Bei Helfern und Träumern in Idomeni

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Der griechische Grenzort Idomeni ist zum unfreiwilligen Hotspot der europäischen Flüchtlingskrise geworden. Die täglichen Dramen der Heimatlosen sind bekannt. Aber wer sind die zumeist freiwilligen Helfer, die dort tätig sind? Ein Lokalaugenschein.

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Der griechische Grenzort Idomeni ist zum unfreiwilligen Hotspot der europäischen Flüchtlingskrise geworden. Die täglichen Dramen der Heimatlosen sind bekannt. Aber wer sind die zumeist freiwilligen Helfer, die dort tätig sind? Ein Lokalaugenschein.

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Wer nach Idomeni kommt, begreift schnell. Das ist nicht einfach nur ein Lager. Menschen, allein oder in kleinen Gruppen, sind entlang der Straßen schon Kilometer zuvor zu sehen. Dass sie Flüchtlinge sind, ist nicht zu übersehen. Offenbar haben sie Zeit; tragen manchmal in kleines Bündel mit sich. An unzähligen Orten weit ins Binnenland hinein gibt es Ansammlungen von Zelten und Behausungen.

Wer immer die sogenannten Wurfzelte erfunden haben mag - hier kommen sie zu hunderten zur Geltung; gleiches ließe sich von den Plastik-Toilettenboxen sagen. Eine Tankstelle mit Pensionsbetrieb ist umfunktioniert. Rund um die Zapfhähne Zelte. Die es sich noch leisten können, halten sich dort mit ihren Möglichkeiten über Wasser, haben sich ein Zimmer gemietet, beziehen Nahrung, sitzen im Restaurant und warten und reden und warten.

Trauriges Zusammentreffen

Gegen Idomeni zu wird es unübersichtlich: Über einem weiten Feld verteilt, entlang des alten und des neuen Grenzbahnhofs und nahe am neu errichteten Grenzzaun lagern Tausende. Beißender Rauch. Nicht allein, um sich zu wärmen oder etwas zu kochen, brennen überall die kleinen Lagerfeuer -offenbar vielmehr einfach, um irgendetwas gegen die Langeweile tun zu können. Hunderte kleiner Feuer werden gehütet oder aber qualmen noch Stunden verlassen vor sich hin.

Seltsam: Die Stimmung scheint gespannt, aber sie ist dennoch friedlich. Zu keinem Zeitpunkt mag man sich als Außenstehender unsicher fühlen. Internationale Helfer, Kamerateams, Journalisten, Besucher überall.

Da gibt es organisierte Zelte vom UNHCR und von Ärzte ohne Grenzen. Auch wird das Lager gereinigt; die Sanitäranlagen funktionieren und werden sauber gehalten. Griechische Uniformierte stehen in Habacht-Stellung. Und neben dieser Bereitstellung der Grunderfordernisse scheint es eine ganze alternative Helferkultur zu geben. Erleichterung: Da sind junge Menschen, die in ihren Semesterferien kommen und Kinderprogramm anbieten.

Anna hat ihren Kleinbus mit gesammelten Hilfsgütern gefüllt, ist mit Freunden hergefahren und hilft nun im Kinderprogramm. Im gut gefüllten Kinozelt läuft "Mr. Bean". Nur lacht dort niemand. Ein polnisches Auto hat den Kofferraum geöffnet: Helfer blasen bunte Luftballons auf und verteilen sie an Kinder.

Helfer und Träumer

Eine andere Gruppe verteilt Bananen. Michael, ein Student aus der Schweiz, stellt sich als der Begründer des "Team Banana" vor. Eine Banane ist immer sauber von einer Schale umhüllt und sie schmeckt nahezu jedem, sagt er. In den Morgenstunden werden sie kistenweise verteilt, um den ersten Hunger zu stellen.

Jetzt will er zu seinem Bananenprojekt einen internationalen Verein gründen. Hin und wieder sind Mitglieder der "Supreme Master Ching Hai International Association" zu sehen.

Lekri, eine australische Anhängerin, erklärt, wie durch vegane Lebensweise und durch Meditation der Friede in der Welt sich deutlich beschleunigen lässt. Sie wollen hier meditieren und bei den Menschen sein. An einer anderen Stelle verteilt die Organisation "a drop in the ocean" Kleidung.

Heute gibt es Pullover für Männer; geduldig stehen diese wartend in der Schlange. An einer Essensausgabe steht ein jugendlicher Helfer und verteilt Brot; auf seinem T-Shirt ist die Aufschrift eingedruckt: "Warum soll ich mein Zimmer aufräumen, wenn doch die Welt ein Chaos ist."

Ganz offenkundig hat er sich dafür entschieden, beim Chaos der Welt anzusetzen. An einer anderen Stelle arbeiten zwei Frauen der "northern lights aid". Sie haben begonnen, die Zelte der Flüchtlinge zu nummerieren, um einen besseren Überblick zu bekommen, wie sie sagen.

Die Organisation habe sie selbst gegründet, erklärt die Norwegerin Charly, die schon seit einem halben Jahr in Lesbos und nun hier tätig ist. In allem schwirren Kinder umher, suchen körperliche Nähe, wollen von Helfern auf den Arm genommen werden, suchen Zuwendung.

Was mag die Helfer bewegen, hier zu sein? Ihr Engagement berührt. Ein Segen, dass es sie gibt. Und zugleich: Gibt es denn niemanden, der hier übergreifend organisiert? Hat niemand einen Überblick über Motivation, Ziele und Möglichkeiten? Doch tatsächlich gibt es so etwas wie ein sich selbst organisierendes Hauptquartier aller informellen Helfer im zehn Kilometer entfernten Polykastro.

Um das "Park Hotel", einer in die Jahre gekommenen Baracke, hat sich eine alternative Kultur von Helferzelten entwickelt. Dies übt offenbar eine große Anziehung auf Aussteiger und Weltenbummler aus, die sich hier auch einfinden.

Auch hier brennen kleine Feuer; auch hier sitzen Menschen, die offenbar viel Zeit haben. Im Hotel selbst gibt es Gebäck, Nudelund Bohnengericht und auch Nescafé. In der Lobby hängen Listen und Pläne aus; Infos und Übersichtskarten sind dort zu finden. Die Hilfe organisiert sich selbst: Wer Gemüse für die Helfer schnippelt oder Kleider sortiert. Für alles hängt hier eine Liste.

Umschlagplatz für Information

Hier tauschen die Helfer ihre Neuigkeiten aus, was sie gehört haben und was sich wohl heute ereignen werde. Manche Erkenntnisse lassen sich Stunden später in anderen, fortentwickelten Varianten an anderen Orten wieder hören. Manches kommt dann tatsächlich so: Zum Beispiel dass Flüchtlinge die Autobahn blockieren wollen. Das ereignet sich dann auch so in den Nachmittagstunden. Man mag sich fragen, wie genau es zu solchen Initiativen kommt.

Am allerwenigsten haben die Flüchtlinge selbst den Überblick über das, was geschieht. Ihre Bilder gehen um die Welt. Und vergessen sind sie nicht -dazu sind zum Glück genug Menschen aus aller Welt um sie herum. Sie können nur abwarten, was mit ihnen geschieht. Sie haben keine Ahnung, was sie erwartet oder wie es mit ihnen weitergeht. Niemand scheint ihnen zu sagen, dass sich diese Grenze wohl nicht öffnen wird. Dass sie dies eines Tages einsehen und in die immer bereit stehenden Busse nach Athen einsteigen werden müssen.

Idomeni ist keine Ortbezeichnung. Idomeni steht für vieles: Für Chaos und Selbstorganisation, für Ratlosigkeit und Engagement, für Misere und Hoffnung. Und die stirbt ja bekanntlich zuletzt.

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