Staatspraxis  - Der amtierende Bundespräsident als Mitgestalter der diplomatischen Beziehungen. Hier empfängt er Malis Botschafterin Oumou Sall Seck. - © Foto: Carina Karlovits und Laura Heinschink / HBF

Bundespräsidentenwahl: Die Machtreserve

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In Meinungsumfragen zur Amtsführung des Bundespräsidenten wird regelmäßig nach „Ansehen im Ausland“ gefragt. Im aktuellen Wahlkampf spielt diese Komponente so gut wie keine Rolle. Zu Unrecht.

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In Meinungsumfragen zur Amtsführung des Bundespräsidenten wird regelmäßig nach „Ansehen im Ausland“ gefragt. Im aktuellen Wahlkampf spielt diese Komponente so gut wie keine Rolle. Zu Unrecht.

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Seit 1920 bestimmt die Bundesverfassung, dass der Bundespräsident die Republik „nach außen“ vertritt. Als 1929 das Verhältnis zwischen Bundespräsident, Regierung und Parlament neu geordnet wurde, blieb der Aufgabenkatalog unangetastet. Die Fragen, die man bis dahin gestellt hatte, wurden komplizierter. Bis heute ist vieles offen. Die Bundesverfassung regelt eigentlich nur den Abschluss von Staatsverträgen im Detail. Das Parlament muss ihn genehmigen, der Bundespräsident vollzieht ihn. Das kann er nur auf Vorschlag der Regierung tun. Die politische Letztentscheidung liegt aber bei ihm. Er bestimmt, ob und wann er dem Vorschlag folgt. Alexander Van der Bellen hat eine neue Linie eingeführt, als er mit seiner Unterschrift unter das umstrittene CETA-Abkommen wartete, bis der Europäische Gerichtshof 2019 ein Gutachten erstattet hatte. Sonst ist Außenpolitik in der Verfassung kaum geregelt. Staatsbesuche, die Gestaltung diplomatischer Beziehungen, die Vorbereitung und Äußerung österreichischer Standpunkte folgen, wie es heißt, der Staatspraxis. Dafür gibt es nur einzelne Vorgaben wie die EU-Mitgliedschaft, die Neutralität oder die Atomfreiheit.

Ernennung des Bundeskanzlers

Eine weitere Betrachtung führt zu einem differenzierten Bild. Besondere Bedeutung haben die sekundären Aspekte des Amtes. Dazu zählt die relative Länge der Amtszeit von sechs Jahren gegenüber den de facto deutlich kürzeren Amtsperioden von Regierung und Nationalrat. So kann der Präsident größere Kontinuität beanspruchen. Ein weiterer Faktor ist seine Rolle bei der Ernennung des Bundeskanzlers. Zwar hängt die Entscheidung von den Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat ab, dennoch weist etwa Heinz Fischer auf die Möglichkeiten hin, „Präferenzen [zu] zeigen“. So beinhaltet das Amt eine große politische Machtreserve. Sie kann tagespolitisch stärker genutzt werden, wenn sich Amtsinhaber nicht mehr dem bisherigen Amtsverständnis verpflichtet fühlen. Dies umso mehr, wenn sie nicht aus den Rängen der Traditionsparteien kommen. Zugleich setzen die zur Verfügung stehenden Ressourcen dem Bundespräsidenten Grenzen.

Der Mitarbeiterstab der Präsidentschaftskanzlei ist winzig gegenüber jenem der Ministerien und besonders gegenüber jenem des Außenministeriums und der Botschaften. Ohne intensive Zusammenarbeit kann es nicht gehen. Die außenpolitische Praxis der Bundespräsidenten ist durch die Entwicklungen seit 1994 geprägt. Im Vorfeld des EU-Beitritts war zu klären, wer berechtigt sei, Österreich im Europäischen Rat zu vertreten. Der Konflikt wurde zugunsten des Bundeskanzlers gelöst, was auch Kontrolle durch den Nationalrat sicherte. Informell wurde vereinbart, dass der Bundespräsident einen Mitarbeiter in die Delegation des Bundeskanzlers entsenden kann. Ihm wurde auch Vorrang bei allen übrigen Treffen von Staats- und Regierungschefs (zum Beispiel UNO) zugestanden. Von größerer Bedeutung sind das wechselnde Rollenverständnis der Amtsinhaber und die Erwartungshaltungen der Bevölkerung. Dabei fällt auf, dass die Außenpolitik im engeren Sinn lange keinen Teil davon bildete.

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