"Bin Produkt des Schmerzes"

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Der Bürgermeister: Dem Kurden Abdul Raman Mustafa wurden unter Saddam seine Rechte verweigert. Deswegen will er heute keine Benachteiligungen gegenüber Minderheiten in Kirkuk zulassen.

Abdul Raman Mustafa braucht ein Büro, um eine Rechtsanwaltskanzlei in seiner Heimatstadt Kirkuk eröffnen zu können, aber er darf sich keines mieten und kaufen schon gar nicht - weil er Kurde ist. Abdul fragt einen Freund, den er vom Studium in Bagdad kennt, ob ihm dieser helfen und eine Räumlichkeit mieten könne. Der Freund hilft, und er darf eine Immobilie erwerben - weil er Araber ist.

Dieser arabisch-kurdische Freundschaftsdienst hat sich in den 1980ern zu Zeiten der anti-kurdischen Repressionen von Diktator Saddam Hussein ereignet; heute ist Abdul Bürgermeister von Kirkuk; die damalige Unterstützung über ethnische Grenzen hinweg hat er aber nicht vergessen: "Ich komme aus den Schmerzen der Stadt Kirkuk", sagt er, "ich bin ein Produkt dieses Schmerzes: Wenn man soviel durchgemacht hat, wenn man so oft seiner Rechte beraubt worden ist, kommt man nicht auf die Idee, andere zu unterdrücken!"

Deswegen versteht Abdul auch nicht, warum sich die beiden anderen großen Bevölkerungsgruppen in Kirkuk, Araber und Turkmenen, so vehement gegen ein Referendum über den Status der Stadt wehren. Denn selbst wenn sich die Mehrheit der Kurden in der Stadt für eine Eingliederung Kirkuks in die autonome Kurdenregion entscheidet, würde sich für Araber und Turkmenen nichts zu ihrem Nachteil ändern. - Abdul: "Ein harmonisches Zusammenleben ist möglich, das haben wir die längste Zeit bewiesen!"

Reichste Stadt, ärmstes Klo

Kirkuk ist eine der reichsten Städte der Welt, in seinen Ölfeldern lagern noch bis zu zehn Milliarden Barrel des schwarzen Goldes mit einem aktuellen Wert von über 120 US-Dollar pro Fass. An guten Tagen fördert Kirkuk die Hälfte der irakischen Ölproduktion - doch in der Herrentoilette im Rathaus der Stadt funktioniert die Spülung nicht, an den Waschbecken fehlen die Armaturen, von den Wänden bröckelt der Putz und über dem dreckigen Gang, der von Sicherheitskräften belagert ist, befindet sich das Büro des Vizebürgermeisters. Der heißt Rakan Said Ali, ist Araber, und obwohl er beteuert, mit dem Bürgermeister sehr gut zum Wohle der Kirkuker Bevölkerung zusammenzuarbeiten, trennen die beiden Stadtobersten Welten.

"Die Araber in der Stadt werden es nie erlauben", sagt Rakan, "dass Kirkuk der Kurdenregion angeschlossen wird!" Das Referendum hätte laut irakischer Verfassung Ende letzten Jahres abgehalten werden müssen. Aufgrund von nationalen und internationalen Protesten, vor allem von der Türkei, die sich für die Turkmenen in Kirkuk stark macht, wurde die Abstimmung verschoben. Für Rakan ist die Sache damit "vorbei". Legitim ist für ihn eine Abstimmung sowieso nur, wenn alle Iraker stimmberechtigt sind. Dann würde Kirkuk an Bagdad angegliedert und die kurdische Ansiedlungspolitik in Kirkuk ins Leere laufen. Der Vize wirft dem Bürgermeister nämlich vor, er würde tausende Kurden in der Stadt ansiedeln, um die Bevölkerungsverteilung zu kurdischen Gunsten zu verändern. Der Bürgermeister kontert, es kämen nur kurdische Familien zurück, die unter Saddam vertrieben worden sind - "und selbst für die haben wir zu wenig Häuser".

Flüchtlingselend im Stadion

Das Fußballstadion von Kirkuk fasst 35.000 Zuschauer und ist eines der drei Stadien im Irak, das internationalen Kriterien entspricht. Seit 2003 wird in diesem Stadion nicht mehr Fußball gespielt; seit dem Sturz des Saddam-Regimes und dem Rückzug von vertriebenen Kurden nach Kirkuk ist es zu einem Flüchtlingslager umfunktioniert - als solches entspricht es nicht einmal den bescheidensten Minimalkriterien. Bis zu 550 Familien hausen in den Umkleidekabinen auf engstem Raum, ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Auf der Laufbahn meckern Ziegen und scharren Hühner, eingezäunt in Lattenverschlägen. Und das Fußballfeld, auf dem sich einst die Stars des Asien Cups Zweikämpfe lieferten, dient heute als verwahrloster Kinderspielplatz.

Faustpfand fürs Referendum

Unter Saddam wäre eine derartig menschenverachtende Unterbringung von Kurden mit internationalem Protest geächtet worden - und jetzt? Jetzt hebt der kurdische Bürgermeister einer der reichsten Städte der Welt zum Zeichen seiner Hilflosigkeit die Schultern und erklärt, die Stadtverwaltung sei mit der Unterbringung der Rückkehrer überfordert. Ganz kann er den Verdacht aber nicht ausräumen, dass diese Flüchtlinge als Druckmittel im Ringen um das Kirkuk-Referendum ausgenützt werden - nach dem Motto: solange der Status und die Besitzverhältnisse nicht geklärt sind, müssen diese Menschen leiden.

Und die Flüchtlinge ärgern die Mitglieder des größten Sportvereins der Stadt, "Olympic Kirkuk", denen wegen dieser Obdachlosen ihre größte Sportstätte abhandengekommen ist. Im Sommer letzten Jahres ist auf das Olympic-Vereinslokal ein Bombenanschlag verübt worden - 92 Sportler und Funktionäre sind ums Leben gekommen. Die Überlebenden haben aber keine Sekunde gezögert, die Sportveranstaltungen fortzusetzen - so wie vorher: ohne ethnische Grenzziehungen.

Das scheint Bürgermeister Abduls Meinung zu bestätigen, der beteuert, dass Kirkuk kein ethnisches, sondern ein Terrorproblem hat: "Ich fürchte mich nicht vor den Kirkukern, ich habe Angst vor den weltweit agierenden Al Kaida-Terroristen." Abduls Vize sieht das - nicht überraschend - völlig anders: Für Rakan ist das Sicherheitsproblem der Stadt eine Folge der kurdischen Alleinherrschaft: "Wenn alle die gleichen Rechte haben, suchen alle nach Sicherheit!" Und was, wenn nicht? Rakan bleibt die Antwort schuldig, aber die Anschläge sprechen sowieso eine deutliche Sprache.

Lesen Sie nächste Woche den letzten Teil dieses "Auch das ist Irak"-Schwerpunkts: Der Lehrer und die Psychologin - Abdullah Sabir und Shler Kamelsaber - kämpfen gegen Minen und die Beschneidung von Frauen.

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