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Burgenland — am Rande

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Die Begründung, warum die Siegermächte im Jahre 1919 in den Pariser Vororteverträgen den größeren Teil des ehemaligen Deutsch-Westungarn Österreich zusprachen, lautet, daß die Großstadt Wien zur Ernährung ihrer Bevölkerung dieses Agrarland unbedingt brauche. Seither hat sich auch im Burgenland einiges geändert, denn in dem „Agrarland“ leibt nicht viel mehr als ein Viertel der Bevölkerung noch von der Landwirtschaft. Die gewerbliche Wirtschaft, die vor 50 Jahren eine nur untergeordnete Rolle spielte, muß heute bereits mehr Menschen Existenz geben als die Landwirtschaft. Sie kann es leider nicht im erwünschten Ausmaß. Die Folge davon ist, daß das Land, das bestimmt war, die Großstadt mit Nahrungsmitteln zu versorgen, imimer mehr zu einem Land wird, das die nahe Großstadt mit Arbeitskräften versorgt. In wenigen Jahren wird Wien, trotz Zuwanderung von etwa 120.000 Niederösterreichern und Burgenländern, noch ein Defizit von etwa 100.000 Arbeitskräften halben.

Um die steigende Abwanderung zu bremsen, wurde versucht, durch Ansiedlung neuer Betriebe Arbeitsplätze zu schaffen. Der zahlenmäßige Erfolg dieser Bemühungen ist beachtlich, es konnten mehr als 100 neue Betriebe mit mehr als 6000 neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden. Der wirtschafts-poilitische Effekt ist leider weniger gut, weil es sich zum großen Teil um Arbeitsplätze für Frauen und um Branchen mit geringer Wortschöpfung bandelt.

Uns bleibt jedoch keine andere Wahl, als in gleicher Weise fortzufahren und zu versuchen, stärker als bisher Arbeitsplätze für Männer und solche mit höherer Wertschöpfung zu schaffen. Zugleich trachten wir, den Ausbau bestehender Kleinbetriebe zu fördern, denn wir halten Arbeitsplätze in alteingesessenen Kleinbetrieben für sicherer als in Neugründungen. Dafür gibt es besonders im Gewerbe gute Voraussetzungen, weil dort die Tendenz, fremde Arbeitskräfte zu beschäftigen, steigt, während die Zahl der Einmannbetriebe im Gewerbe rasch zurückgeht. Auch die Investi-t'ionsfreudigkeit im Gewerbe trägt dazu bei, daß einem ziffernmäßigen Rückgang eine deutlich erhöhte Leistungsfähigkeit gegenübersteht. Auch im Bereich des Handels wurden große Investitionen durchgeführt, die Geschäfte wurden modernisiert und können sich mit dem Standard in anderen Bundesländern durchaus messen. Etwas schwieriger liegt die Situation im Fremdenverkehr, hauptsächlich dadurch bedingt, daß wir nur eine einzige Saison halben, wodurch die Rentabilität der Investitionen stark beeinträchtigt ist.

Neben den Nachteilen einer zehnjährigen Stagnation während der Besatzungszeit besteht das größte Handikap für die Entwicklung der burgenländischen Wirtschaft in der extremen Randlage des Burgenlandes. Wir müssen uns damit abfinden, daß die Wirt-, schalt fernab von den europäischen Schwerpunkten bei uns nicht jene Dynamik entwickeln kann wie etwa in Salzburg oder Vorarlberg. Wir hoffen aber, daß diese Nachteile in gemeinsamen Bemühungen der Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland durch regionalpolitische Strukturmaßnahmen wenigstens teilweise ausgeglichen werden können. Unsere Hoffnungen richten sich jedoch letztlich auf eine wirtschaftliche Liberalisierung jenseits des Eisernen Vorhanges. Erst dadurch würde das Burgenland von seiner extremen Randlage wieder in den Mittelpunkt eines gesamteuropäischen Wirt-schaftsrauimes gerückt.

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