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Corona-Folgen: Vieles darf sich ändern

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Die Pandemie hat uns hart getroffen, aber auch klargemacht, dass unsere Gesellschaft ohne tiefgreifende Reform nicht zukunftstauglich ist. Die richtige Zeit dafür ist jetzt. Ein Gastkommentar.

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Die Pandemie hat uns hart getroffen, aber auch klargemacht, dass unsere Gesellschaft ohne tiefgreifende Reform nicht zukunftstauglich ist. Die richtige Zeit dafür ist jetzt. Ein Gastkommentar.

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Das Jahr 2020 war bestimmt von Corona. Ein kleines Virus hat unsere Turbogesellschaften zum Teil lahmgelegt, Millionen Menschenleben gefordert und uns in eine Krise historischen Ausmaßes geworfen. Die Staaten reagierten rasch, die Politik zeigte zunächst Handlungsfähigkeit. Doch mit Fortdauer der Krise steigt der Unmut, die Polarisierung nimmt zu. Was können wir aus der Krise lernen, und welche Herausforderungen stellen sich durch diese und über die Pandemie hinaus? Hier einige Vorschläge zum Besseren nach der Pandemie, von der Wirtschaft bis zur Migrationspolitik.

1 Die Wirtschaft umbauen

Durch die Bündelung von Ressourcen wurden erstaunlich rasch Impfstoffe zur Immunisierung gegen das Virus geschaffen. Die Hoffnung, dass dadurch im Laufe des Jahres eine Normalisierung des Lebens und Wirtschaftens eintreten wird, ist berechtigt. Doch warnende Stimmen wie die Primatenforscherin Jane Goodall oder der Genetiker Josef Penninger gehen davon aus, dass Pandemien uns auch in Zukunft begleiten werden. Das Zerstören der letzten unberührten Naturareale, die Massentierhaltung, das Leben in dicht besiedelten Städten und die zunehmende Globalisierung werden als Gründe genannt. Auch der menschengemachte Klimawandel soll die Verbreitung von Viren fördern. Der Aufbau resilienter Wirtschaften mit einer stärkeren Regionalisierung der Produktionsstrukturen, ein Überdenken der Ernährungsweisen sowie der Übergang zu regenerativen Landwirtschaften sollten ins Auge gefasst werden. Generell könnte die Pandemie zu einer wieder stärkeren Verortung des Lebens und Wirtschaftens führen. Dies würde auch den Aufbau von Binnenmärkten in den Ländern des Südens erfordern, jedoch keine Abschottung bedeuten. Wissen soll global zirkulieren, Produzieren aber erneut stärker regionalisiert werden. Der globale Handel würde nicht zur Gänze wegfallen, aber auf ein umweltverträgliches Maß begrenzt. Die gegenwärtigen globalen Güterketten sind ohnedies nur möglich auf Basis des billigen Erdöls. Das führt uns zur zweiten Aufgabe.

2 Klimawandel ernst nehmen

Das Jahr 2020 gilt auch als Beginn jenes Jahrzehnts, in dem sich entscheiden wird, ob die Einbremsung des menschengemachten Klimawandels auf ein ökosystemisch verträgliches Maß gelingen wird oder nicht. Um jährlich sieben Prozent müsste der Ausstoß an Treibhausgasemissionen zurückgehen, wenn wir das Ziel einer globalen Temperaturerhöhung um maximal 1,5 Grad Celsius noch erreichen wollen, rechnet die Klimaforschung vor. Ein Wert, der pandemiebedingt 2020 erreicht wurde. Nun müssten jedoch jährlich jeweils weitere sieben Prozent an Reduktion folgen. Der Impfstoff gegen den Klimawandel ist bereits gefunden und bekannt: die Dekarbonisierung unserer Wirtschaften und der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energieträger. Ein gigantischer Strukturwandel, der mit jenem des Übergangs von der Handwerker- und Bauerngesellschaft zur Industriegesellschaft vergleichbar ist. Anders als bei der Pandemie handelt es sich beim Klimawandel um ein schleichendes Phänomen – der Meteorologe Sven Plöger spricht vom einem „Asteroideneinschlag in Superzeitlupe“. Die Folgen werden jedoch immer stärker spürbar, Kipppunkte könnten rasch zur Zuspitzung der Krisen führen. Nicht-Handeln wird auch volkswirtschaftlich viel teurer als das Setzen von Maßnahmen. Die große Herausforderung: Einzelne Länder können zwar als Pioniere des Umstiegs vorangehen, letztlich muss aber global gehandelt werden. Die auch 2021 weiterhin nötige Stützung der Wirtschaft ist mit dem grünen Umbau zu verbinden. Der europäische Green New Deal weist hier ebenso wie das vereinbarte Klimainvestitionsprogramm in Österreich in die richtige Richtung.

3 Unsere Bilder von Wohlstand und gutem Leben überdenken

Die Stärke einer offenen Gesellschaft liegt in der Fähigkeit, auf Probleme neue Antworten zu finden. So können Krisen in der Tat zu Chancen werden. Neue Technologien werden dazu beitragen, den ökologischen Wandel zu gestalten. Nicht nur anders produzieren und konsumieren, sondern auch weniger, lautet dann die Devise. Die Pandemie kann uns lehren, das Wirtschaften wieder stärker auf die Grundbedürfnisse zu fokussieren: leistbares Wohnen und Lebensmittel hoher Qualität für alle, begrünte Städte, die wieder den Menschen gehören, Aufwertung öffentlicher Leistungen wie Bildung, Gesundheit und Kultur, gute Bedingungen für das Heranwachsen der Jungen und für ein würdiges Altwerden-Können. Denkbar würden neue Arbeitszeitmodelle, die den jeweiligen Lebenslagen angepasst sind – im Trend mit kürzeren Arbeitszeiten. Die weiter fortschreitende Digitalisierung birgt große Automatisierungs- und Rationalisierungspotenziale. Möglicherweise muss die soziale Grundsicherung neu angelegt werden, ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre dann keine Utopie mehr.

Mehr Gesprächs- und Debattenkultur braucht Persönlichkeiten in der Politik, im öffentlichen Leben, die Vertrauen und ein Miteinander fördern, und sie braucht Bürger und Bürgerinnen, die sich am öffentlichen Diskurs beteiligen.

4 Begriffe wie Leistung, Moral, Kreativität und wirtschaftlichen Erfolg neu definieren

„Leistung muss sich wieder lohnen“, lautet das Mantra der Kritiker des Wohlfahrtsstaates. Der Kapitalismus tritt mit der Erzählung an, dass Erfolg hat, wer etwas leistet. Doch vielmehr funktioniert dieser nach dem Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Die Vermögenden haben ­ihre Eigentumsrechte bestens abgesichert. Sie beschäftigen ganze Heere von Anwälten und Finanzspezialisten, die ihnen die Mehrung ihres Besitzes sichern. Doch die Wirtschaft folgt keinen Naturgesetzen, sondern wird von Menschen gemacht und ist daher veränderbar. Wir brauchen eine Ökonomie, die moralisch Bestand hat, in der (wieder) tatsächliche Leistungsgerechtigkeit herrscht – niemand kann das 50- oder 100-Fache eines Normalverdienenden leisten. Wenn zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise ein Lastenausgleich gefordert wird, zu dem die Reicheren stärker herangezogen werden sollen, ist das verständlich. Aber die Zunahme der Ungleichheit war auch ohne Pandemie volkswirtschaftlich schädlich und demokratiepolitisch gefährlich. Geschichte verläuft häufig in Wellenbewegungen. Das Pendel kann und soll in Zukunft wieder stärker in Richtung Gemeinwohl und Balance ausschlagen.

Ergebnisse der Zufriedenheitsforschung zeigen, dass soziale Beziehungen und Vertrauen ebenso wichtige Zukunftsressourcen sind wie ökonomische Sicherheit und ein planbares Einkommen. Die Polarisierung in der Gesellschaft nimmt jedoch seit Jahren zu. Der Stil der öffentlichen Debatten wird rauer – die Sozialen Medien führen nicht nur zur Verstärkung der Blasenbildung, sondern auch zur Verrohung des Gesprächsklimas – „Hass im Netz“ gilt mittlerweile als stehender Begriff. Populismus lebt von dieser Verrohung der Diskurssitten, und er verstärkt diese zugleich.

Ein Beispiel: Ein den Menschenrechten verpflichteter Umgang mit Geflüchteten sowie eine konstruktive Migrationspolitik werden nur möglich sein, wenn der öffentliche Diskurs sich ändert und neue Werte­mehrheiten entstehen. In der Pandemie haben Regierungen Handlungsfähigkeit bewiesen. Doch der gesellschaftliche Konsens über die Maßnahmen erodiert. Die Politik ist daran nicht unschuldig. Demokratie lebt von Dialog und Vertrauen. Mehr Gesprächs- und Debattenkultur braucht Persönlichkeiten in der Politik, im öffentlichen Leben, die Vertrauen und ein Miteinander fördern, und sie braucht Bürger und Bürgerinnen, die sich am öffentlichen Diskurs beteiligen.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mit­arbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Zuletzt erschienen: „Post-Corona-Gesellschaft“.

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