Behebung einer Peinlichkeit

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Mehr als ein Jahr nach Einführung des Unterrichtsfaches "Politische Bildung" wurde nun das dazugehörige Schulbuch vorgestellt. Trotz dieser Verspätung verdient die Publikation Respekt.

Nach 25-jähriger Diskussion geschah im Sommer 2001 etwas Unglaubliches: Das österreichische Parlament beschloss mit den Stimmen aller Parteien für die AHS-Oberstufe in Verbindung mit Geschichte und Sozialkunde die Einführung des Unterrichtsfaches Politische Bildung.

Weil aber für die Endfassung des entsprechenden Gesetzes die Jahreszahl der beabsichtigten Facheinführung (2002) verlorenging, musste "ab sofort" unterrichtet werden. Die Lehrerinnen und Lehrer erfuhren im Urlaub aus den Medien oder offiziell mit Schulbeginn, dass sie plötzlich ein neues Fach zu unterrichten hätten. Es gab eine in aller Eile konzipierte Lehrerfortbildung, aber noch keinen Lehrplan und vor allem keinerlei spezifische Unterrichtsmaterialien.

Die erste Leistung des neuen Schulbuches "Politische Bildung" ist daher seine Existenz. Unter schwierigen Rahmenbedingungen, nämlich anfangs nur zu vermutenden Lehrplaninhalten und den bürokratischen Mühen einer Schulbuchapprobation, gelang der große Wurf. Eine ursprünglich allgemein geplante Publikation zur politischen Bildungsarbeit wurde als Kombination von themenbezogenen Artikel und didaktischen Empfehlungen zum AHS-Schulbuch.

Ja, es handelt sich sogar um das allererste Schulbuch ausschließlich für Politische Bildung in Österreich. Das ist beschämend für das Land. Die nunmehrige Behebung dieser Peinlichkeit verdient aber Respekt gegenüber den Herausgebern.

Die zweite Leistung des Buches ist inhaltlicher Natur. Das Themenspektrum reicht von einer Einführung in Politik und Demokratie über die institutionelle Struktur der Politik in Österreich und der EU bis zu ausgewählten Politikfeldern. Allgemein steht das Verhältnis von Macht und Kontrolle in der Politik im Mittelpunkt.

Zum Beispiel verknüpft Christian Schaller theoretische Grundlagen sehr gut mit unterschiedlichen Möglichkeiten des Demokratieverständnisses. Sehr informativ beschreibt Ferdinand Karlhofer politische Akteure und ihre Interessenslagen. Von den Politikfeldern wird insbesondere die Sozial- und Wirtschaftspolitik von Emmerich Talos und Brigitte Unger brillant dargestellt.

Das Buch hat aber auch inhaltliche Schwächen. Manchmal sind die didaktischen Tipps engagierter als von einzelnen WissenschafterInnen abgelieferte Beiträge. Lieblos und am Rande einer Themenverfehlung ist etwa das Kapitel über "Medienpolitik". Im Zeitalter einer Mediendemokratie und vor dem Hintergrund medial ausgetragener Wahlkämpfe wäre es wichtig gewesen, den Bereich politische Kommunikation ausführlicher aus wissenschaftlicher Sicht zu analysieren.

Zu wenig findet sich über Wahlen und sonstige Formen politischer Beteiligung. Globale Aspekte beziehungsweise der Themenbereich Internationale Politik sind trotz Bemühens ebenfalls unterrepräsentiert. Ein Vergleich Österreichs mit anderen politischen Systemen fehlt. Doch ich gebe zu: Die Themenliste eines so ehrgeizigen Buchprojektes kann niemals vollständig sein. Der umfangreiche Textteil und die sehr anschaulichen Grafiken führen ohnehin zu einer Buchstaben- und Bildfülle mit gewöhnungsbedürftigem Layout. Schließlich müssen aber Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. AHS-Klasse umfassend unterrichtet werden, die als 16- bis 18-Jährige wahlberechtigt sein sollen. Wenn das Wahlalter in naher Zukunft generell auf 16 Jahre gesenkt wird, macht das nur bei einer gleichzeitigen Ausbildung von mündigen jungen Bürgern Sinn. Das Buch liefert jedenfalls über den AHS-Schulbereich hinaus einen zentralen Beitrag dazu.

Der Autor ist Ao. Universitätsprofessor für Politikwissenschaft und Abteilungsleiter für Politische Bildung am Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Innsbruck.

POLITISCHE BILDUNG

Grundlagen - Zugänge - Materialien.

Von Herbert Dachs und Heinz Fassmann (Hg.), Verlag öbv et hbt, Wien 2002,

232 Seiten, kart., e 14,-.

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