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Das Bauen am Menschen

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Gerne komme Ich der Einladung der Redaktion der „Furche“ nach, einen Überblick über die geistige und wirtschaftliche Lage unseres westlichsten Bundeslandes zu geben.

Wenn wir Vorarlberg trotz Industrialisierung und trotz Auflösung alter Bindungen ein katholisches Land nennen, so ist dies keineswegs ein billiges Selbstlob. Wenn wir von der Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst und am pfarrlichen Leben ausgehen, kommen wir auf Prozentziffern, die weit über dem österreichischen Durchschnitt liegen. Dies heißt nicht, daß wir auf kirchlichem Gebiete keine Sorgen hätten. Vor allem stehen wir vor der Aufgabe eines verstärkten Kirchenbaues. Unsere Städte wachsen in die Breite; es entstehen Siedlungen von mehreren tausend Bewohnern, die kilometerweit von der nächsten Pfarrkirche liegen. Gerade am Rand unserer Industriestädte müssen neue Kirchen gebaut werden, soll nicht die zuziehende Bevölkerung sich dem religiösen Leben entfremden. Die Vorarlberger Landesregierung unterstützt die Kirchenbauten finanziell, wenn auch naturgemäß die Pfarrangehörigen selbst die größeren Opfer bringen müssen und sollen.

Ich darf beifügen, daß auch unsere evangelischen Mitchristen in den letzten Jahren mit Kirchenbauten, wie in Feldkirch, eingesetzt haben und selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln gleichfalls gefördert werden.

Es ist kein Geheimnis, daß unser großer kirchenpolitischer Wunsch nach der Errichtung einer eigenen Diözese geht. Wir dürfen hierfür historische und religiöse Gründe anführen. Seit dem Wiener Kongreß lebt Vorarlberg in einem kirchenpolitischen Provisorium. Vordem hatte der Süden des Landes zum Bistum Chur, der Norden zu Konstanz gehört, dessen heiliger Bischof Gebhard, unser Landespatron, der Sohn eines Grafen von Bregenz war. Sieben Vorarlberger Pfarren waren der Diözese Augsburg angeglie-

dert; mehrere Gemeinden des Großen Walsertales gehörten zu den Stiften Weingarten und Einsiedeln. Die päpstliche Bulle „Ex imposito Nobis“ vom 2. Mai 1818 spricht ausdrücklich von einer „futura Dioecesis“ in Feldkirch. Das Bistum Feldkirch sollte errichtet werden, wenn die mit der Wiener Regierung aufgenommenen Verhandlungen über die Aussattung des neuen Bistums zum Abschluß gekommen wären; doch erteilte Kaiser Franz I. am 10. Juli 1818 das im josephinischen Staat zur Durchführung der päpstlichen Bulle erforderliche Placetum regium nur beschränkt, so daß es nicht zur Errichtung des Bistums kam (bekanntlich sieht die katholische Kirche im Placetum regium eine Anmaßung der Staatsgewalt). So wurde die Seelsorge in Vorarlberg „interim“1 dem Bischof von Brixen „cum jurisdictione dioecesana“ anvertraut, doch kam es niemals zu einem förmlichen Anschluß Vorarlbergs an die Diözese Brixen.

Mit dem Wunsch auf Errichtung eines eigenen Bistums beschäftigte sich der Vorarlberger Landtag im Jahre 1887 und in letzter Zeit ununterbrochen seit dem Jahre 1953. Die Vorarlberger Landesregierung hat als Amtssitz für den Bischof in FeldkirchL eine Villa erworben. Überdies besteht nunmehr ein eigenes Knabenseminar für Vorarlberg in Bregenz; der beträchtliche Beitrag Vorarlbergs zum Bau des neuen Priesterseminars in Innsbruck beweist, daß niemand daran denkt, die Vorarlberger Theologen von Innsbruck abzuziehen. Die kanonische Errichtung der Diözese Innsbruck ohne gleichzeitige Erwähnung Feldkirchs im vergangenen Jahr bedeutete für uns eine gewisse Enttäuschung. Aber auch im gemeinsamen Kirchengebiet bestehen Besonderheiten: aus Vorarlberg stammende Priester werden in der Regel im Lande verwendet; die Dekane der sieben Vorarlberger Dekanate werden von den Pfarrern gewählt, so daß der Sitz der Dekanate wechselt!

Da in der katholischen Kirche gegenwärtig reges Leben herrscht und die Organisationsformen rasch den Gegebenheiten angepaßt werden, haben wir die Hoffnung, daß eines Tages unsere Diözesanwünsche Ihre Erfüllung finden. Dabei halten wir selbstverständlich mit den geistlichen und weltlichen Autoritäten unseres Tiroler Nachbarlandes den freundlichsten Kontakt.

Um auf die sozialen Probleme überzugehen, darf ich mit der Feststellung beginnen, daß die wirtschaftliche Hochkonjunktur, ausgelöst durch Industrialisierung und Fremdenverkehr, wieder neue Probleme schafft. Vorarlberg ist das Land der stärksten Geburtenzahl Österreichs, aber auch des stärksten Zuzuges. Neue Menschen und gesteigerter Verkehr bedeuten aber neue Wohnungen, neue Schulen, neue Straßen, neue Wasserleitungen, Ortskanalisierung bis in die Dörfer, die sich rasch in Industriegemeinden verwandeln, usw. Der Landesverwaltung und den Gemeinden erwachsen Aufgaben, die den vollen Einsatz der auf verantwortlichem Posten stehenden Männer erfordern.

Wer Vorarlberg um seines verhältnismäßig hohen Steueraufkommens wegen beneidet, möge einmal die Liste der berechtigten Wünsche durchsehen, die an uns herangetragen werden. Von Großbaustellen möchte ich nur zwei erwähnen: den Riesenspeicher der Vorarlberger Iiiwerke auf der Alpe Kops im innersten Montafon und die Überbrückung der Bregenzer Ache durch eine Straßenbrücke bei Müselbach, die vor allem dem über die deutsche Grenze hereinströmenden Kraftwagenverkehr dienen wird. Das Landesunternehmen, die Vorarlberger Kraftwerke, baut an der oberen Lutz im Großen Walsertal ein Elektrizitätswerk, dessen Produktion allerdings nicht einmal der Bedarfszunahme von zwei Jahren entspricht. Mit anderen Worten: auch auf dem Energiesektor kann die Bautätigkeit dem Bedarf nur mit äußerster Mühe nachfolgen. Daß die beiden jüngsten An-

leihen der Vorarlberger Kraftwerke geradezu innerhalb weniger Minuten überzeichnet waren, ist wiederum ein Beweis des Vertrauens in die öffentliche Wirtschaft.

Wer durch Vorarlberg fährt und sieht, wie viele Arbeiterfamilien ihr eigenes Haus mit Gärtchen, meist auch ein eigenes Fahrzeug haben, möchte bei uns die soziale Frage für gelöst ansehen. Dabei sorgt gerade die Ausweitung der Industrie für die Schaffung neuer Probleme. Aus anderen Bundesländern, zumeist aus der Steiermark oder Kärnten, kommen junge Leute, um hier zu arbeiten. Es ist schon schwer, sie wohnungsmäßig unterzubringen, noch schwieriger aber, sie in unsere Volksgemeinschaft einzugliedern und sie zu einer wertvollen Freizeitgestaltung zu führen. Hier haben gerade kirchliche Kreise erste, besonders segensreiche Arbeit geleistet. Ich darf nur auf das Haus der jungen Arbeiter in Dornbirn und das Maria-Rädler-Heim in Hard hinweisen, wo Burschen beziehungsweise Mädchen preiswerte Unterkunft finden und geselligen Anschluß erhalten haben. In diesen Häusern kann der von der Schichtarbeit spät abends heimkehrende oder der zur Frühschicht zeitlich morgens aufstehende Jugendliche Speise und Trank bekommen; vielfach hat er es hier besser als zu Hause. Die beiden genannten Anstalten haben einen Anfang gesetzt; in diesem Geist wollen wir dem Problem zu Leibe rücken.

Der verewigte Bundespräsident Dr. Schärf, der jedes Jahr im Juli zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele kam, sagte einmal, wenn er einen Vorarlberger Ort besuche, so erkenne er ihn fast nicht wieder, weil seit dem Vorjahr so viele neue Häuser gebaut worden seien. Es ist wahr, Vorarlberg ist ein großer Bauplatz, wichtiger aber als der materielle Bau ist das Bauen am Menschen. Wir haben uns die Aufgabe gestellt, über der Wirtschaft den Menschen nicht zu vergessen, der wohnen und betreut sein, der in Vorarlberg wirklich heimisch werden will. In diesem Ziele stimmen alle Vorarlberger ohne Unterschied der politischen Parteien überein. So heiße ich über die Seiten der „Furche“ die Gäste, die zur Dornbirner Textilmesse und zu den Bregenzer Festspielen kommen werden, herzlich willkommen.

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