Bis Samstag drehte sich die Medienwelt hauptsächlich um die Frage, wer neuer US-Präsident wird. Doch nicht nur in Österreich, nahezu weltweit hat die Tragödie von Kaprun dieses Thema aus den Schlagzeilen gedrängt. Der Tod von über 150 Menschen geht unter die Haut, das Match zwischen George W. Bush und Al Gore löst kaum Emotionen aus, und sein Unterhaltungswert, in Ansätzen sicher vorhanden, ist auch nur bedingt gefragt.
Dabei ist es nicht ganz unwichtig, wer in den nächsten vier Jahren an der Spitze der einzigen Supermacht der Erde steht. Das Leben vieler Menschen außerhalb der USA wird von der US-Politik mehr beeinflusst als von Maßnahmen der eigenen Regierung. Aber wählen dürfen den US-Präsidenten nur US-Bürger, und gerade die nützen nicht gerade in berauschendem Ausmaß ihr Wahlrecht. Ist es fast der Hälfte der Bevölkerung schlicht gleichgültig, ob der Republikaner Bush oder der Demokrat Gore das Rennen macht? Sehen sie keine echten Alternativen?
Dass man bei einem knappen Ergebnis auf die letzten Briefwahlstimmen warten muss, kann man gerade in Österreich nach der letzten Nationalratswahl begreifen, dass sich US-Wähler oft nicht ausweisen müssen, nicht. Und das Wahlmänner-System ist veraltet: Dass jemand Präsident werden kann, der nicht die Mehrheit der Stimmen hinter sich hat, verwundert in einem Land, das selbst gerne als Weltpolizist in Sachen Demokratie agiert. Und dass die TV-Anstalten voreilig einen Sieger verkünden, ehe die wahre Entscheidung gefallen ist, fällt eher unter Mediokratie als unter Demokratie.
Wenn man den Amerikanern bisher eines wirklich zugetraut hat, so war es, dass sie exakt zählen und rechnen können, zumal ja zu ihren höchsten Werten die "shareholder values" gehören. Doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten können offenbar bei jeder Nachzählung - ob maschinell oder händisch - stets neue Resultate herauskommen. Man wird sich wohl hüten, vergangene Wahlergebnisse nachzuprüfen - wer weiß, ob wirklich jeder US-Präsident zu Recht sein Amt angetreten hat?
Einen Wahlsieger wird es geben, aber sein politisches Gewicht im Land und in der Welt wird sich der künftige US-Präsident erst hart erarbeiten müssen.
E-Mail: h.boberski@styria.com
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