Christdemokratie auf der Suche nach sich selbst

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Ein umfassendes ideelles Gedankengebäude zu entwerfen, trauen sich heute weder Christ- noch Sozialdemokraten zu. Die letzte Programmdebatte der ÖVP, der Perspektivenprozess, scheint auf einer Sandbank aufgelaufen zu sein. Zwei Bücher aber geben Zeugnis, dass es zumindest so etwas wie Versuche einer konservativen Selbstvergewisserung noch gibt.

Was Christdemokratie heute ist oder sein kann, ist nicht mehr so leicht auszumachen. In der ÖVP, die hierzulande dieses Gesellschaftsmodell vertritt, kommt die Programmdebatte, die ja ohne Rückbesinnung auf die Herkunft schwer möglich scheint, nicht recht in Gang. Zögert man, weil man sich seiner so wenig sicher ist? Der vorläufig letzte Versuch, der Perspektivenprozess unter der Leitung des jetzigen Parteiobmanns, scheint irgendwie auf eine Sandbank aufgelaufen zu sein. (In der Sozialdemokratie ist das Nachdenken über die eigene Ideologie überhaupt vollkommen eingeschlafen, man begnügt sich mit antikapitalistischer Rhetorik und ist im Übrigen mit der Praxis des Machterhalts ausreichend beschäftigt.)

Schwarz-Rot vs. Schwarz-Grün

Christliche Demokratie als umfassendes Gedankengebäude zu entwerfen traut sich momentan niemand zu, es gibt aber immerhin Versuche einer Selbstvergewisserung. Davon geben zwei Bücher auf sehr unterschiedliche Weise Zeugnis. Entschieden besser als sein eigenartig gewundener Titel ist der Band: "Stromabwärts. In Mäandern zur Mündung - Christdemokratie als kreatives Projekt". Wenn man so etwas liest, könnte man unwillkürlich die Assoziation bekommen, mit der Christdemokratie gehe es "den Bach hinunter".

Der Bogen der Beiträge spannt sich von Bildung und Kultur über Ökologie und Technik bis zu - man höre und staune - "Spuren der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft im Bankenwesen". Ohne Anrufung dieses schwammigen Begriffs geht es offenbar nicht in einem einschlägigen Band. Mancher Autor hat allerdings weder mit der Christdemokratie noch mit der Sozialen Marktwirtschaft etwas zu tun, wie Christian Felber von Attac. Das Buch ist mit netten Karikaturen von Ironimus illustriert.

Die "Einflugschneisen für punziert Christliches" seien bei der Bewältigung des politischen Alltags sehr schmal, findet Heinz Nußbaumer in seinem Prolog, um dann Kardinal Franz König zu zitieren: Die Grundelemente christlichen Lebens - Beten, Fasten, Almosen geben - könnten nicht unmodern werden. Das ist unbestreitbar und fromm, wie es sich freilich in ein politisches Konzept umsetzen lässt, bleibt offen. Welche Schwierigkeiten sich dem entgegenstellen, analysiert vor allem Anton Pelinka, der einen Wandel von der "ideologischen zur populistischen Demokratie" diagnostiziert. Da einige der europäischen Regierungen der Versuchung zum Populismus nachgegeben und nicht zwingend notwendige Volksabstimmungen angesetzt haben, sei der europäische Verfassungsvertrag gescheitert und - möchte man hinzufügen - droht jetzt der Lissabon-Vertrag zu scheitern. Pelinka empfiehlt ein altes Rezept gegen den Populismus, nämlich die Allianz von Christdemokraten mit Sozialdemokraten - was angesichts der Wiederauflage der Großen Koalition in Österreich fast frivol erscheint. Thomas Köhler empfiehlt dagegen der Christdemokratie, sich mit den Grünen zu verbünden.

Familie, Freiheit, Gerechtigkeit

Viel deutlicher wird die christdemokratische Handschrift im zweiten Band, "Schlüsselbegriffe der Demokratie", sichtbar, den drei Mitarbeiter der Politischen Akademie der ÖVP zusammengestellt haben. Er kommt wie eine Art Lexikon daher, allein schon die Auswahl der dargestellten Begriffe zeigt aber, um welche Ideen sich christdemokratisches Denken dreht und wie es sich von Sozialdemokratie wie Liberalismus zu unterscheiden trachtet: Eigentum, Familie, Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit, Partizipation, Säkularität, (katholische) Soziallehre u. a. Patriotismus etwa als demokratische Schlüsselbegriffe zu nennen, klingt reichlich altmodisch, ist aber etwa mit Blick auf Frankreich, Großbritannien oder die USA, wo es so etwas in aufgeklärter Form gibt, so abwegig auch wieder nicht.

Die Themen werden nicht auf gewissermaßen lexikalisch-unangreifbare Weise dargestellt, sondern in teilweise sehr geist- und bildungsreichen, manchmal auch etwas verstiegenen Essays abgehandelt. Das Buch will deshalb wohl kein Nachschlagewerk sein, man wird aber dennoch mit Nutzen darin lesen können, wenn man eine Vertiefung in der einen oder anderen tagespolitischen Debatte sucht.

Stromabwärts

In Mäandern zur Mündung - Christdemokratie als kreatives Projekt. Thomas Köhler, Christian Mertens, Christoph Neumayer, Michael Spindelegger (Hg.)

Böhlau Verlag, 284 S., geb., e 29,90

Schlüsselbegriffe der Demokratie

Christian S. Moser, Peter Danich, Dietmar Halper (Hg.)

Böhlau Verlag, 320 S., br., e 29,90

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