Bauchfrei und böse?

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Der "Kleider-Streit" von Ohlsdorf illustriert, wie fremd Jugendliche und Erwachsene einander in manchen Bereichen geworden sind. Die Salzburger Sozialforschungsfirma "Solution" hat dieses gespannte Verhältnis unter die Lupe genommen.

Mit der Jugend von heute ist es so eine Sache: Sie ist laut, sie ist frech - sie ist einfach anders als damals. Und damit ist auch schon ihr unerträglichstes Attribut benannt: "Das größte Übel der heutigen Jugend besteht darin, dass man nicht mehr dazugehört." (Salvador Dalí)

Gerade dieses Ausgeschlossen-Sein macht es für Erwachsene so schwer, Jugendlichen unvoreingenommen zu begegnen - man denke nur an die aktuelle Debatte um das Verbot aufreizender Kleidung in der Hauptschule Ohlsdorf. Noch schwieriger scheint es, unbefangen über sie zu forschen.

Die Salzburger Sozialwissenschafterin Birgit Buchinger und die Wiener Psychoanalytikerin Beate Hofstadler haben es dennoch gewagt: Als Gründerin bzw. freie Mitarbeiterin von "Solution. Sozialforschung & Entwicklung", einer außeruniversitären Forschungsfirma mit Sitz in Salzburg, untersuchten sie die Konstruktionsprozesse der Jugendlichen im Bereich von Körperlichkeit, Beziehungen und Sexualität - und die Bilder, die davon in den Köpfen der "Alten" existierten. Noch im Juni soll die Studie, die vom Bildungsministerium in Auftrag gegeben wurde und unter Mitarbeit von Ulrike Gschwandtner und Heinz Schoibl entstand, unter dem Titel "Körper - Leben - Träume. Geschlechterperspektiven von jungen Frauen und Männern" im Löcker-Verlag erscheinen.

"Freundschaften sind für mich fast wichtiger als Beziehungen, weil Freunde braucht man immer.

Beziehungen kommen und gehen."

Maria (19)

Insgesamt 32 sorgsam ausgewählte Jugendliche zwischen zehn und 20 Jahren wurden in bis zu vierstündigen Interviews befragt. "Wichtig waren uns die Kriterien Geschlecht, Altersstreuung, ethnische Zugehörigkeit, unterschiedliche räumliche Verortung und Ausbildungsstatus", erklärt Birgit Buchinger den Auswahlprozess. Ebenso wichtig war, sich selbst in den Forschungsprozess einzubringen - und die eigenen Gefühle durch eine begleitende psychoanalytische Supervision zu klären. Doch wie war es möglich, mit den "fremden" Jugendlichen überhaupt ins Gespräch zu kommen? Welche Sprache sollte man verwenden? "Wir haben selbst begonnen, über ,Kids' zu reden", erinnert sich Buchinger. "Es ist deutlich geworden, wie wir selber abwerten." Ein Phänomen, das man auch in den Interviews und Workshops mit insgesamt 58 Erwachsenen feststellen musste. "Bin ich froh, dass ich nicht mehr so sein muss", war ebenso zu hören wie "In diesem Alter haben sie nur Blödsinn im Kopf".

Die Jungen, so die anfängliche Meinung der "Alten", seien visionslos, politisch desinteressiert und stark auf Materielles hin orientiert - eine reine Fun-Gesellschaft eben. Und sie würden sich immer irgendwelchen Szenen zuordnen lassen. Die Interviews mit den Jugendlichen zeigten freilich ein anderes Bild. "Zum Wichtigsten im Leben - und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht oder ethnisch-kultureller Zugehörigkeit - gehören Freundschaft, Vertrauen und Eingebettetsein in soziale Zusammenhänge", heißt es in der Studie. Materielle Güter seien zwar wichtig, doch meist in Verbindung damit, dass Geld oder ein eigenes Auto als Voraussetzung für ein möglichst autonomes Leben gesehen würden.

"Früher sind sie (die Männer, Anm. d. Red.) beim Fenster eingestiegen und heute gehen sie bei der Tür rein. Da ist viel mehr im

Geheimen gegangen, aber gemacht

haben sie es auch."

Pensionierte Landwirtin (57)

Eine große Bedeutung für die Jugendlichen hat indes die eigene Sexualität. "Es wird viel ausprobiert", weiß Buchinger. "Vor allem Mädchen haben sehr viele homoerotische Erfahrungen gemacht." One-night-stands, also einmalige sexuelle Kontakte, seien aus Sicht der Jungen OK, weiß die Forscherin. "Aber es ist nicht das, wie sie grundsätzlich ihre Sexualität leben möchten."

Auch im Bereich der Politik wurde das Bild geklärt: "Das vielfach geortete politische Desinteresse entpuppt sich - wenn überhaupt - als Distanz zu traditionellen politischen Parteien", stellen die Jugendforscherinnen fest. Desgleichen hätte man die viel zitierte "Label-Hörigkeit", also die Fixierung auf Marken, nicht vorgefunden. "Die klar definierten Jugendszenen werden unserer Meinung nach vor allem von den Textilfirmen und von der Forschungsliteratur produziert", meint Birgit Buchinger. Die Jugendlichen selbst seien vor allem eines: heterogen und bunt.

Dieses Bedürfnis nach Individualität sollte man sich nicht zuletzt in der Hauptschule Ohlsdorf bewusst machen, rät Buchinger: "Den Jungen ist wichtig, das zu tun, was sie wollen. Schuluniformen würden wohl abgewehrt."

Informationen: www.solution.co.at

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