefstand und stolze 3,6 Prozent weniger als noch im Jahr davor. Mit einer Geburtenrate von nur 1,3 Kindern pro Frau rangiert Österreich mittlerweile unter dem EU-Durchschnitt von 1,45.

Was ist der Grund für die grassierende Unlust am Kind? Und wie lässt sich der Trend wenden? Erhellende Hinweise kommen anhand europäischer Vergleichszahlen: Während es in Frankreich mit einer Kombination aus flächendeckenden Kinderbetreuungseinrichtungen, verstärktem Teilzeitangebot und vergleichsweise kurzen Karenzzeiten gelungen ist, die Geburtenrate auf 1,89 zu heben (ex aequo mit Irland), bilden die einst traditionell kinderreichen Länder Italien und Spanien mit Raten von 1,21 und 1,19 mittlerweile das Schlusslicht in der EU-Geburtenstatistik.

Das Geheimnis, so die Experten, liegt in der Harmonisierung von Familie und Beruf - nicht nur für höhere Geburtenraten, sondern auch für eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote. In Zeiten drohenden Arbeitskräftemangels kann sich Österreich eine Beschäftigungsrate von nur 60 Prozent (Dänemark: 70 Prozent) nicht mehr lange leisten. "Die Unternehmen werden guten Leuten mit dem Lasso nachlaufen", skizzierte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Mitte April im Rahmen einer ÖVP-Klubenquete das triste Arbeitsmarktszenario. Deshalb müsste die Vereinbarkeit von Beruf und Familie "ein zentrales Thema in der nächsten Legislaturperiode" sein.

In der noch laufenden hat man bereits mit dem "Kinderbetreuungsgeld" und einer Anhebung der Zuverdienstgrenze Akzente gesetzt (siehe Beitrag Seite 14). Die falschen, kritisiert die Opposition. So verweisen etwa die Österreichischen Kinderfreunde, eine Vorfeldorganisation der SPÖ, auf eine Studie im Bundesland Kärnten, wo das Kindergeld schon vor dem 1. Jänner 2002 angeboten wurde. "Die meisten sind irre enttäuscht", interpretiert "Kinderfreunde"-Bundesgeschäftsführer Kurt Nekula das Ergebnis einer Untersuchung von 107 Familien, die Kindergeld beziehen. Demnach hätten 80 Prozent zuvor angenommen, die 436 Euro (6.000 Schilling) pro Monat zusätzlich zum Karenzgeld und nicht an seiner statt zu erhalten. Durch den Wegfall der Sondernotstandshilfe und des Familienzuschusses würde zudem die Hälfte der Kindergeldbezieherinnen weniger Geld erhalten als zuvor. Kein Wunder, ätzen die Kinderfreunde, dass auch in Kärnten im Jahr 2001 die Geburtenzahl um 2,9 Prozent gesunken ist.

Schädliche Krippen?

Wichtiger als Geldleistungen seien ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen - auch für die Kleinsten, ist Nekula überzeugt und verweist auf internationale Erfahrungen: "Überall dort, wo es ein sehr dichtes Netz für unter Dreijährige gibt, steigt die Geburtenrate. Das läuft wie ein Zahnrad." Demgegenüber sei die Anzahl solcher Betreuungsplätze in Österreich "peinlich gering". Tatsächlich stehen hierzulande für 240.000 Kinder unter drei Jahren 18.500 Plätze zur Verfügung. Nur acht Prozent dieser Altersgruppe werden institutionell betreut, stellt auch die Mitte Mai von der "Statistik Austria" präsentierte Studie "Geschlechtsspezifische Disparitäten" fest. Eine Zahl, mit der Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (VP) - neben Sozialminister Herbert Haupt (FP) Auftraggeberin dieser Studie - durchaus zufrieden ist: "Dass 100 Prozent betreut werden, will ich politisch nicht. Es kann nicht die einzige Zielsetzung sein, dass jeder von früh bis spät erwerbstätig ist."

Auch Otto Gumpinger, Präsident des Österreichischen Familienbundes, kann einer Ausweitung der Betreuungseinrichtungen für Kinder ab null Jahren nichts abgewinnen. "Der theoretische Bedarf liegt bei maximal zehn Prozent." Anders als die Kinderfreunde, die in der außerhäuslichen Betreuung der Kleinsten keine psychologischen Gefahren wähnen, solange sich eine fixe Person um die Kinder kümmert, hat Gumpinger gegenüber allzu früher Fremdbetreuung Bedenken. "Psychologen sagen, dass Kinder erst ab drei Jahren dafür geeignet sind."

Dass das Kinderbetreuungsgeld in Kombination mit der seit 2000 erhöhten Familienbeihilfe zu mehr Nachwuchs führt, werde nach Meinung Gumpingers bereits durch die jüngsten Geburtenzahlen belegt: Laut "Statistik Austria" konnte im Februar wieder ein Anstieg um 3,8 Prozent und im März sogar um 4,1 Prozent verzeichnet werden. An solch ursächlichen Verknüpfungen lassen andere kein gutes Haar: "Das ist eine gewagte These", kritisiert Rudolf Schipfer vom Österreichischen Institut für Familienforschung. "Dazu hätten die Geburten schon lange zuvor geplant werden müssen." Auch von Seiten des ÖGB gibt man sich gegenüber verfrühten Jubelrufen skeptisch: "Diese Monate waren Ausreißer", meint Frauensprecherin Renate Csörgits. Die wahren Hürden zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie seien noch nicht ausgeräumt. Vor allem kritisiert Csörgits, dass das gesetzliche Recht auf Teilzeitarbeit, wie es etwa in Deutschland und Schweden besteht, von den Regierungsparteien als nicht realisierbar und für die Frauen selbst schädlich abgelehnt wird (siehe auch Interview Seite 17): "Die Unternehmen verlangen von uns immer Flexibilität. Umgekehrt ist das offenbar nicht selbstverständlich."

Wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht werden soll, ist also strittig. Dass sie jedoch den Schlüssel zum ersehnten Babyboom verkörpert, gilt als common sense. Eine aktuelle market-Umfrage fügt sich in dieses Bild: So definieren 61 Prozent der über 18-jährigen Befragten die "Verwirklichung im Beruf als Faktor fürs Glücklichsein". 53 Prozent finden ihr Glück in den Kindern.

Wie groß auch immer die entsprechende Schnittmenge ist: höchste Zeit, ihr auf der Suche nach dem doppelten Glück behilflich zu sein.

Informationen unter www.kinderbetreuung.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung