Confoederatio Austriaca

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Starke Bundesländer mit echten Kompetenzen - warum nicht? Perspektiven für das geschüttelte Österreich sind jedenfalls dringend vonnöten. Ein Gastkommentar.

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Starke Bundesländer mit echten Kompetenzen - warum nicht? Perspektiven für das geschüttelte Österreich sind jedenfalls dringend vonnöten. Ein Gastkommentar.

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Dezentrale Verwaltungsstrukturen haben in Österreich Tradition, in Europa sind die Schweiz, Deutschland und Österreich Kern-Regionen föderaler Strukturen. Der Blick in diese Nachbarschaft taugt wesentlich besser als der Blick ins entfernte Skandinavien mit seinen zentraleren Strukturen und einer völlig anderen geschichtlichen Entwicklung. In Österreich hätten SPÖ und ÖVP diesen Diskussionsprozess schon längst vorantreiben müssen. Die Berichte über Föderalismus-Konvent und ähnliches überzeugen jedoch nicht. Da nützt auch der Verweis auf das Vorbild Schweiz nicht.

Minderheitsregierungen und Mehrheitswahlrechte finden sich auf der Agenda niedergehender Parteien als letzter Ausweg, Herrschaft und Macht zu prolongieren, unabhängig vom Wählerauftrag. Ein Megatrend unserer Gesellschaft geht jedoch in Richtung Inklusion. Der vor 45 Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommene und in Salzburg wirkende Politikwissenschafter René Marcic hat es auf den Punkt gebracht: "dass Qualität der Demokratie mit dem Umfang korreliert, wie sich möglichst große Bevölkerungskreise in den politischen Strukturen und deren Maßnahmen widerfinden". Also nicht die Demokratie als Diktat der Mehrheit über die Minderheit und schon gar nicht schräge Modelle des Diktates der Minderheit über die Mehrheit sind gefragt.

Bund als Hilflosen-Holding

Die Föderalismus-Diskussion in Mitteleuropa, von Deutschland über die Schweiz und Österreich bis Italien, liefert Anregungen für stärkere Regionalisierung. In Österreich haben sich die Beziehungen Bund-Länder in der Realität nachhaltig verändert.

In der Bundesebene kann in zunehmendem Maße eine Hilflosen-Holding und internationale Schuldner-Adresse ausgemacht werden, die Aufgaben und Kompetenzen sind inkongruent, das Gemeinwesen ist daher falsch aufgesetzt. Eine Landeshauptleute-Konferenz mit der gegebenen informellen Macht gräbt selbstredend der Zweiten Kammer des Parlamentes, der Länderkammer Bundesrat, das Existenzrecht ab.

In der Zwischenzeit ist das österreichische Gemeinwesen in der Begrifflichkeit des Familienmodells zu einem System geworden, wo sich die Eltern in den Ländern wohlig und auf Dauer einrichten, während sie ihren Kindern im Bund eine Spielwiese geschaffen haben, von welcher die braven zurückkehren dürfen, während man bei vielen froh ist, dass man sie dort angebracht hat - es ist ja nur der Bund

Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten eine umfassende Föderalismusreform auf den Weg gebracht und dabei neben gebotenen Abgrenzungen auch wettbewerbsfördernde Überlappungen zugelassen: Der an Vorarlberg grenzende Schweizer Kanton St. Gallen mit etwa 500.000 Einwohnern hat nicht nur 1929 der Welt erste Schuldenbremse eingeführt und damit die Bürgerinteressen an die Arbeitstische der Beamten gebracht. Der Kanton übt auch die politisch-verwaltungsmäßige Hoheit über die Universität St. Gallen aus, die schon seit Jahren zu den renommiertesten Wirtschaftshochschulen Europas, wenn nicht der Welt zählt; die offenbar erfolgreiche Steuerung gelingt dort ohne großen regulativen Überbau eines riesigen Wissenschaftsministeriums. Kantonale Hochschulkompetenz hindert den Schweizer Bund aber nicht, Eidgenössische Technische Hochschulen in Zürich und Lausanne zu betreiben, die ihrerseits wiederum in den Rankings exzellent platziert sind.

Der heute 75-jährige Schweizer Alt-Bundespräsident Kaspar Villiger kann für sich in Anspruch nehmen, wesentliche Weichen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen gestellt zu haben. Ein Volksauftrag, der die Politiker an den "Schiffsmast bindet, auf dass sie den Sirenenklängen großzügiger Spendierhosen widerstehen können", brachte Schuldenbremse und neue Kompetenzverteilung.

Bozen, München, Stuttgart

Ein besonders bemerkenswertes Beispiel geglückter Regionalisierung stellt die autonome Provinz Südtirol mit ihren 500.000 Einwohnern im ethnisch andersartigen Staatsverband, dem romanischen Italien, dar. Die Provinz Bozen (mit einer deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit) kann eigene Gesetze im Bereich der öffentlichen Ämter, der Raumordnung, des Handwerks, der Landwirtschaft, der Kindergärten, des Schulbaus und in etlichen weiteren Bereichen erlassen. Selbstverwaltung wird dadurch ermöglicht, dass etwa 90 Prozent der in der Provinz einbezahlten Steuern (vor allem der Umsatzsteuer sowie der Einkommen- und Körperschaftsteuer) von Rom wieder an Bozen zurückfließen. Der Südtiroler Landeshaushalt betrug 2015 fünf Milliarden Euro pro Jahr. Das Landesbudget des österreichischen Bundeslandes Tirol mit seinen immerhin 700.000 Einwohnern weist 3,8 Milliarden Euro auf. Südtirol zeigt, dass bürgernahe Politik den Lebenskomfort für Menschen steigert.

Dass die beiden deutschen Südstaaten Bayern und Baden-Württemberg - Österreich ja auch mental sehr nahe -freilich in einer ganz anderen Größenliga operierend, ebenfalls bereichernde Impulse für ihr Land setzen können, zeigt jede Analyse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Regierungen von Bayern und Baden-Württemberg sind angesehene Partner in Berlin aber auch auf EU-Ebene in Brüssel. Die für Österreich so bedeutende Donauraumstrategie ist auch für Deutschland wichtig, und es sind die Regionalverwaltungen in München und Stuttgart und besonders die Donaustadt Ulm, welche dieses europäische Projekt im Geiste praktizierter Regionalisierung für Deutschland gestalten.

Österreichs politische Versäumnisse der letzten beiden Jahrzehnte sind angekommen, das Land wurde nachhaltig vom Vorzeige- zum Krisenkandidaten hinabgestuft.

SPÖ/ÖVP sind am Ende

Eine Confoederatio Austriaca wäre durchaus ein interessanter Denkansatz. Starke Bundesländer mit echten Kompetenzen in Gesetzgebung und Vollzug bei gleichzeitiger Verpflichtung zur im Interesse der Menschen gelegenen maximalen Koordination. Eine Analyse würde zeigen, dass die Reformen in den Bundesländern weg von den Proporzregierungen falsch waren. Inklusion und politisch breit abgestützte Regierungen in Ländern und Bund, die sich einem starken Gesetzgeber und ergänzend einer permanenten Kontrolle durch die Bürger via direkte Demokratie und aufklärungswillige Medien stellen müssen, stellt das überlegene Modell dar.

Landesfürsten, die ihrem Namen gerecht werden, aber eben Rechten und auch Pflichten nachkommen müssen: das ist durchaus darstellbar. Die positive Konsequenz müsste freilich eine völlig abgespeckte Bundesebene mit einer starken Legislative, aber einer völlig abgeschlankten Verwaltung sein. Das jetzige System hat das Gemeinwesen jedenfalls in den Graben gefahren, die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP sind am Ende. Es sind keine Parteien in Sicht, welche das Erbe antreten könnten. Der Wähler verschiebt im Moment bei Wahlen Treibsandhaufen, die Volatilität der Wahlergebnisse verweist auf ein politisches System in fragiler Verfassung. Der schmale Pfad des schlanken, aber starken Gemeinwesens mit möglichst unmittelbarer Rückkoppelung an die Bürger muss gefunden werden

| Der Autor lebt als Politikberater und Publizist in Perchtoldsdorf |

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