Christoph Leitl: "Weg mit diesem Staub!"

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"Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut", lautet ein Slogan der Wirtschaftskammer Österreich. Für deren Präsident Christoph Leitl bündelt sich diese Philosophie in einem Schlagwort: Flexicurity, also Flexibilität mit Sicherheit.

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"Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut", lautet ein Slogan der Wirtschaftskammer Österreich. Für deren Präsident Christoph Leitl bündelt sich diese Philosophie in einem Schlagwort: Flexicurity, also Flexibilität mit Sicherheit.

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DIE FURCHE: Flexicurity ist ein Kunstwort, das nun schon seit längerem in der politischen Arbeitsmarktdebatte herumgeistert. Was bedeutet diese Verbindung von Flexibilität und Sicherheit im Arbeitsleben für Sie?

Christoph Leitl: Es gibt zwei Ebenen - die instrumentelle, das sind konkrete Maßnahmen. Aber dahinter steckt eine Philosophie. Die derzeitige Situation ist ja die: Wenn man mehr Flexibilität von den Arbeitnehmern fordert, wird gleich geschrieen: "Nur, damit es den Betrieben besser geht, sollen wir auf etwas verzichten." Und hinter der Forderung nach mehr Sicherheit für die Arbeitnehmer wird gleich Fortschrittsverweigerung vermutet. Flexicurity ist für mich nun der Versuch, aus Thesis und Antithesis eine Synthesis zu machen. Das heißt, unterschiedliche Vorgangsweisen so zu verbinden, dass beide Seiten das Gemeinsame erkennen, und das ist die Notwendigkeit, dass die heimischen Betriebe gut abschneiden, auch und gerade im globalen Wettbewerb. Den gibt es nun einmal, man kann ihn befürworten oder fürchten, aber die Weltwirtschafts-und damit die Weltsozialentwicklung ist durch die aufstrebenden Länder Asiens in eine neue Dimension geraten. Und da ist die Frage, wie wir antworten können. Da gibt es eine ökonomische Antwort, aber die sucht ein soziales Pendant, und Flexicurity ist das Element, das beides miteinander verbinden kann.

DIE FURCHE: Sie haben den globalen Wettbewerb genannt, der mehr Flexicurity nötig macht. Wie flexibel ist denn Österreich? Und wie sicher?

Leitl: Auf der entscheidenden - der betrieblichen - Ebene ist beides vorhanden: Die Leute arbeiten dann, wenn Aufträge da sind, insofern ist Flexibilität gegeben. Aber die weitaus überwiegende Zahl unserer Unternehmer schaut auf ihre Leute, hält sie auch, wenn es eine Durststrecke gibt. Wenn die Leute bereit sind mehr zu leisten, wenn es viele Aufträge gibt, ist auch ein gewisser Ausgleich da, wenn es weniger Aufträge gibt. Dadurch schaffen wir Kontinuität, und die bringt Sicherheit. Der Grundkonsens der Verlässlichkeit: Die Mitarbeiter stehen zu ihrem Arbeitgeber, aber sie können sich auch auf ihn verlassen. Dieser Konsens ist es, der den Standort Österreich auszeichnet und der die Stärke Österreichs ausmacht. Nach einer internationalen Untersuchung zählen unsere Mitarbeiter zu den motiviertesten Menschen der Welt. Das ist ja kein Zufall.

DIE FURCHE: Auf der betrieblichen Ebene funktioniert Flexicurity also. Wo funktioniert sie nicht?

Leitl: Auf der Branchenebene wird es schon schwieriger, wo die Kollektivverträge abgeschlossen werden. Und auf der politischen Ebene, wo die gesetzlichen Grundlagen gefunden werden müssen, tun wir uns in manchen Bereichen noch etwas schwerer, etwa in der Arbeitszeitdiskussion. Da fällt es uns offenbar schwer nachzuvollziehen, was in der Praxis ja schon längst gelebt wird. Da wird von Lohnraub geredet und es werden Schreckensszenarien an die Wand gemalt. Dabei arbeiten die Menschen in den Betrieben flexibel, weil es einfach notwendig ist. Und das wollen wir auch in den Gesetzen verankert haben. Zudem könnte man sich von Ländern wie Dänemark einiges abschauen: Dort ist die Arbeitslosenvergütung sehr hoch, gleichzeitig aber auch der Druck auf die Arbeitslosen, sofort wieder einen Job anzunehmen. Und der Kündigungsschutz ist auf ein Minimum beschränkt. In Österreich ist er bei Angestellten sehr lang, für manche Betriebe zu lang.

Aber in anderen Fällen funktioniert die politische Ebene bestens: Die Zumutbarkeitsbestimmungen für die Vermittlung Arbeitsloser wurden neu definiert. Wo man sich in Deutschland den Schädel einschlägt, hat man bei uns sehr verständnisvoll miteinander geredet und Lösungen gefunden, um die uns die Deutschen beneiden. Und das ohne Konflikte wie in Frankreich.

Auch die Alterssicherung war ein veritabler Generationenkonflikt. Da war viel Feingefühl nötig, um den Begriff Security auch über die Generationen hinweg so zu definieren, dass alle Beteiligten damit gut leben können. Es ist nicht perfekt, Perfektion gibt es nicht auf der Welt. Aber es ist doch so, dass alle Verantwortlichen gespürt haben, da wird mit großer Verantwortung, mit großem Verständnis und einer ethischen Grundhaltung herangegangen. Das lässt das Verständnis und die Akzeptanz für das Ergebnis wachsen.

Auch die Abfertigung neu ist gelungen: Mittlerweile bekommen alle eine Abfertigung. Das ist wahrscheinlich das beste Beispiel für die Flexicurity. Jetzt bekommt jeder Mitarbeiter eine Zukunftsvorsorge, vorher waren es nur 20 Prozent der Arbeitnehmer.

DIE FURCHE: Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat für die geforderte Arbeitszeitflexibilisierung aber nicht viel Verständnis. Wie sehen Sie die Chancen, sie trotzdem durchzusetzen?

Leitl: Ich glaube, der ÖGB kennt sehr gut die Gegebenheiten in den Betrieben und er wird so viel Realitätssinn haben, dass er dem, was heute in den Betrieben schon Realität ist, auch auf gesetzlicher Grundlage Rechnung trägt.

DIE FURCHE: Sie fordern also ein Mehr an gesetzlich vorgesehener Flexibilität. Gibt es im Gegenzug auch noch in der Sicherheit einen Bereich, wo noch mehr gemacht werden sollte?

Leitl: Die Wirtschaft hat sich die Vollbeschäftigung zum Ziel gesetzt. Zeigen Sie mir ein anderes Land, in dem die Wirtschaft dieses Ziel hat. Warum machen wir das? Vollbeschäftigung bringt ja ein Mehr an Sicherheit: Wenn es Vollbeschäftigung gibt, hat man die Garantie, wenn man etwas gelernt hat und arbeiten will, das auch zu können. Das ist die höchste Form der Security. Und um die zu erreichen, brauchen wir Flexibilität: mehr Mobilität, mehr Weiterbildungswillen. Wir haben ja viele Arbeitslose in Österreich, die mit einer höheren Qualifikation sofort einen Job finden würden. Wir haben einen Facharbeitermangel in Österreich. Wir sollten noch mehr erreichen können, wenn wir dieses Humanpotenzial produktiv machen würden. Und wenn viele, die heute Arbeitslosengeld bekommen, statt dessen in den Topf einzahlen würden, weil sie eine Arbeit haben, wären unsere Sozialsysteme noch viel leistungsfähiger. Und genau dort will ich hin. Aber es ist uns natürlich bewusst: Wenn wir von den Leuten verlangen, dass sie flexibler arbeiten, dann muss auch für die Kinderbetreuung gesorgt sein. Wir fordern daher etwa bessere Nachmittags-und Ganztagsbetreuung von Kindern. Auch das ist Flexicurity. Gerade Beruf und Familie ist ein entscheidendes Thema.

DIE FURCHE: Wie steht es mit der Aus- und Weiterbildung in Österreich? Sind Sie damit zufrieden?

Leitl: In der Weiterbildung sind wir gut, aber wir müssen sehr gut werden. Von der Eingangs-bis zu Ausgangsqualifikation müssen wir den höchsten Standard vermitteln. Und wir dürfen nicht mehr 14-Jährige vor die Wahl stellen: Willst du bei den Gescheiten sein, dann geh aufs Gymnasium, willst du bei den weniger Gescheiten sein, dann fang eine Lehre an. Jeder, der mit 14 Jahren eine Entscheidung trifft, muss immer wieder die Möglichkeit haben, Querverbindungen, Wechselmöglichkeiten zu finden. Jeder, der eine Lehre beginnt, muss auch als Universitätsprofessor enden können, und jeder mit höherer Ausbildung als Meister in einem Betrieb. Diese Verknüpfung der Talente, nicht die bisherigen ausgeleierten Bildungsschienen, ist nötig und zukunftsweisend.

DiIE FURCHE: Es gäbe ja die Möglichkeit, Lehre und Matura zu vereinen, aber nur sehr wenige Lehrlinge nehmen die Möglichkeit in Anspruch. Liegt das an den Leuten oder am Angebot?

Leitl: Am Angebot. An den Ressourcen. Wenn man solche Kombinationen anbietet, muss man auch die nötigen Ressourcen anbieten, und da endet meistens das Lied.

DIE FURCHE: Wie sollen diese zusätzlichen Ausgaben für das Bildungssystem, wie Sie es sich vorstellen, finanziert werden?

Leitl: Wir haben eine fertige Bundesstaatsreform herumliegen, auf der sich nur Staub ansammelt. Und mit jeder Schicht Staub ist wertvolle Zeit vergangen und man versündigt sich an unserem Land und seinen jungen Menschen. Vorrangige Aufgabe einer künftigen Bundesregierung ist es daher, diesen Staub endlich wegzuwischen und den Fiedler-Entwurf in die Praxis umzusetzen.

DIE FURCHE: Mit welcher Koalition wird das so sein?

Leitl: Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich schaue mir einmal den Wahlkampf an. Wir werden uns überlegen, was für die nächsten vier Jahre für Österreich entscheidend ist. Neben Bundesstaatsreform und Bürokratieabbau ist das etwa auch die Gesundheitsreform und eben die Bildungsfrage. Denn nur, wer die Begabungen seiner Menschen besser nützt, wird erfolgreicher sein. Wir haben nun einmal keine Ölquellen oder Goldminen, auf die wir zurückgreifen können, wir haben nur Geist und Geschicklichkeit unserer Menschen. Und die müssen wir entwickeln.

Das Gespräch führte Claudia Feiertag.

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