Bis auf weiteres keine Multi-Privilegien

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MAI - Projekt eines heftig umstrittenen internationalen Abkommens, das Auslandsinvestitionen absichern soll: Bis Herbst wurden die Verhandlungen vertagt.

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MAI - Projekt eines heftig umstrittenen internationalen Abkommens, das Auslandsinvestitionen absichern soll: Bis Herbst wurden die Verhandlungen vertagt.

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Auf den Mai freut man sich allgemein. Er verheißt in unseren Breiten Sonne, Wärme und wird mit positiven Gefühlen assoziiert. Das MAI hingegen löst Kontroversen und bei vielen alles andere als positive Gefühle aus. Das MAI ist kein Druck- oder Grammatikfehler. Mit diesen drei Buchstaben wird das multilaterale Abkommen für Investitionen ("Multilateral Agreement on Investments") bezeichnet. Ein Vertragsentwurf, an dem innerhalb der OECD seit 1995 so gut wie hinter verschlossenen Türen gearbeitet wird und das - einmal unterschrieben - enorme Auswirkungen auf internationale Investitionsströme und lokale Gesetzgebungen hätte.

Manfred Schekulin, Chefverhandler Österreichs in Sachen MAI bei der OECD und Beamter des Wirtschaftsministeriums, bezeichnet das MAI als "Versuch der Vereinheitlichung mit dem Ziel, die Transparenz und die Rechtssicherheit im Investitionsbereich zu erhöhen" und die derzeit 1.600 (!) bestehenden Verträge durch einen einzigen zu ersetzen. Prinzipiell sollen ausländische Investoren inländischen gleichgestellt und die Rahmenbedingungen für Investoren überhaupt verbessert werden. Seine Erklärungen für die Sinnhaftigkeit eines solchen Vertrages klingen plausibel, und doch wird die Kritik am MAI immer lauter.

Angelpunkte der Kritik sind neben der Geheimhaltung und dem Ausschluß der Entwicklungsländer an den Verhandlungen (im Gegensatz zur WTO, der Welthandelsorganisation, sind in der OECD nur 29 Industrieländer vertreten) vor allem der weite Begriff der Investition und das einseitige Recht von Investoren, Regierungen zu verklagen, wenn erhoffte Gewinne nicht erzielt werden.

Konkrete Beispiele lassen diese angestrebten Vertragsrechte zum Horrorszenario werden. So etwa das Vorgehen der amerikanischen Firma Metelclat, die in Mexiko eine Giftmülldeponie in der Nähe großer Grundwasserreserven anlegen wollte und - noch vor jeglicher Investition - nach einem negativen Bescheid die mexikanische Regierung auf 80 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt hat.

Oder das Beispiel der amerikanischen Firma Ethyl (siehe Furche 13/1998): Sie versetzte kanadischen Treibstoff mit einem giftigen Zusatzstoff und verklagte die kanadische Regierung auf 250 Millionen US-Dollar, weil diese den Giftstoff in Kanada verbieten ließ und dem Unternehmen damit der Eintritt in diesen gewinnversprechenden Markt verwehrt blieb.

Die Kritiker des MAI sehen nationale Sozial- und Umweltstandards akut gefährdet und fürchten die Aufgabe staatlicher Souveränität. Für sie ist das MAI ein "Quantensprung in der Globalisierung".

Quantensprung der Globalisierung Der in London lebende Nobelpreisträger Jakob von Uexküll bringt es auf den Punkt: "Big government is prisoner of big business" (Die Staatsregierungen werden zu Gefangenen der Großunternehmen). Er bezeichnet die Art der Verhandlungen schlichtweg als demokratiegefährdend insofern, als Wissen mit Macht gleichgesetzt wird und somit kontrolliert werden muß. Das MAI selbst ist für ihn ein Schritt hin zum Ende der Demokratie, da es Bürger und Staaten entmündigt und dem Faktor Angst eine große Rolle beimißt. Er spricht von einer Machtergreifung der Eliten auf Kosten vieler.

Für Pater Gregor Henckel-Donnersmarck, Theologe und Nationalökonom, ist das MAI Häresie in dem Sinn, als "Menschen unter die Räder kommen" und als ein - sinnvolles und seine Berechtigung habendes - Element wie die Investition aus einem System herausgenommen und absolut gesetzt wird. Dieses Element werde dann um jeden Preis geschützt, auch wenn das auf Kosten der Staaten und Menschen, auf Kosten des Arbeitsmarktes und der Ökologie geht. "Das ist absurd", schließt der Zisterzienser donnernd.

Innerhalb weniger Wochen kam es - nach den fast dreijährigen geheimen Verhandlungen - auch in Österreich zu einer Art "Informationsrevolution" in Sachen MAI. Einzelne engagierte Universitätsprofessoren diskutierten mit Verhandlungsleiter Schekulin im Rahmen zahlreicher Podiumsdiskussionen, die Dachorganisation von Entwicklungsorganisationen sprach sich ebenso wie die Gewerkschaft gegen das MAI aus, und die katholische und evangelische Jugend riefen gemeinsam mit anderen Organisationen zu einem Protestmarsch für ein "MAI-freies Österreich" auf.

Klima fordert eine Nachdenkpause Auch auf politischer Ebene wurde das MAI in den letzten Apriltagen zum Thema: Umweltminister Martin Bartenstein und Sozialministerin Eleonore Hostasch lehnten eine Unterzeichnung (derzeit) strikt ab, während Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner das MAI verteidigte. Bundeskanzler Viktor Klima forderte schließlich wegen der zunehmenden Bedenken bezüglich Inhalt und möglicher Konsequenzen des MAI eine Nachdenkpause.

Eben diese "Phase aktiven und innovativen Nachdenkens" wurde in der OECD-Ministerratssitzung am 28. und 29. April (also wenige Tage vor Beginn jenes Monats, in dem der Vertrag ursprünglich unterzeichnet werden sollte) dann auch in Paris ausgerufen, der weitere offizielle Verhandlungsmarathon bis Oktober hinausgeschoben.

Ausschlaggebend dafür dürften neben der sich weltweit verstärkenden Kritik vor allem auch interne Unstimmigkeiten und große Konfliktpunkte wie das für die USA so subjektiv wichtige Helms-Burton-Gesetz sein.

Lore Wallach, Wirtschafts- und Konsumentenanwältin in New York, zeichnet auch für uns in Österreich ein anschaulich dramatisches Bild unseres Alltagslebens mit dem MAI. Es macht den Investor zum "uneingeschränkten Herrn des Weltgeschehens" und würde unser aller Leben drastisch beeinflussen: die kleinen Geschäfte wären verschwunden und durch internationale Konzernfilialen ersetzt, die Gaswerke ebenso privatisiert wie die öffentlichen Verkehrsmittel und die Fernsehsender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch jene von Medienmultis ersetzt.

Über die in Paris verordnete Nachdenkpause sagt sie: "Das MAI ist leider nicht tot, aber Gott sei Dank ein bißchen krank."

Die Autorin ist freie Journalistin.

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