Ischgl Bar - © Foto: APA / Jakob Gruber

Corona: Die Kitzloch-Dämmerung

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Die Ereignisse um die Verbreitung der Covid-19-Erkrankung in Ischgl sind erst spärlich aufgearbeitet. Gäste berichten von Verantwortungslosigkeit von Wirten und Behörden. Ein Report über Geld, Politik und ihre Opfer.

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Die Ereignisse um die Verbreitung der Covid-19-Erkrankung in Ischgl sind erst spärlich aufgearbeitet. Gäste berichten von Verantwortungslosigkeit von Wirten und Behörden. Ein Report über Geld, Politik und ihre Opfer.

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Das Wetter mild, die Sonne kräftig, aber noch genügend Schnee auf den Pisten: Tirol, Anfang März 2020. Hinter den Bespaßungskulissen für die Gäste freilich rumorte es anscheinend bereits gewaltig. So sehr, dass das jetzt auch Klagen nach sich ziehen wird. Einer Sammelklage des Vereins für Verbraucherschutz (VSV) haben sich bereits 4500 Personen angeschlossen. Sie alle erkrankten an Covid-19 – nach einem Urlaub in Tirol. Drei Touristen sind bereits verstorben, rund 40 Personen lagen auf Intensivstationen.

Martina Büchling war in der Woche dort, als die Lage eskalierte. Von Corona in der Region wusste die 51-Jährige damals nichts, wie sie sagt – obwohl sie die Nachrichtenlage dahingehend im Auge hatte. „Wir wären nicht gefahren“, sagt sie. Als sie am 8. März mit ihrem Mann, einer Risikoperson, und den zwei erwachsenen Töchtern, die jüngere ebenso eine Risikoperson, anreiste, schien Ischgl sicher. Zwei Wochen zuvor war wegen eines Coronafalls ein Hotel in Innsbruck vorübergehend gesperrt worden. Ein Einzelfall, wie es hieß. Danach keine Rede mehr von Corona.

Sperren – aber wie?

Und da saß Martina Büchling nun in einer Liftgondel, zwei Tage nach ihrer Ankunft. Es war der 10. März. Und neben ihr: Eine junge Frau, die ihr verkatert klagte, dass man das „Kitzloch“ gesperrt habe. Als Martina Büchling dann am Abend aber ihr Snowboard zurück ins Hotel schleppte, stellte sie verwundert fest: Die Bars waren zwar geschlossen, nur hatten die Gastronomen die Ausschank auf die Straße vor den Lokalen verlegt – und nun drängte es sich eben dort.

Bereits am 7. März war ein Barkeeper der Après-Ski-Bar Kitzloch positiv auf Covid-19 getestet worden. Es folgte eine beispiellose Serie an Beteuerungen offizieller Stellen, etwa der lokalen Sanitätsbehörden, dass eine Ansteckung in der Bar aus medizinischer Sicht unwahrscheinlich sei – außer Acht lassend, dass Après-Ski meist mit engem Körperkontakt einhergeht. Als schließlich 15 Personen aus dem Umfeld des Barkeepers positiv getestet wurden, war dann doch Schluss. Das Kitzloch musste sperren.

Später behauptete der Gesundheitslandesrat steif und fest in einem TV-Interview, die Behörden hätten alles richtig gemacht – da war aber bereits klar, dass nach der Sperre des Paznauntals viele Urlauber unkontrolliert nach Inns
bruck gefahren waren, um sich dort einzuquartieren. Dann wurde ein SMS-Verkehr vom 9. März publik, in dem der ÖVP-Abgeordnete, Seilbahn-Lobbyist und Obmann des ÖVP-Wirtschaftsbundes Tirol, Franz Hörl, den Betreiber des Kitzlochs bekniet, doch zu schließen – über die Sache werde ohnehin in zehn Tagen Gras gewachsen sein, ein vorzeitiges Ende der Skisaison wolle man aber nicht riskieren.

Detail am Rande: Am 4. und 5. März fanden Wirtschaftskammerwahlen statt, bei denen Hörl als Spitzenkandidat der ÖVP-Teilorganisation Wirtschaftsbund ins Rennen ging – rund ein Drittel der bei der Wahl Stimmberechtigten in Tirol kommen aus der Hotellerie und Seilbahnwirtschaft. Und die Dominanz des ÖVP-Wirtschaftsbundes in der Wirtschaftskammer ist eine wichtige finanzielle Rückversicherung für die ÖVP.

Abstand ohne Kontrolle

Und so war auch Kanzler Sebastian Kurz genau eine Woche, bevor eine Rezeptionistin in einem Hotel in Innsbruck Ende Februar positiv auf Corona getestet wurde, in eben jenem Hotel zu Gast. Der Kanzler traf abseits der
Öffentlichkeit die sogenannte „Adlerrunde“, eine Plattform der 40 größten Unternehmer Tirols. Darunter Seilbahnbetreiber, Hoteliers, Tourismusverbands-Obleute sowie Bauunternehmer. Allesamt wichtige ÖVP-Spender im Millionen-Umfang.

In den Tagen nach der Kitzloch-Sperre dämmerte es dann auch Martina Büchling: Sie sah Infozettel bei der Seilbahn, die aufforderten, Abstand zu halten – aber niemanden, der das kontrolliert hätte; Zubringerbusse, bei denen man zum Schutz des Fahrers nur mehr hinten einsteigen konnte – die aber voll mit Skitouristen waren; und schließlich am Abend des Freitags, 13. März: Endzeitstimmung. „Leute liefen mit gepackten Koffern wie Hühner durch die Straßen“, erzählt Martina Büchling. Und als sie zurück ins Hotel kamen: ein seinen eigenen Ruin beklagender Hotelwirt, der die Gäste vor die Tür setzte. „Er tut mir leid“, sagt Martina Büchling. „Aber da tu ich mir jetzt mehr leid“, setzt sie nach. Und: „Man hat uns da ins Messer laufen lassen.“ Heimfahrt in der Nacht auf Samstag in den Großraum Frankfurt.

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