Bei den "Arabern des Biosprits"

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Mehr Mais im Tank bedeutet mehr Hungernde auf der Welt, mehr gerodete Regenwälder, weniger Wasser, aber nicht unbedingt eine bessere Klimabilanz.

Mit dem Messer drei Kreuze auf den Brotlaib gezeichnet, bevor dieser angeschnitten wird; oder die strenge Mahnung an die Kinder, nur ja nicht mit dem Essen zu spielen oder Brotkrümel achtlos vom Tisch zu wischen oder gar Lebensmittel wegzuwerfen - mit dem Sterben der Urgroßelterngeneration, die Hungersnöte am eigenen Leib erlitten hat, wird der ehrfurchtsvolle Umgang mit Lebensmitteln zusehends weniger; jeder Blick in die Mülltonnen beweist diesen Gesinnungswandel.

Das mag mit ein Grund sein, dass moralische Bedenken gegenüber Biotreibstoffen bislang keine Breitenwirkung über den Kreis von Moraltheologen oder Ethikprofessoren hinaus entwickeln konnten. Biosprit, sprich das Verheizen von Lebensmitteln, verdankt seinen guten Ruf, sich als saubere Alternative zum schmutzigen Erdöl präsentieren zu können.

Moralisches Tank-Dilemma

Doch das gute Image der Treibstoffe vom Acker bekommt Kratzer: Zum einen fällt die Klimabilanz nicht so grün aus, wie erhofft (siehe Interview unten); zum anderen stürzt Biosprit Mann und Frau am Steuer in ein schweres moralisches Dilemma, das Stefan Tangermann, Direktor für Handel und Landwirtschaft bei der OECD in Paris, so zusammenfasst: "Mehr Mais im Tank bedeutet mehr Hungernde in den Entwicklungsländern." Für Silva Herrmann, Energiereferentin bei Global 2000, kommt die Entscheidung zwischen einer Tankfüllung auf Erdöl-oder Biosprit-Basis gleich "der Wahl zwischen Skylla und Charybdis, zwischen Pest und Cholera, zwischen Klimakollaps oder Nahrungsmittelkonkurrenz".

Anfang des Jahres haben zehntausende Menschen in Mexiko-Stadt gegen den Anstieg der Tortilla-Preise und den dafür verantwortlich gemachten Präsidenten demonstriert. Die Maismehl-Fladen sind ein Grundnahrungsmittel in Mexiko, das besonders in armen Haushalten zu fast jeder Mahlzeit gehört. Der Grund für die Verdreifachung des Tortilla-Preises auf 15 Peso (ein Euro) pro Kilo ist die wachsende Nachfrage in den USA nach dem eigenen Mais gewesen, um daraus Biosprit zu erzeugen. Der auf den Maisimport angewiesenen mexikanischen Regierung blieb nichts anderes übrig, als die "nationale Krise" durch Spezialabkommen mit Großhändlern und Preisstützungen zu entschärfen.

Geflügelindustrie bedroht

"Autos, nicht Menschen verbrauchen den größten Teil des Getreides, das 2006 im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich verarbeitet wurde", hat Lester Brown, der Präsident des Earth Policy Institute in Washington, errechnet. Laut Brown, der mit seinen Schriften bedeutenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Umwelt- und Ernährungsproblemen nimmt, hat sich die Getreidemenge, die zum Biosprit Ethanol verarbeitet wird, in fünf Jahren verdreifacht.

Mais importierende Länder wie Japan, Ägypten oder eben Mexiko befürchten bereits, dass die absehbare Kürzung der Maisexporte aus den USA ihre Vieh- und Geflügelindustrie bedroht. Brown liefert auch ein anschauliches Beispiel dafür, wieviel Getreide man für einen vollen 80-Liter Ethanol-Autotank braucht: "Mit der Menge könnte man einen Menschen ein Jahr lang ernähren."

Treibstoff aus Biomasse wird vor allem in Brasilien, den USA und Westeuropa hergestellt. Doch auch in China und Indien sperren mehr und mehr Ethanol-Fabriken auf. Afrika, besonders Südafrika, will ebenfalls vom Biosprit-Boom profitieren. Aufgrund der riesigen brach liegenden landwirtschaftlichen Flächen auf dem schwarzen Kontinent glaubt man im Süden, dass gerade die Afrikaner das Potenzial haben, "die Araber der Biotreibstoff-Industrie" zu werden. Warnungen, der bewässerungsintensive Anbau der Biosprit-Ausgangsprodukte könnte die Wasserproblematik in der südlichen Hemisphäre noch weiter zuspitzen, finden angesichts der Goldgräber-Stimmung wenig Gehör.

Brasilien ist der größte Zuckerproduzent der Welt und verarbeitet die Hälfte der Ernte zu Ethanol. Den Vorwurf, der Anbau von Biotreibstoffen verbrauche zuviel Wasser (siehe auch Seite 3) und verknappe die Lebensmittel, lässt Präsident Lula da Silva nicht gelten: "Wir wählen nicht zwischen Lebensmitteln und Energieerzeugung - wir brauchen beides." Bei einem Brüssel-Besuch Anfang Juli antwortete er auf die Kritik aus der EU, Biotreibstoffe müssten auch in Brasilien nachhaltig erzeugt werden: Nicht die Produktion von Agroenergie nimmt den Menschen Lebensmittel weg, sondern die Subventions- und Zollpolitik der reichen Länder. "In Afrika, Lateinamerika, Asien gibt es Land und Sonne, aber Finanzierung und Technologien fehlen. Man muss jetzt denen eine Chance geben, die im 20. Jahrhundert keine hatten."

Mehr Fleisch - weniger Korn

Unter die Räder kommen bei diesem Energie-Wettlauf die tropischen Wälder. Der Großteil der Regenwald-Abholzung in Südostasien resultiert aus der Nachfrage nach Palmöl; im Fall von Brasilien ist es der steigende Bedarf an Zuckerrohr und Sojaöl. Doch nicht nur die Biosprit-Produktion treibt den Getreidepreis in die Höhe. Die wachsende Mittelschicht in China und Indien isst mehr Fleisch und lässt den Getreideverbrauch in der Schlachtviehzucht kräftig wachsen. "Seit acht Jahren ist der weltweite Getreideverbrauch größer als die Produktion", sagt der deutsche Getreidemarktanalyst Jan Peters. Die Getreidelager sind so leer wie schon sehr lange nicht mehr, für Peters heißt das: "Die Welt kann sich künftig keine Missernten mehr erlauben."

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