Bildung - die ewige BAUSTELLE

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Österreichs Schulverwaltung soll generalsaniert werden. Das wäre nichts Neues, stünde diesmal nicht die Autonomie im Fokus. Eine Analyse.

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Österreichs Schulverwaltung soll generalsaniert werden. Das wäre nichts Neues, stünde diesmal nicht die Autonomie im Fokus. Eine Analyse.

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Der Titel lässt Großes erhoffen. "Freiraum für Österreichs Schulen" nennt sich jenes Papier, das die "Expertengruppe Schulverwaltung" Anfang März der "Bildungsreformkommission" - bestehend aus Regierungsvertretern und Landeshauptleuten - übergeben hat. Tatsächlich atmet dieses Dokument, das nicht öffentlich präsentiert wurde, aber der FURCHE vorliegt, über weite Strecken einen neuen Geist: Die Schulorganisation soll der Schulqualität und den Schülerinnen und Schülern dienen - und nicht umgekehrt. Möglich werden soll dies durch einen Ausbau der Schulautonomie, der vielen auch als Königsweg abseits des ewigen Streitthemas Gesamtschule erscheint. Die enttäuschende Evaluation der "Neuen Mittelschule" hat diese Debatte zugleich aber wieder angefacht. Ein guter Grund, sich die größten schulorganisatorischen Baustellen näher anzusehen.

1. AUFGEBLASENE VERWALTUNG

Derzeit ist Österreichs Schulverwaltung heillos zersplittert: Zu den Schulabteilungen der Landesregierungen, die für die Pflichtschulen zuständig sind, kommen etwa in den Ländern noch die Landesschulräte als Behörden des Bundes. (Die Bezirksschulräte wurden erst vor Kurzem abgeschafft.) Diese Mehrgleisigkeit ist teuer. Die Expertengruppe Schulverwaltung schlägt ein Modell vor, das die Verwaltungsdichte um 50 reduzieren und Kosteneinsparungen von 20 bis 30 Prozent bringen soll -Mittel, die in die autonomen Schulen zurückfließen müssten. Zentral steuern soll der Bund: Dazu gehört das Festlegen von Lehrplänen und Bildungsstandards sowie die Qualitätssicherung. Finanziert werden sollen die Schulen über ein Pro-Kopf-Modell und Zusatzmittel, die unter anderem auf einem Sozialindex basieren: je größer die Herausforderungen, desto mehr Ressourcen also.

2. POLITISCHER EINFLUSS

Doch wer soll für die operative Umsetzung der Bundesvorgaben zuständig sein? Sieben der acht Mitglieder der Expertengruppe votieren für "Bildungsdirektionen", die direkt dem Landeshauptmann unterstellt sind. Diese sollen das regionale Bildungsangebot planen, Ressourcen bedarfsgerecht verteilen, als Schulerhalter fungieren und Lehrkräfte sowie Schulleitungen bestellen. Für Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, "kein klares Bekenntnis zur Entparteipolitisierung der Schulverwaltung"; für Neos-Obmann Matthias Strolz sogar der beste Weg, die Schulen in einen "noch eklatanteren Würgegriff der Länder" zu manövrieren.

Auch Christian Friesl, Bereichsleiter für Bildung und Gesellschaft in der Industriellenvereinigung sowie einziges Mitglied der Expertengruppe, das keiner Landes- oder Bundesverwaltungsbehörde angehört, hat gegen die "Bildungsdirektionen" gestimmt. Stattdessen plädiert er (wie die IV im Papier "Beste Bildung für Österreichs Zukunft") für "Schulträger"."Das sind neue und von parteipolitischem Einfluss befreite Organisationen, die die autonomen Schulen unterstützen", erklärt Friesl im FURCHE-Gespräch. "Sie sind dem Bund verantwortlich für die Qualität ihrer Schulen, bestellen Schulleiter und sind Arbeitgeber der Lehrkräfte." Die Länder sind in diesem Konzept nur noch in "Educational Boards" vertreten, die das regionale Bildungsangebot steuern.

Für Wilhelm Zillner, Direktor des BRG/BORG Kirchdorf und AHS-Direktorensprecher, wäre es hingegen kein Problem, wenn die Länder über "Bildungsdirektionen" sein primärer Ansprechpartner wären. "In Oberösterreich funktioniert der Landesschulrat blendend", sagt Zillner. Wobei es in dieser Frage ehrlicherweise "neun verschiedene Zugänge" gebe. Wesentlich sei, dass eine Entscheidung "nicht durch zig Hände gehe" und die Schulen mehr Freiraum erhielten. "Wenn ich 45-statt 50-Minuten-Einheiten machen möchte, muss ich einen Schulversuch beantragen. Und wenn ich einen Sessel kaufen will, geht das bis zur Bundesbuchhaltungsagentur."

3. GEGÄNGELTE SCHULEN

Ähnliche Erfahrungen machen die meisten seiner Kollegen: Laut der OECD-Studie "Education at a Glance" werden in Österreich nur 31 Prozent der schulrelevanten Entscheidungen auf Schulebene getroffen, in den Niederlanden sind es 86 Prozent. Geht es nach dem "Freiraum"-Papier, dann sollen die Schulen künftig über "Gestaltungsspielräume mit hoher Verantwortung in den Bereichen Pädagogik Organisation, Personal und Finanzen" verfügen. Konkret sollen sie bis zu 25 Prozent des Lehrplans autonom gestalten sowie Tagesabläufe, Klassen-und Gruppeneinteilungen oder alternative Beurteilungen festlegen können. Für all diese Schwerpunktsetzungen braucht es laut Expertengruppe allerdings eine kritische Größe

, die in der Volksschule und Sekundarstufe I bei 200 und in der Sekundarstufe II bei 400 Schülern liege. Zwei Drittel aller Direktorenposten würden damit überflüssig. Heißt das, dass einklassige Volksschulen aufgelassen werden müssten? Christian Friesl relativiert: "Diese 200 Schüler können auch an unterschiedlichen Schulstandorten untergebracht sein, aber es braucht eine gemeinsame Leitung, die Gestaltungsspielraum hat und Schwerpunkte setzen kann."

Und die Lehrerauswahl? Sie soll laut Expertenpapier von der Bildungsdirektion "im Einvernehmen mit der Schulleitung" erfolgen - ein weniger radikales Konzept als jenes der Industriellenvereinigung, bei dem sich die Lehrer auf dem freien Arbeitsmarkt bewegen und bei den Schulträgern angestellt werden. Die Schulleiter selbst wünschen sich in Personalfragen "keine Allmacht", wie Wilhelm Zillner sagt, wohl aber ein "Durchgriffsrecht" bei Pädagogen, die etwa ihrer Fortbildungsverpflichtung nicht nachkommen. Ein Direktorenkollege aus Niederösterreich hat noch ganz andere Probleme: Zehn Prozent seiner Lehrkräfte sind nicht fachgeprüft, sondern Studierende oder Quereinsteiger -wie an vielen Schulen. "Wenn ich Ausschreibungen mache und es bewirbt sich nur einer, nützt mir alle Autonomie nichts." An einer Attraktivierung des Lehrberufs führt also kein Weg vorbei. Dazu gehört auch ein adäquater Arbeitsplatz, schließlich soll die Schule der Zukunft laut Experten von 7 bis 18 Uhr geöffnet sein"

4. UND DIE GEMEINSAME SCHULE?

Dazu äußert sich die Expertengruppe vorsichtig positiv: Generell sei eine Reduzierung der Schnittstellen anzudenken, heißt es. "Denkbar" wäre eine Schnittstelle mit 14 Jahren. Ganz im Sinne der IV, die sich für eine gemeinsame Schule aller Sechs- bis 14-Jährigen ausspricht -vorbereitet durch zwei verpflichtende Kindergartenjahre, abgeschlossen durch die "Mittlere Reifeprüfung". Die Evaluierung der "Neuen Mittelschule", die "keine belastbaren Hinweise" erbracht hat, dass das Niveau der NMS über jenem der Hauptschulen liegt (obwohl rund 7200 Euro pro NMS-Schüler und nur 6600 Euro pro Hauptschüler investiert werden), ist für Christian Friesl kein Gegenargument. Zum einen handle es sich bei der NMS um keine gemeinsame Schule, weil die Alternative Gymnasium bestehe. Und zudem hätten die NMS eben nicht die Möglichkeit gehabt, die zusätzlichen Ressourcen autonom und bedarfsgerecht einzusetzen. Im Übrigen sei auch im IV-Modell ein "erweitertes Gymnasium" möglich - indem eine AHS eine Volksschule "adoptiert", für alle Kinder die Verantwortung übernimmt und ihnen mit Hilfe pädagogisch gut ausgebildeten Personals individualisierten Unterricht anbietet.

Wilhelm Zillner empfindet "Individualisierung" hingegen als "abgedroschene Floskel": Auch erfolgreiche Gesamtschulsysteme zeichneten sich durch ein hohes Maß an Differenzierung bzw. homogene Kleingruppen aus. "Alle wie in der NMS in einen Topf zu schmeißen und nur eine Lehrkraft dazuzustellen, führt in den Abgrund." Eine Meinung, die Christian Friesl teilen dürfte. Was aber wünscht sich Zillner? Bessere Aufnahmeverfahren in die AHS, wie sie die Initiative "Pro Gymnasium" fordert, eher nicht -sehrwohl aber ein "Ende des Abzugs von Ressourcen aus den AHS". Laut Rechnungshof fließen hierher nur 4700 Euro pro Schüler.

Vielleicht kommt aber ohnehin bald die transparente, indexbasierte Pro-Kopf-Finanzierung - samt schulischem Freiraum. Noch vor dem Sommer will die Bildungsreformkommission über die Experten-Vorschläge beraten. Was sie konkret kosten oder einsparen helfen, rechnet bis dahin eine "technische Arbeitsgruppe" aus, wie es heißt. Die Baustelle bleibt also spannend.

ZENTRALMATURA

Reifeprüfung mit Pannen

Während eine schlankere Schulverwaltung samt autonomer Schulen noch Zukunftsmusik ist, steht die Zentralmatura als externe Output-Prüfung unmittelbar bevor. Ab 4. Mai müssen alle AHS-Standorte die "standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung" durchlaufen. Die Pannen bei der Organisation füllen seit Monaten die Schlagzeilen: Zuletzt gab es Probleme beim Hochladen der vorwissenschaftlichen Arbeiten und bereits bekannte Beispiele beim Englisch-Probedurchlauf. Nach Ansicht von AHS-Direktorensprecher Wilhelm Zillner würden die Umsetzungsprobleme hingegen "medial hochgespielt". Insgesamt sei die Zentralmatura mit ihrer besseren Vergleichbarkeit "ein Schritt in die richtige Richtung" - und nebenbei in fast allen europäischen Ländern Standard. Heftige Kritik übt er hingegen (wie die IG Autorinnen und Autoren und viele andere, vgl. bildungstief.at) am mangelnden Stellenwert der Literatur bei der Deutsch-Matura -und damit auch im Unterricht. Von sechs Aufgaben, die gewählt werden müssen, verlangt lediglich eine die Interpretation eines literarischen Textes. Der Fokus liegt auf Gebrauchstexten. "Wenn die Literatur in der AHS unter die Räder kommt, verlieren wir in Österreich aber den Zugang zu Literatur, Philosophie und Geschichte", kritisiert Zillner, der selbst Deutsch und Geschichte unterrichtet. Experten des Bundesinstituts für Bildungsforschung (Bifie) prüfen nun zwar ,wie die Literatur bei der Zentralmatura aufgewertet werden kann. Empfehlungen könnten aber frühestens in zwei bis drei Jahren umgesetzt werden, heißt es. (dh)

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