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Christliche Liebestätigkeit

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Der Ausgangspunkt unserer Forderung liegt nicht ungünstig: während der Katholizismus in Österreich manche andere geistige Position, die er während des letzten Krieges und Kulturkampfes heimlich gewonnen hatte, im Stellungskrieg nach 1945 wieder verloren hat, ist im Bereich der Liebestätigkeit der umgekehrte Prozeß feststellbar. Unsere caritativen Organisationen und Stiftungen waren schon 1939 aufgelöst, die pfarrliche Wohlfahrtspflege hatte keinen Boden unter den Füßen, der größte Teil unserer Anstalten War enteignet oder gar zerstört, und nur die caritativen Orden hatten sich einigermaßen zu halten vermocht — nicht zuletzt dank ihres festen Zusammenhalts und einer weitschauenden Führung. Trotz der andern großen Verluste gelang es, die kirchliche Liebestätigkeit sofort nach Kriegsende wieder zu aktivieren. Eine erste Statistik verzeichnet

1945 bis 1951:

3,670.545 kg Lebensmittelspenden der Caritas aus dem Ausland;

1,703.063 kg Lebensmittelspenden der Caritas aus dem Inland;

3,500.000 kg Kleiderspenden aus dem Ausland;

998.000 kg Kleiderspenden aus dem Inland;

23.350 Kinder wurden zu längerer Erholung ins Ausland vermittelt;

10.537 Kinder wurden zu längerer Erholung ins Inland vermittelt.

An caritativen Einrichtungen

hatten wir 1951 unter anderen:

54 Krankenhäuser mit 7418 Betten;

58 Alterspflegeheime mit 3167 Betten;

483 Kindergärten und 124 Kinderhorte;

202 Schülerheime und Internate mit 17.881

51 Berufstätigenheime mit 2585 Plätzen sowie

16 Herbergen (1951: 75.253 Übernachtungen).

Um diese Leistungen durchhalten und steigern zu können, muß die Caritas in Österreich zunächst um einen eigenständigen Aufbau bemüht sein. Die Hilfe aus dem Ausland war gerade während der ersten Nachkriegsjahre sehr dankenswert, jedoch nicht eigentlich nachhaltig, und unsere internationalen Beziehungen sind dabei nicht genügend fruchtbar geworden. Angesichts der schweren Sozialkrisen, namentlich bei asiatischen Völkern, könnte sich jedenfalls das Interesse der reorganisierten Caritas Inter- nationalis von Mitteleuropa weg bewegen. Um so bedeutsamer wird dann die Entfaltung einer einheimischen

Volkscaritas, vor allem in entsprechender Aktivierung der Pfarrgemeinden, um sowohl die Mittel und den Spendenbedarf der kirchlichen Liebestätigkeit zu sichern, wie auch den geeigneten Nachwuchs für die caritativen Orden und die weiblichen Sozialberufe zu wecken. In diesem Sinne hat die Caritas Österreichs auch bedeutsame geistige Bemühungen angesetzt, obwohl ihr die Errichtung eines Instituts für Caritas- wissenschaft versagt blieb; ihre Kongresse, ihre Zeitschrift, ihr Handbuch und ihr Volksbuch, ihre Ideenpropaganda

und ihre Helferschulung haben mehr und mehr eine klare, fruchtbare Linie erwiesen.

Das war um so notwendiger, als ihr Widermächte erstanden, welche die Freiheit und Würde der christlichen Liebestätigkeit offensichtlich nicht nur beeinträchtigen, sondern völlig aufheben wollen. Schon grundsätzlich weigern sich bei uns Gesetzgebung und Verwaltung, die Caritas als gemeinnützige Organisation anzuerkennen und entsprechend zu behandeln! eine Steuerfreiheit von Spenden und Schenkungen zum Beispiel, die doch nicht mit wirtschaftlichen oder gar klassenkämpferischen Maßstäben gemessen werden dürfen, würde uns instand setzen, die öffent- Iche Fürsorge noch viel stärker als bisher zu entlasten. Die in Staat und Parteien herrschende Tendenz nach einer exklusiven Verstaatlichung der Fürsorge stößt nicht bloß wegen ihrer Kostspieligkeit allenthalben auf die Grenzen ihrer Durchführbarkeit und Wirkung, sondern auch in ihrer bürokratischen Struktur, in deren Fängen der Be- fürsorgte oft nicht mehr als Mensch, sondern als Objekt von Maßnahmen und Verordnungen betrachtet werden muß. Schon jetzt macht die rücksichtslose wirtschaftliche Aushöhlung der Krankenhäuser als Folge wachsender Unrentabilität die Heranziehung beträchtlicher Steuergelder zur Deckung des Defizits der

öffentlichen Wohlfahrtsanstalten notwendig, während die katholischen Spitäler — unter Steuerdruck und ohne Subventionen — von systematischer Aushungerung bedroht sind; die Differenz zwischen unseren scharfkalkulierten Selbstkosten und den zugestandenen Verpflegssätzen, welche den Krankenkassen in fortwährenden Verhandlungen abgerungen werden müssen, bürdet unseren caritativen Krankenhäusern ein Jahresdefizit von über 24 Millionen auf. Die Möglichkeiten zu einem finanziellen Kräfteausgleich sind sehr gering — das Spendeneinkommen der Caritas beträgt in einigen Gegenden 42 Groschen pro Katholik und Jahr, und die caritativen Orden, die mit einem Kriegsschaden von zirka 10 000 Schilling pro Schwester aus dem Kulturkampf hervorgingen und über 200 Anstalten und Heime wiederaufzubauen hatten, sind finanzschwach, wenn sie nicht überhaupt wie die meisten Schulorden von der Substanz beisteuern müssen. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, wie sehr sich die Gebefreudigkeit unseres Volkes zersplittern muß, so daß wirklich großzügige Aktionen der freien Liebestätigkeit mangels kräftiger Unterstützung recht erschwert sind — politische, humanitäre und liberale Sammlungen und Lotterien überschneiden sich fortwährend mit Einzelaktionen, und immer wieder müssen sich kirchliche Persönlichkeiten als Protektoren dafür zur Verfügung stellen, so daß über den Sondercharakter der caritativen Kollekte kein klares Bild mehr herrscht. Nichts aber würde die Achtung und Würde der christlichen Liebestätigkeit in den Augen weiter Kreise mehr beeinträchtigen, als wenn sie nicht mehr imstande wäre, akuten Notständen nachhaltig und erfolgreich zu begegnen. So muß die Caritas alle katholischen Kreise und besonders die kirchlichen Stellen und Organisationen bitten, ihre Sorgen mitzutragen; Caritas ist nicht ein christliches Aufgabengebiet neben anderen, sondern muß gemäß der Lehre des Evangeliums als Herzstück des christlichen Lebens gewertet werden. Darum darf säe auch nicht bloß als Organisation materieller Hilfs

möglichkeiten angesehen werden; sie ist als Gesinnung und Haltung zu verkünden und lebendig zu machen!

Zweifellos besitzt das Sozialcaritative noch nicht den Platz, der seiner Würde und Bedeutung in den Herzen der Katholiken Österreichs zukäme. Die sozialen

und sogar die früher revolutionären Bewegungen sind in unserm Volk weithin erloschen, und so ist auch der caritative Elan in den Sog der „Verbürgerlichung" geraten. Die allgemeine Erschütterung und Ermüdung wirkt sich auch auf unsere überlasteten Helfergruppen ungünstig aus. Der Nachwuchswille der Jugend, sich für soziale Berufe bereitzustellen, hat nachgelassen, und speziell unsere caritativen Schwesternorden stehen seit 1936 in einer, sich stets mehr

verschärfenden Personalkrise. Anregende Neugründungen, wie sie nach 1920 entstanden, fehlen dieser zweiten Nachkriegszeit und wo notbedingte Aktie nen größeren Mut erforderten, mangelte es oft an Konsequenz und Originalität. Viole Kräfte scheinen noch gehemmt und

gebunden zu sein, teils durch materialistische Sättigung des Empfindens, teils durch religiösen Indifferentismus, auch wenn das Unbehagen über diese innere Auskältung gerade bei den Besten spürbar wächst. Es geht auch hier um eine Befreiung zur Würde, eben in der Ordnung der Liebe, und wenn der österreichische Katholikentag 1952 hierin den Anstoß zur Besinnung und Verlebendigung gibt, hat sich sein Auftrag groß erfüllt.

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