Braune Versatzstücke für den Gegner

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Neuer Radikalismus befällt die Prediger politischer "Correctness" ebenso wie die Randalierer am rechten Rand.

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Neuer Radikalismus befällt die Prediger politischer "Correctness" ebenso wie die Randalierer am rechten Rand.

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Michael Häupl, mit Glanz wieder gewählter Wiener Bürgermeister, deutete seinen Erfolg zu einem bedeutenden Teil so, dass die Bürger seiner Stadt Antisemitismus ablehnten. Diese Annahme ist nicht unproblematisch - alle Kommentatoren sahen andere Gründe.

Forscht man nach dem Anlass zur Annahme einer solchen eindrucksvollen Bekundung, könnte man auf die aktuelle Aussage des prominenten Seniorenvertreters Karl Blecha bei einem Vortrag stoßen, dass "Wortbrüche eine zionistische Tradition haben" und Israel ein "rassistischer Staat" sei. Allerdings kamen diese Worte einschlägigen Charakters aus dem Mund eines Funktionärs der siegenden Partei. Daher liegt nahe, dass Häupl sich auf Jörg Haider bezog, der bekanntlich dem Präsident der Israelischen Kultusgemeinde in einem geschmacklosen Wortspiel mit dessen Vornamen Ariel - auch der Name eines Waschmittels - "Dreck am Stecken" nachsagte. Kenner der politischen Szene wissen, dass dieser Entgleisung das (keineswegs bewiesene) Gerücht zugrunde liegt, der so Geschmähte ginge bei seinen lukrativen Grundstücksgeschäften nicht ganz gera-de Wege. Häupl dürfte also den Ausspruch seines Amtsvorgängers Karl Lueger "Wer a Jud is, bestimm' i!" so abgewandelt haben, dass eben er nun darüber befinde, wer ein Antisemit sei. Hinzuzufügen wäre, dass prominente Journalisten sich gern mit den Vorwürfen gegen Ariel Muzicant befassen würden, aber aus verständlichen Gründen die Finger davon lassen.

Betrachtet man diese unappetitliche Sache, zeigt sich, wie sehr der Vorwurf des Antisemitismus zum politischen Prügel wurde. Das ist höchst bedauerlich. Kein Thema eignet sich so wenig, heute in politisches Kleingeld gemünzt zu werden, wie jene Gesinnung, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unermessliches Leid über eine Vielzahl von Menschen brachte und als Schandmal auf zwei Nationen deutscher Sprache haftet. Wir stehen vor der beklemmenden Frage, warum es nicht gelingen will, diese unendlich tragischen Ereignisse in einem Fortschritt zum Besseren zu überwinden, wie es in der Geschichte allen Völkern zugebilligt wurde. Ebenso, warum wir in einen ständigen Rechtfertigungszwang geraten, obwohl die Zweite Republik trotz aller Nachlässigkeiten einen unmissverständlichen Trennungsstrich zur tragischen Vergangenheit zog und sich gerade jetzt neuerlich um Wiedergutmachung bemüht - was auch international anerkannt wird.

Man kann nur zu dem Schluss kommen, dass die Probleme hausgemacht sind. Es sieht ganz so aus, als ob wir das Unselige an allen ideologischen "Ismen" noch immer nicht erkannt hätten, ebenso nicht an den "Anti-Ismen". Judenfeindlichkeit war für die Nachkriegsgeneration kein Thema mehr, zumindest nicht mehr als sonst wo. Aber es erscheint offenbar dringend nötig, politische Fronten neu zu formieren, nachdem die alten sich überlebt haben. Irgendetwas braucht man ja, um moralische Überlegenheit zu beweisen. Da scheut man nicht den Griff in das übelriechende Depot der Vergangenheit, um den Gegner mit braunen Versatzstücken zu dekorieren.

Die Folgen sind verheerend. Eine ganze Nation wird ins schiefe Licht gebracht, politische Auseinandersetzung auf eine Ebene verlagert, die dem Durchschnittsösterreicher eigentlich zuwider ist. Er hat andere Sorgen. Böse Nebenwirkungen entstehen. Nichts ist anregender für Wirrköpfe, als auf diesen Zug der politischen Geisterbahn aufzuspringen. Neuer Radikalismus befällt die Prediger politischer "Correctness" ebenso wie die Randalierer am rechten Rand einer wertentleerten Gesellschaft. Aber niemand kommt auf die Idee, das Einfachste zu tun, nämlich Rassismus mit der Feststellung lächerlich zu machen, dass es mangelnde Intelligenz zeigt, Menschen nach ihrer Volkszugehörigkeit zu bewerten. Statt dessen wird er zum gruseligen Weltthema Made in Austria. Wem zum Nutzen eigentlich?

Der Autor war ÖAAB-Chef, ÖVP-Generalsekretär und Volksanwalt.

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