Begegnung mit dem Vietcong, 25 Jahre danach

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1975 wurde der Krieg in Vietnam endgültig beendet, vergessen ist er nicht

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1975 wurde der Krieg in Vietnam endgültig beendet, vergessen ist er nicht

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Der Krieg ist 25 Jahre vorbei. Sonst wäre in unserem Auto die Hölle los. Nguyen Van Nghia, unser Führer, war nämlich im Sold der US-Army und Ca Thao Nguyen, unser Fahrer, war ein Vietcong. Jetzt sitzen sie einträchtig nebeneinander und begleiten uns von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, nach Hue, der alten Kaiserstadt. Soviel weiß unser Fahrer aber noch von seiner glorreichen Geschichte, daß er uns erklärt, daß Vietcong eigentlich eine Beleidigung, ein Schimpfwort der US-Amerikaner ist. Er war aber ein FNL, ein Mitglied der Befreiungsfront.

Auf Händen und Füßen kriechen wir durch den Lehm. Der Gang ist lang und schmal und vielleicht gerade einen Meter hoch. Vor mir spüre ich die Sandalen des "guides", hinter mir den schnellen Atem der anderen. Es ist stockdunkel, keuchend tasten wir uns vor. Mein T-Shirt ist naß, die Augen tränen, die Luft ist stickig und schwül.

Wo wir nur um Atem ringen wurde vor 30 Jahren brutal gekämpft. Die Tunnels von CuChi, 60 Kilometer nordwestlich von Saigon, waren eines der größten Geheimnisse des Vietnamkrieges. Die verwinkelten Stollen, die 1968 als Hauptquartier für die Tet-Offensive und die Besetzung der US-Botschaft dienten, erstreckten sich über 200 Kilometer unter der Erde. "Sie hatten bis zu drei Stockwerke und waren bis zu dreizehn Meter tief", erklärt Ca Thao Nguyen, der Führer. Klein und schlank, wie die meisten Vietnamesen, hat er mit der Enge kein Problem.

Heute sind die Tunnels von CuChi eine der am meisten besuchten Attraktionen im auflebenden Kriegstourismus. Die Dschungelfestung Dien Bien Phu, wo die Franzosen 1954 ihre entscheidende Niederlage erlitten, liegt zu abseits im Norden nahe der kambodschanischen Grenze. Und nach My Lai, wo die GIs am 16. März 1968 über 500 Kinder, Frauen und Greise massakrierten, verirren sich auch nur wenige Besucher. In CuChi zählt man mittlerweile jährlich über 50.000 Besucher. "Hauptsächlich Amerikaner", schmunzelt Huynh Kinh Quoc, der Begleiter durch den Tunnel. Ganz kann er nicht verstehen, daß die Amerikaner zu den Plätzen ihrer Alpträume zurückkehren.

Leicht ergraute Veteranen lassen sich von ihren früheren Feinden, die man wieder in originale Uniformen des Vietcong gesteckt hat, durch die Tunnels führen. Zwei Sektoren sind bislang "renoviert" und erweitert worden, damit auch weniger kleinwüchsige und wohlbeleibtere Touristen durchkriechen können.

Die ersten Höhlen wurden schon in den fünfziger Jahren in die Erde von CuChi gegraben, um die Kämpfer und Familien des Vietminh, der 1941 von Ho Chi Minh gegründeten Unabhängigkeitsbewegung Indochinas, vor den Razzien der Französischen Fremdenlegion zu verstecken. Nach 1960, als die US-Amerikaner die Franzosen ablösten, wurden die Tunnels systematisch ausgebaut. Die Amerikaner errichteten über dem Tunnelnetz sogar ein Basislager. Es dauerte lange, bis sie begriffen, woher die nächtlichen Vietcong-Angriffe kamen. Über der Erde und bei Tag herrschten die US-Soldaten, unter der Erde und bei Nacht gehörte das Land dem Vietcong. CuChi wurde zur "free fire zone" erklärt: Es durfte auf jedes Lebewesen ohne Warnung geschossen werden. Der Dschungel wurde entlaubt und mit Napalm niedergebrannt.

Eine Panzerstunde nordwestlich der südvietnamesischen Hauptstadt entstand eine ganze unterirdische Stadt. Bis zu 30.000 Befreiungskämpfer trotzten in den dunklen, schwülen und feuchten Tunneln den Bomben der B-52-Bomber. In der Stadt unter der Erde gab es eine militärische Kommandozentrale, Versammlungs- und Operationssäle, Küchen, Vorratskammern und Waffendepots. Die engen und verwinkelten Gänge waren mit unzähligen Fallen versehen.

Wenn man nicht gerade unter Platzangst leidet, ist der Abstieg in das Labyrinth ein abenteuerliches Erlebnis. Gebückt kriechen wir vorsichtig über den staubigen Boden. Die Gänge sind etwa 1,20 Meter breit und nur einen Meter hoch. Die feuchtheiße Nacht ist beklemmend, ab und zu schwirrt eine Fledermaus vorbei. Endlich, nach vergleichsweise kurzen 50 Metern, weitet sich der Gang, wir sind im Kommandobunker. Zwei Stockwerke und neun Meter unter der Erdoberfläche. Ein langer Tisch, ein kleiner Tisch für den Kommandanten und eine Generalstabskarte, das ist die spartanische Einrichtung. Das Lazarett ist noch spärlicher eingerichtet. Eine Holzpritsche aus Rundlingen, ein weißes Leinentuch und ein Moskitonetz. Um zum Lazarett zu gelangen, müssen wir eine Fallgrube überqueren. Im Krieg war sie getarnt und mit tödlich-giftigen Bambusspeerspitzen versehen.

Wieder an der Oberfläche ringen wir schweißgebadet um Luft. Im Krieg versorgte ein durchdachtes Röhrensystem die Aufständischen mit Luft. Die Eingänge waren ausgezeichnet getarnt. Wir sehen sie erst, als wir direkt über ihnen stehen. "Im Krieg wäre es jetzt zu spät gewesen!", freut sich Huynh Kinh Quoc über unsere Überraschung. "Manche Ein- und Ausgänge endeten sogar unterirdisch in einem See oder Flußlauf und waren überhaupt nicht zu finden", erklärt er uns.

Ein Video informiert über das tausendfache Sterben im Kampf gegen den imperialistischen Feind. 12.000 Vietcong starben hier in CuChi. Während des ganzen Krieges, der erst durch die Friedensverträge von Paris 1973 beziehungsweise den Sieg des Nordens 1975 beendet wurde, wurden drei Millionen Vietnamesen und 52.000 US-Soldaten getötet.

Wer noch nicht genug vom Krieg hat, dem wird für einen Dollar noch ein "Schießerlebnis" im Dschungel geboten. Das akustische Knattern der Maschinengewehre soll einen möglichst echten Eindruck vermitteln. Viele Veteranen lassen sich das nicht entgehen: Noch einmal, so wie damals, ungezieltes Dauerfeuer in den Dschungel ...

RÜCKBLICK Der lange Weg zum Frieden Im ersten Krieg, dem französischen Vietnam- oder Indochinakrieg von 1946 bis 1954 kämpfte der Vietminh unter Führung von Ho Chi Minh gegen die französische Kolonialmacht.

Mit der Niederlage in der Schlacht bei Dien Bien Phu endete 1954 die 150jährige französische Kolonialherrschaft. Bei der Genfer Indochina-Konferenz wurde die Teilung Vietnams am 17. Breitengrad vereinbart. Der Norden fiel an die Kommunisten unter Ho Chi Minh, der Süden an die "Demokraten" unter Ngo Dinh Diem. Da die südvietnamesische Regierung die für 1956 vorgesehene Volksabstimmung über die Wiedervereinigung verhinderte, begann der zweite Vietnamkrieg. Ab 1957 verstärkte sich die Guerillatätigkeit des kommunistisch geführten Vietcong. Um die Ausbreitung des Kommunismus (Dominotheorie) zu verhindern, entsandten die USA 1961 erste Militärberater. Der Tonkin-Zwischenfall, bei dem 1964 angeblich US-Zerstörer von nordvietnamesischen Schnellbooten beschossen worden waren, diente als Anlaß für einen Einsatz eigener US-Streitkräfte. 1968 war über eine halbe Million Soldaten im Kriegseinsatz. Der Einsatz dauerte bis 1973.

Massivste Bombardierungen konnten weder den Kriegsverlauf entscheiden, noch die zunehmenden Proteste in der Heimat beenden. Als die Tet-Offensive zeigte, daß der Krieg nicht zu gewinnen war, begann 1969 der US-Truppabzug. Nach zähen Verhandlungen wurde der Krieg 1973 formell beendet. Die Kämpfe dauerten an und endeten erst mit dem totalem Zusammenbruch des Südens und der Eroberung Saigons am 30.April.1975.

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