Chancenlose Generation

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Vor allem im Bildungsbereich wird sich zeigen, ob Regierung und Gesellschaft Integration wirklich ernst nehmen oder weiterhin Chancen vergeben werden.

Zwei Fragen prägten zuletzt die öffentliche Diskussion zum Thema Integration: Was tun mit angeblich kriminell gewordenen Asylwerbern und mit lange hier lebenden und gut integrierten Asylsuchenden? Die Debatte drehte sich zumeist also nur um Sicherheit und Kriminalität. Und dann wurden Anfang Dezember die Ergebnisse der TIMSS-Bildungsstudie veröffentlicht, die Ergebnisse waren unbefriedigend - und niemand, wen überrascht das, war überrascht.

Vor allem fiel ein Aspekt besonders auf, er kennzeichnete auch schon vorangegangene Leistungstests (wie PIRLS und PISA): Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund schneiden deutlich schlechter ab als Kinder, deren Vorfahren schon länger in Österreich leben. Nicht genug der schlechten Nachricht: Österreich gehört auch noch zu jenen Ländern, in denen die schulischen Leistungen von Einheimischen und Migranten besonders weit auseinanderklaffen. Zudem: Kinder, deren Eltern schon in Österreich geboren sind, schneiden beim Lesen noch schlechter ab als jene Kinder, deren Eltern eben erst zugewandert sind.

Klingt zunächst paradox, ist aber für Bildungsexperten leicht zu erklären: Kinder der sogenannten zweiten oder dritten Generation beherrschen aufgrund fehlgeschlagener Integration und Förderung vielfach weder die Muttersprache noch die deutsche Sprache im ausreichenden Maße. Während Kinder, die eben erst zugewandert sind, ihre Muttersprache gut beherrschen und sich damit auch leichter tun, eine Fremdsprache zu lernen. Denn wer seine Muttersprache nicht gut spräche, habe auch Schwierigkeiten, eine neue Sprache zu lernen, so die Fachleute. Deren Erkenntnisse werden nach derartigen Tests ebenso schon seit Jahren öffentlich diskutiert wie Vorschläge, wie man diese Bildungsmisere, besonders bezogen auf Migrantenkinder, lösen könne.

Schule als Zentrum für Integration

Dass sich eine gelungene Integration vor allem im Bildungsbereich entscheidet, dürfte weitgehend Konsens sein; ebenso, dass Integration so früh wie möglich, also schon im vorschulischen Bereich, beginnen soll.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) will auf die jüngsten schlechten Testergebnisse bei den Volksschülern mit einem "Bündel an Maßnahmen" reagieren. Ein zentraler Arbeitsschwerpunkt sei es, die großen Leistungsunterschiede von Einheimischen und Migrantenkindern zu verringern. "Wir haben ein Integrationsproblem im Bildungssystem", bekräftigt Schmied eine bereits oft gehörte Analyse. Die Ministerin beruft sich auf geplante Maßnahmen wie das verpflichtende letzte Kindergartenjahr, verstärkte Deutschförderkurse und eine Reform der Lehrerausbildung, um eine Trendumkehr im Bildungsbereich zu erzielen.

Bildungsexperten mahnen zur Eile. Die nächsten Leistungstests in Schulen stehen vor der Tür und die nächste Generation von Migrantenkindern mit schlechter schulischer Ausbildung vor den Türen des Arbeitsmarktes. "Hier wächst eine Generation der Chancenlosen heran, wir züchten regelrecht soziale Probleme", sagt etwa der grüne Bildungssprecher Harald Walser nach Veröffentlichung der TIMSS-Studie (hier wurden die Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften von Volksschulkindern untersucht).

Zumindest als ersten Schritt in die richtige Richtung werten Fachleute den Plan eines verpflichtenden letzten Kindergartenjahres. Ministerin Schmied strebt an, diese Maßnahme im Herbst 2009 umzusetzen. Doch noch stehen harte Verhandlungen mit den Bundesländern bevor, die für die Kindergärten zuständig sind.

Was aber verspricht man sich davon? Zirka 93 Prozent aller Fünfjährigen besuchen bereits jetzt das letzte Kindergartenjahr. Die verbliebenen sieben Prozent seien Kinder aus bildungsfernen sowie sozioökonomisch schwachen Familien und/oder aus Migrantenfamilien, sagt Günter Haider, Direktor des Bundesinstituts für Bildungsforschung (Bifie) in Salzburg im FURCHE-Gespräch. Bei jenen Kindern, die keinen Kindergarten besucht hätten, betrage der Anteil von Risikoschülern 43 Prozent (unter allen Schülern liegt er laut Haider bei 15 bis 20 Prozent).

Die Meinung mancher Experten, dass ein Jahr eigentlich zu wenig sei und die Sprachförderung eigentlich zu spät ansetze, teilt Günter Haider nur bedingt: Der Förderbedarf der Kinder sei individuell sehr unterschiedlich. "Natürlich, je früher man beginnt, die deutsche Sprache zu lernen, umso besser. Aber zunächst wäre es wichtig, dass das verpflichtende Kindergartenjahr ganztags gratis ist und nicht nur halbtags. Zwei Jahre verpflichtend halte ich momentan für nicht durchsetzbar", sagt Haider. Es sei sicher einmal ein guter Anfang. Haider verweist auf erste Ergebnisse der Sprachstandserhebungen, die im vergangenen Jahr bei Fünfjährigen durchgeführt wurden und Anfang 2009 präsentiert werden: Demnach brauchen von jenen Kindern, die Deutsch als Zweitsprache sprechen und die nicht oder nur ein Jahr in den Kindergarten gegangen sind, 77 Prozent eine weitere Sprachförderung. Was Haider in diesem Zusammenhang mehr beunruhigt als die Wirksamkeit von nur einem Kindergartenjahr, ist der drohende Mangel an Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen. Allein für den Förderbedarf dieser Kinder würden zwischen 2500 und 3000 neue Stellen benötigt.

Wertschätzung der Muttersprache

Um hier entgegenzuwirken, müssten vor allem auch Migrantinnen und Migranten angesprochen werden, den Beruf des Kindergartenpädagogen zu ergreifen, meinen weitere Fachleute. So könnten Migrantenkinder auch in ihrer Muttersprache im Kindergarten gefördert werden; genauso wie vielen Kindern, die Deutsch als Muttersprache haben, Förderbedarf in ihrer Sprache attestiert wird. Vor allem aber müsse es um eine Wertschätzung der Sprachen von Migrantenkinder gehen, wie der Wiener Sprachwissenschafter Rudolf de Cillia im FURCHE-Gespräch betont: "Es muss die Sprachfähigkeit als Ganzes gefördert werden. Kinder müssen im Kindergarten erleben, dass ihre Sprache wertgeschätzt wird, nur so kann ihr Selbstbewusstsein gestärkt werden."

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