"Bettler als Jukebox für das Seelenheil"

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Joachim Hainzl, Grazer Sozialhistoriker und Obmann von "Xenos -Verein zur Förderung der soziokulturellen Vielfalt", über den veränderten Umgang mit bettelnden Menschen und politische Entkriminalisierungs-Versuche.

DIE FURCHE: Herr Hainzl, inwiefern war der Umgang mit bettelnden Menschen früher anders?

Joachim Hainzl: Die "gute alte Zeit" gibt es nicht. Aber etwa bis zur Neuzeit, also bis zum Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert, hatten Bettlerinnen und Bettler in Gesellschaften wie unserer, die sehr stark Jenseits-orientiert waren, eine wichtige Funktion -und zwar die einer Jukebox, in die man Geld einwirft und von der man dafür zum Dank hört: "Lieber Herrgott, vergelt's dem edlen Spender." Das heißt, der Bettler und die Bettlerin wurden gebraucht als Mittels-Person zwischen mir und Gott. Im Endeffekt war es dabei recht egal, ob die Person, der man auf der Straße etwas gegeben hat, tatsächlich arm war oder das lediglich vorgegeben hat. Was zählte, war vielmehr Dankbarkeit in Form eines Gebets. Das alles änderte sich mit dem Beginn der Neuzeit, als es plötzlich um die Regelung und Verwaltung auf städtischer Ebene im Diesseits ging und die Magistrate begonnen haben, den Bereich des Bettelns simpel zu verwalten.

DIE FURCHE: Aktuell ist Betteln - sprich: das Bitten um Almosen -in Österreich ja teilweise erlaubt

Hainzl: Das war nicht immer so. Bis 1975 fiel Betteln gemäß dem sogenannten Landstreicher-Paragrafen unter das Strafgesetz. Die Rechtsreformen der 1970er-Jahre sollten gesellschaftliche Bereiche liberalisieren, in welchen der Staat im Bereich der Gesetzgebung moralisierend einwirkte, mit dem Ergebnis, dass Themen wie Abtreibung, Homosexualität, Scheidung oder Betteln aus dem Strafgesetz herausgenommen worden sind. Das ist der wichtige Paradigmenwechsel, mit dem die Entkriminalisierung des Bettelns auf Bundesebene eingesetzt hat. Heute hingegen gehen wir auf Länder-und Kommunenebene mit zahlreichen Bettelverboten wieder zurück ins düstere Biedermeier ganz im Foucault'schen Sinn von "Überwachen und Strafen".

DIE FURCHE: Sie sprechen die in Österreich immer wieder auf Länderebene diskutierten Bettel-Totalverbote an. Warum erhitzt die Bettel-Debatte so sehr die Gemüter?

Hainzl: Im Grunde geht es hier um eine "Sozialschmarotzer-Debatte", die sich seit dem 15. beziehungsweise seit dem 16. Jahrhundert nicht geändert hat. Genau dieses Faktum macht für mich das Thema "Betteln" auch so faszinierend: Es geht um Ressentiments und Einstellungen, die teils viele hunderte Jahre alt sind. Menschen, die ideologisch Wert legen auf Leistung oder auf Pflichten der Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, schaffen es nur schwer, über ihren Schatten zu springen. Sie interpretieren auf der Straße bettelnde Menschen als Angriff auf ihre Lebenseinstellung und auf ihre persönlichen gesellschaftlichen Vorstellungen. Darum gibt's auch spezielle Sondergesetzgebungen gegen "Bettelei" in Landessicherheitsgesetzen.

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