Beispiel Ehescheidung: Wer sorgt fürs Kind?

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Islamisches Familienrecht geht von den sozialen Verhältnissen und Beziehungen einer Großfamilie aus. Das Privatrecht westlicher Gesellschaften hat zunächst die Einzelperson im Blick: So prüft das österreichische Recht bei einer Ehescheidung das "Kindeswohl", um zu entscheiden, ob Kinder einer geschiedenen Ehe dem Mann oder der Frau zugesprochen werden. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle geht dabei das Sorgerecht auf die Frau über. Das islamische Recht dagegen geht nicht von einem im Einzelfall zu beurteilenden Kindeswohl, sondern von den Regelungen der Scharia aus. Demnach liegt das Sorgerecht für einen Knaben, der älter als sieben Jahre ist, beim Vater, Mädchen hingegen bleiben in der Regel bis zur Verheiratung in der Obsorge der Mutter (zur Stellung der Frau im islamischen Recht: siehe die nächste Folge der furche-Serie).

Aufgrund der Verweisungsnormen des Internationalen Privatrechts kann es - etwa bei einem Scheidungsfall zwischen Staatsbürgern eines islamischen Landes - zur Anwendung des Rechts des islamischen Heimatlandes durch ein österreichisches Gericht kommen.

Komplizierter wird es, wenn auch im islamischen Land ein westliches Rechtssystem gilt: So hat die Türkei 1926 die Bestimmungen des Schweizer Zivilgesetzbuches übernommen. Ähnliches gilt, wenn sich Muslime mit österreichischer Staatsbürgerschaft scheiden lassen wollen: Hier erfolgt die Rechtsprechung nach inländischem Recht.

Islamisches Recht kann dennoch indirekt zur Anwendung kommen, indem sich Muslime bei einer Scheidung dem Spruch des Rechtsgelehrten ihrer muslimischen Gemeinde in Österreich unterwerfen: Durch diese außergerichtliche Einigung können sie etwa die getrennte Obsorge von männlichen und weiblichen Kindern vereinbaren und dem österreichischen Richter dies im Scheidungsvergleich vorlegen. ofri

FAMILIENKONFLIKTE ZWISCHEN SCHARIA UND BÜRGERLICHEM RECHT. Konfliktlösungsmodell im Vorfeld der Justiz am Beispiel Österreichs. Von Martina Schmied. Peter Lang Verlag, Frankfurt 1999. 202 S., kt., öS 467,-/e 33,94

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