Das Comeback der Dynastie

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Als erster österreichischer Journalist sprach der Autor dieses Beitrags mit Sonia Gandhi, der umstrittenen Führerin der indischen Kongreß-Partei.

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Als erster österreichischer Journalist sprach der Autor dieses Beitrags mit Sonia Gandhi, der umstrittenen Führerin der indischen Kongreß-Partei.

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Sonia Gandhi lebt gefährlich und ist dementsprechend vorsichtig. Das ist nicht weiter verwunderlich, wurden doch sowohl ihre Schwiegermutter Indira als auch ihr Mann Rajiv Opfer politischer Gewalt. Und ihre Nominierung zur Spitzenkandidatin der Kongreß-Partei bei den Parlamentswahlen im September hat das Risiko nicht verringert: Zur physischen Bedrohung kommt nun der psychische Druck von kleinmütigen Neidern in der eigenen Partei.

Jedenfalls herrscht Sicherheitsstufe 1. Sogar für Dienstwagen mit Diplomatenkennzeichen heißt es vor Sonias Residenz in der Janpath Straße 10 "Endstation". Nach strenger Identitätskontrolle muß der Gast in ihren Privatwagen umsteigen, der ihn durch den weitläufigen Garten zum Haus der Politikerin führt, die nie eine werden wollte.

Deja-vu Beim Verlassen des Wagens ergreift mich unwillkürlich ein Gefühl des "deja-vu", wie bei einem Flashback. Sonia bewohnt einen einstöckigen Bungalow in englischem Kolonialstil. Etwa 15 Jahre zuvor hatte ich, ganz in der Nähe, in einer sehr ähnlichen Villa Indira Gandhi zum letzten Mal interviewt. Kurz danach war sie tot. Die Blutspuren auf dem Gartenweg wurden sorgfältig konserviert und sind noch immer zu sehen. Und das Ereignis lastet weiter auf der indischen Politik. Sonia zur grausamen Vergangenheit, die sie offensichtlich noch immer bedrückt: "Ich kenne den Schmerz, den uns der Terrorismus zufügt. Mein Gatte und meine Schwiegermutter fielen der Gewalt zum Opfer. Ich habe der Fratze des Hasses ins Auge geblickt und den Schmerz gefühlt, den man beim Verlust eines geliebten Menschen empfindet."

Im Gegensatz zu ihrer pressefreundlichen Schwiegermutter gibt deren Nachfolgerin als Chefin der Partei Jawaharlal Nehrus, der Indien in die Unabhängigkeit führte, keine formellen Interviews. Im Rahmen eines amikalen Gesprächs bei Tee und Cookies in ihrer mit Antiquitäten geschmückten Bibliothek läßt sie indes viel von ihren Ansichten, Hoffnungen und Plänen durchblicken.

Sicher scheint eines: Sonia empfindet ihre gegenwärtige Rolle nicht als Bürde. Ihr Credo lautet: "Ich habe nie ein politisches Amt angestrebt, aber ich mußte befürchten, daß die unvollendeten Träume Rajivs in Gefahr geraten könnten." Ihre Strategie ist klar: "Die Agenda 2000 der bisherigen Regierung ist in Fetzen. Die einzige Alternative ist ein starkes, stabiles Regime."

Aufs Ganze Vor einem Jahr hat sie die Führung der total außer Tritt geratenen Kongreß-Partei übernommen; ihre eigene Bilanz ist positiv. Die vorläufig letzte Chefin des "Erzhauses" konnte 1998 die von allen Beobachtern prognostizierte totale Niederlage ihrer Partei in einigermaßen erträglichen Grenzen halten. Nach ihrer formellen Wahl zur Parteichefin konnte sie bei drei wichtigen Bundesstaatswahlen bedeutende Erfolge erzielen. Mit dem Rücktritt des bisherigen betont hinduistischen Premierministers Atal Behari Vajpayee hatte sie allerdings nichts zu tun. Dieser ging auf interne Differenzen in Vajpayees 13-Parteien-Koalition zurück. Wahrscheinlich hätte sie lieber noch ein Jahr zugewartet, um bei den bereits angesetzten neun weiteren Bundesstaatswahlen ihre Position zu stärken. Um dann von einer gesicherten Basis aus aufs Ganze zu gehen.

Keinen Zweifel läßt die "Letzte des Clans", was ihre Einstellung zu künftigen Koalitionen betrifft. Die alten Kader würden nach einem einigermaßen guten Abschneiden bei den Parlamentswahlen am liebsten sofort nach potentiellen Partnern suchen - unter der Devise: "Verschwenden wir keine Zeit, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Kaufen wir lieber unsere Partner mit Zugeständnissen." So Indiens führender - und zynischer - Kommentator Vir Sanghvi. Sonia dagegen kämpfe, laut Sanghvi, um ein klares Mandat: "Möglicherweise muß das Land ein Zwischenstadium durchmachen. Im Endeffekt will Sonia jedoch eine Bewegung der Führer und nicht der Macher. Sie muß alles tun, um eine klare Mehrheit zu erringen." Damit würde sie, wie sie bei unserem Gespräch klar durchblicken ließ, dem Vorbild Indiras und Rajivs nacheifern. Kein Wunder daher, daß die alte Garde der Kongreß-Partei über die vorzeitige Auflösung des Lok Sabha (Unterhaus) keineswegs begeistert war. Ihr wäre mehr Zeit für Intrigen hinter der Bühne lieber gewesen.

Beim Wahlkampfauftakt zeigte sich Sonia entschlossen, dem Druck der Macher zu widerstehen. Als diese weiter ihre Messer wetzten, verkündete sie ihren Entschluß, alles hinzuschmeißen und als Parteichefin zurückzutreten. Worauf sie das Arbeitskomitee der Kongreß-Partei (eine Art Politbüro) inständig bat, ihren Entschluß zu revidieren. Sonia ließ das "Establishment" vorerst tüchtig schwitzen. Erst nachdem die Partei Sonias Kritiker ausgeschlossen und ihr mit überwältigender Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen hatte, erklärte sie sich bereit, von ihrem Rücktritt zurückzutreten und den Parteivorsitz sowie die Führung im Wahlkampf wieder zu übernehmen.

Unklare Linie Was ihr indes zu Recht vorgeworfen wird, ist die Tatsache, daß sie ihre politische Linie nie genau definiert hat. Im Gespräch meint sie, europäische Begriffe wie "Linke" oder "Rechte" hätten für Indien nur bedingt Gültigkeit. Entscheidend seien Indiens eigene Interessen. Und gerade dieses Credo erinnerte mich an eine Bemerkung Indira Gandhis bei unserem letzten Interview: "Die Weltsituation ist in Bewegung geraten. Deshalb erfordert es die globale Konstellation, daß wir so rasch wie möglich ein Stadium erreichen, in dem wir uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen können." Dies sagte Jawaharlal Nehrus Tochter bereits einige Jahre vor der Wende. Sie hatte eben den richtigen Weitblick. Nur, daß sie ihre eigene Zukunft nicht vorausahnen konnte. Heute spricht Indira aus dem Mund ihrer Erbin.

Wie aber reagieren nationalbewußte Inder wirklich auf die Möglichkeit, daß eine gebürtige Italienerin und Katholikin die nächste Regierungschefin werden könnte? Das Urteil fällt eindeutig aus: Die meisten scheinen bereit, Sonia als eine der Ihren zu betrachten; auch jene, die nicht für die Kongreß-Partei stimmen würden.

"Eine von uns" Sonia war von Anfang an Indiras bevorzugte Schwiegertochter; die andere, Maneka, die Frau von Indiras Lieblingssohn Sanjai, wurde prompt nach dessen Tod bei einem Flugzeugunfall aus dem gemeinsamen Haus hinauskomplimentiert. Warum? Dazu Shardar Prasad, Indiras langjähriger Sekretär: "Maneka war aufmüpfig. Zum Beispiel bestand sie darauf, im Haus zu rauchen." Maneka war übrigens Staatssekretärin im Kabinett Vajpayee. Sonia dagegen hatte sich von Anfang an den Sitten und Gebräuchen ihrer Wahlheimat untergeordnet. So urteilt Inder Malhotra, die graue Eminenz der indischen Kommentatoren: "Das einfache Volk akzeptiert sie voll und ganz als Inderin. Der Mann auf der Straße sagt: ,Sie hat in eine indische Familie geheiratet. Ihre Kinder wurden hier geboren. Also gehört sie zu uns'."

Anders urteilen Hindu-Intellektuelle und einige verkalkte Kongreß-Veteranen: "Wir wollen ,Ram Raj' (also die Herrschaft des Gottes Rama) und nicht ,Rom Raj'" - eine Anspielung auf Sonias Herkunft. Diese Chauvinisten sind jedoch in der Minderheit. Ob Ram oder Rom Indien künftig regieren wird - die letzte Gandhi hat jedenfalls gute Chancen, die Familientradition fortzusetzen.

Ob man ihr dazu gratulieren soll, ist eine andere Frage.

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