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Brigadier Freihsler legt sich fest

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„Wehrkonzept und Bundesheer“: Unter diesem Titel eröffnete die Zeitschrift der SPÖ „Die Zukunft“ eine Diskussion, die Beachtung verdient. Die erste Folge der Diskussion ist im Heft 14 Mitte Juli erschienen, eine Fortsetzung wurde angekündigt. Es mag Zufall gewesen sein, daß diese Artikelreihe gerade in der politischen Sauregurkenzeit die Öffentlichkeit erreichte, in einer Zeit, welche die einen für ungünstig, die anderen für günstig halten: ungünstig, weil doch alle auf Urlaub sind, und günstig, weil man wenigstens jetzt zum Lesen kommt... Und lesen sollten diese Beiträge in der sozialistischen Zeitschrift alle, die sich für den Zustand der Landesverteidigung im neutralen Österreich und ein wenig auch für die innere Verfassung der gegenwärtigen Regierungspartei interessieren. In beiden Richtungen bietet die Diskussion in der „Zukunft“ interessante Einblicke.

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„Wehrkonzept und Bundesheer“: Unter diesem Titel eröffnete die Zeitschrift der SPÖ „Die Zukunft“ eine Diskussion, die Beachtung verdient. Die erste Folge der Diskussion ist im Heft 14 Mitte Juli erschienen, eine Fortsetzung wurde angekündigt. Es mag Zufall gewesen sein, daß diese Artikelreihe gerade in der politischen Sauregurkenzeit die Öffentlichkeit erreichte, in einer Zeit, welche die einen für ungünstig, die anderen für günstig halten: ungünstig, weil doch alle auf Urlaub sind, und günstig, weil man wenigstens jetzt zum Lesen kommt... Und lesen sollten diese Beiträge in der sozialistischen Zeitschrift alle, die sich für den Zustand der Landesverteidigung im neutralen Österreich und ein wenig auch für die innere Verfassung der gegenwärtigen Regierungspartei interessieren. In beiden Richtungen bietet die Diskussion in der „Zukunft“ interessante Einblicke.

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Die Reihe beginnt mit einem Beitrag des Verteidigungsministers Brigadier Hans Freihsler. Bevor man ihn noch gelesen hat, weiß man schon, daß dieser Artikel so oder so bedeutend ist. Sein Autor ist kein gewöhnlicher Minister, er ist zugleich auch Berufsoffizier, einer der besten in Österreich, und daß ein Berufsoffizier Verteidigungsminister wurde, ist allein schon ein Novum in der Republik Österreich. Aber dieser Minister wurde außerdem noch in ein besonderes Spannungsverhältnis gestellt. Er ist Verteidigungsminister in einer Regierung, die von einer Partei gestellt wurde, welche mit dem Problem der Landesverteidigung anscheinend noch immer nicht fertig wird.

Die Landesverteidigung hat gewiß auch Seiten, die für die meisten Menschen und zumal für alle Parteien gewisse Probleme aufwerfen: so zum Beispiel das der Ausgabenseite. Viele mögen auch die rotglitzernden Autos der städtischen Feuerwehr für eine übermäßige Geldausgabe halten, so lange keine Notfälle passieren, die sie unmittelbar miterleben müssen. Dann freilich kämen sie mit ihrer Einwilligung. Feuerwehrautos anzuschaffen, schon zu spät.

In der Sozialistischen Partei Österreichs gibt es heute noch Strömungen, die über diese sozusagen allgemein menschlichen Bedenken hinaus gegenüber der Idee der Landesverteidigung grundsätzliche Bedenken hegen. In der Opposition — und in der von der SPÖ oft genug vorgelebten halben Opposition in der Koalition — konnte man noch dieser Frage irgendwie ausweichen, zum Beispiel so, daß man für den Tagesgebrauch die These aufstellte: Landesverteidigung — gut, Bundesheer unter einem ÖVP-Minister — schlecht. Diese Methode bewährte sich sogar. Dann aber — und vielleicht nicht zuletzt infolge dieser Politik — kam die Wendung: den Minister für Landesverteidigung stellt die SPÖ. Und dieser Minister, noch dazu ein General, hat jetzt nicht nur für eine wirksame Landesverteidigung im Sinne der neutralitätspolitischen Verpflichtungen des Landes zu sorgen, sondern er hat auch zugleich das Wahlversprechen der Partei — Herabsetzung der Präsenzdienstzeit von neun auf sechs Monate — einzulösen, ein Versprechen, das seine Zugkraft vielleicht der einfachen Formel, aber bestimmt nicht irgendwelcher sachlicher Fundiertheit verdankte. Hier von einer „Zerreißprobe“ für Brigadier Freihsler zu sprechen, war gewiß keine Übertreibung.

Der Artikel in der „Zukunft“ zeigt nun, daß der Verteidigungsminister diese Zerreißprobe bisher anscheinend in guter Verfassung bestanden hat. Das ist aber bemerkenswert, denn noch vor kurzem, anläßlich der Revolte der Bundesheerreformkom-mission, auf die des Bundeskanzlers Donnerwort aus der Schweiz folgte, sah es für den Brigadier Freihsler böse aus. Nun legt er aber seinen Standpunkt deutlich fest. Dieser Standpunkt ist in manchen Details gewiß flexibel, im Kern aber eindeutig. Er lautet zum Beispiel so: „Es wird ... in jeder Krise notwendig werden, in Erfüllung der Neutralitätspolitik auch militärische Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um damit nach außen unsere Neutralitätsschutzabsicht und damit vor allem den Neutralitätsschutzwillen energisch zu bekunden.“ Das bedeutet für den Fall einer Krise sofort marschbereite Neutralitätsschutzverbände. Würde Österreich über keine solche Neutralitätsschutzverbände verfügen, müßte in jeder Spannungssituation, um die Neutralitätsschutzabsicht zu bekunden, mobil gemacht werden, und dies würde „die Schraube der Krise höher drehen“.

Freihsler rechnet für den Fall einer Krisensituation in Europa nicht damit, daß dann sofort eine direkte militärische Absicht gegen unser Staatsgebiet erkennbar sein werde. Er hält einen allgemeinen Bedro-hungs- und Spannungszustand über einen längeren Zeitraum für wahrscheinlich. „Gerade in einer solchen Situation kommt es aber für uns als neutralen Staat besonders darauf an, immer die Neutralitätsschutzabsicht energisch zu bekunden, so daß unser Widerstandswille, möge er passiv oder aktiv sein, vor allem vom Ausland glaubhaft gewertet wird ... Die Hauptaufgabe unserer militärischen Landesverteidigung als neutraler Staat kann daher nur, wenn ich einen Schweizer Ausdruck gebrauchen darf, in der .Abhaltung eines Aggressors' gesehen werden. Schon aus der Neutralitätsverpflichtung geht einwandfrei hervor, daß der neutrale Staat zu Vorbeugungs-, ich möchte sagen Abhaltungsmaßnahmen aller Art verpflichtet ist, wozu vor allem die frühzeitige Demonstration seines echten Verteidigungswil-lens und die Ausschöpfung aller Kräfte zur Mobilisierung des Widerstandes gehören.“

In diesen Sätzen, die vielleicht die Kernsätze des Artikels von Verteidigungsminister Freihsler sind, werden die Konturen eines Wehrkonzeptes sichtbar, in dem die in den Niederungen der Tagespolitik geführte und eher lächerliche und beschämende „Diskussion“ über die neun-oder sechsmonatige Kasernenzeit des Rekruten, mag sie für diesen noch so beschwerlich erscheinen, nur eine untergeordnete Rolle spielen kann, Diese Ordnung der Dinge hat ihre Ursache nicht etwa darin, daß vielleicht Militärpersonen gegenüber dei Jugend verständnislos sind oder besonders grausam sein wollen, und auch nicht darin, daß sie nichts von den Erfordernissen der Politik verstünden. Der Grund ist einfacher: Sie beschäftigen sich mit der Materie, stellen Vergleiche an, lesen die einschlägige Literatur des Auslandes etwa der Schweiz, die ja in Neutralitätsfragen unser erklärtes Vorbild ist. Der Rest ist logische Nutzanwendung. Und so verlangt der Verteidigungsminister — von seiner Partei und Regierung — ganz natürlich „die erforderlichen Mittel für einen echten Neutralitätsschutz“ und dazu „von jedem Österreicher eine gewisse Opferbereitschaft in persönlichei oder finanzieller Hinsicht“. Und ei betont es nochmals: Es kommt voi allem auch darauf an, daß das Bundesheer zur Lösung seiner schwierigen Aufgabe „auch vom Staat die Mittel erhalten muß, die ihm die Möglichkeit geben, seine Schutzaufgabe .. .auch durchführen zu können“. Und dann noch einmal: „Das Heer dient dem Staat zur Erhaltung seiner Freiheit und Selbständigkeit und hat seine besondere Aufgabe, vor allem in einem neutralen Staat. Es darf aber auch nicht vom Staat vergessen oder mit seinen berechtigten Wünschen übergangen und beiseite gestellt werden.“

Ganz konkret sagt Freihsler zu den Aufgaben der von der Regierung Kreisky am 15. Mai ins Leben gerufenen Reformkommission: „Um der Reformkommission einen Rahmen zu geben, besteht entsprechend dem Wehrkonzept die Absicht, eine Zahl von Neutralitätsschutzver-bänden zu schaffen, die rasch in der Lage sind, in wenigen Stunden bei auftretenden Krisen Grenzsiche-rungsaufgaben und Neutralitätsschutzaufgaben übernehmen zu können und alle Wehrpflichtigen in getrennten Ausbildungsverbänden bei einer verkürzten Präsenzdienstzeit so auszubilden, daß sie im Hinblick auf ihre künftige Mobilmachungsverwendung in der Landwehr einsatzbereit werden und diese Einsatzbereitschaft während der Zeit ihrer Wehrpflicht auch erhalten.“

Diese Sätze hören sich anders z \ als das unernst wirkende Schlagwort von den sechs Monaten.

Die drei weiteren Beiträge der Bun-desheerdiskussion in der „Zukunft“ stammen vom sozialistischen Abgeordneten und Wehrexperten Wolter Mandl, von Generalmajor Emil Spannocchi und von dem altbekannten „Vorkämpfer für die Totalabrüstung“ Universitätsprofessor Doktor Hans Thirring, der hier seine seit 1946 vertretenen Thesen wiederholt. Mondl und Spannocchi aber bekräftigen die Thesen des Ministers. Der General tut dies mit einer Deutlichkeit, welche die Leser der „Zukunft“ wohl nicht zweimal werden lesen müssen: „Eine Kurzausbildung für alle, ohne Ergänzung durch eine bessere Ausbildung für den Führungskader der Reserve, produziert eine Herde, sonst leider nichts.“ Und: „... der Zauberer, der aus weniger Leistung mehr Effektivität macht, ist ein Betrüger. Können verlangt Ausbildung, und Ausbildung verlangt Zeit... Das alles kostet etwas. Daß aber das Billige teuer ist, haben zumindest die letzten Jahre erwiesen.“ Soweit die Ausführungen des Verteidigungsminister Freihsler im ideologischen Organ der Sozialistischen Partei.

Eine Diskussion in einer Zeitschrift verpflichtet nicht einmal die Redaktion. Hier aber legte sich immerhin ein Minister fest. Die Wirkung auf die praktische Politik der Minderheitsregierung Kreisky bleibt abzuwarten. LADISLAUS ROSDY

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