Auf ein Wort
Wie wohltuend war doch die sommerliche Unterbrechung des ständigen Stakkatos von Ängstigung und Widersprüchen rund um die Staatsschuldenkrise. Durch seine Ankündigung, "alles Notwendige“ für die Rettung des Euro zu tun, sorgte EZB-Chef Mario Draghi für angespannte Ruhe. Dann, zu Anfang September, folgte die Konkretisierung seines Versprechens: Ankauf von Staatsanleihen mit bis zu dreijährigen Laufzeiten - bei gleichzeitiger Bindung an die strengen Auflagen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).
Schritt aus der Bedrängnis
Das mag nicht die endgültige Lösung sein, es war aber offensichtlich ein richtiger Schritt aus der Bedrängnis. Denn extrem auseinanderklaffende Zinskosten für neue Staatsanleihen hätten die Sanierung der Staatshaushalte noch so reformwilliger Regierungen verhindert. Die "Fragmentierung“ - ein nobler Ausdruck für den faktischen Zerfall - von Euro-Land wäre nicht mehr aufzuhalten gewesen. Neue Anleihen Spaniens und Italiens konnten seither jedenfalls zu wesentlich niedrigeren Zinsen eingedeckt werden, und der Kurs des Euro gegenüber dem Dollar ist wieder deutlich angestiegen. Angestiegen sind auch die Börsenkurse in Erwartung eines glimpflicheren Konjunkturverlaufs, als es ihn ohne das EZB-Maßnahmenpaket gegeben hätte. Spekulanten, die auf das Ende des Euro gehofft hatten, haben nun viel Geld verloren, internationale Anleger, die zuletzt Europa gemieden haben, kehren wieder zurück und erleichtern damit die Bedienung der Staatsschulden. Erstmals seit Langem besteht die Aussicht, dass all die Schirme und Rettungstöpfe gar nicht voll beansprucht werden müssen, weil wieder Vertrauen zurückkehrt - so wie vor vier Jahren, als sich die Regierungen mitten in der hitzigsten Zeit nach der Lehman-Pleite entschlossen, Einlagen zu garantieren, um einen Sturm der Sparer auf die Bankschalter abzuwehren.
Aber Europas Öffentlichkeit hat nach jahrelangem Improvisieren im Krisenmodus verlernt, sich über solche Erfolge zu freuen. Eine allgemeine Missgestimmtheit überdeckt sichtbare Fortschritte. Die Tonlage verschärft sich zusehends. ESM sei die Abkürzung für "Europäischer Selbstmord“, tönte es mir jüngst in einer Diskussion entgegen. Die europäische Notenbank befinde sich im Zustand der Sünde, seit sie Staatsanleihen kauft. Die Geldvermehrung sei nicht mehr zu stoppen und führe direkt in die Inflation, dies sei der Weg in die "Weimarer Republik 2.0“. Der frühere EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark macht sich gar mit der Aussage bemerkbar, wir lebten "im kollektiven Rechtsbruch“. Selbst die Chefredaktionen der großen deutschen Qualitätszeitungen stimmen in den Katzenjammer ein. Kaum einer will zugeben, dass das Rezept wirkt.
Europäische Fliehkräfte
"Nichts von dem, was Du sagst, kann mich überzeugen. Du hast bloß recht, das ist alles“, heißt eine Dialogstelle im wunderbaren Roman "Fliehkräfte“ von Stephan Thome, einem der Kandidaten für den Deutschen Buchpreis 2012. Ich fürchte, dieser Satz wird wohl noch für einige Zeit der kleinste gemeinsame Nenner im Euro-Diskurs bleiben.
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