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Das dicke Ende kommt noch

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Vor der EU-Abstimmung war immer von Osterreich als dem „Feinkostladen” Europas die Rede. Es wurde der Eindruck erweckt, daß Europa geradezu schon auf die österreichischen Lebensmittel warte.

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Vor der EU-Abstimmung war immer von Osterreich als dem „Feinkostladen” Europas die Rede. Es wurde der Eindruck erweckt, daß Europa geradezu schon auf die österreichischen Lebensmittel warte.

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Damit haben wir uns aber lediglich selbst Mut gemacht. Wie haben es uns eingeredet. Heuer im Frühjahr wurde offenbar, wie es tatsächlich um dieses Konzept steht. Da hat der Vorsitzende der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Rudolf Schwarzböck ganz offen gesagt: Die letzten Studien der Wirtschaftsuniversität hätten ergeben, daß die österreichischen Lebensmittel in Europa ein „No-Ima-ge” haben. Die Feinkostladen-Strategie gibt es bisher eigentlich nicht.

Wir haben keine strategischen Exportbrückenköpfe aufgebaut. Denn um Exportförderungen zu sparen, haben wir die Exporte (die ja nur bei niedrigeren Preisen als im Inland möglich waren) zurückgenommen. Den Bauern wurde die Produktionsrücknahme empfohlen. Das bedeutete aber eine Erhöhung der Stückkosten. Diese Vorgangsweise war schizophren, weil gleichzeitig die Öffnung des Marktes vorbereitet wurde. Österreichs Bauern müssen also jetzt mit Anbietern konkurrieren, die von der Agrarpolitik ihrer Länder in eine ganz andere Richtung gelenkt worden sind.

So sind die Milchpreise auf das tiefste Niveau in der EU gesunken. Die berechtigte Angst vor der Auslandskonkurrenz war so groß, daß man mit den Preisen so stark heruntergegangen ist, um unseren Markt für Ausländer unattraktiv zu machen. Ohne die Molkereien verteidigen zu

wollen, denke ich allerdings, daß dieses Kalkül nicht ganz unklug war.

In einer Ergebenheit sondergleichen hat Österreich nämlich nicht auf längeren Übergangszeiten bestanden. Dies wäre gemeinsam mit den Norwegern erreichbar gewesen. Hätten wir den Zeitraum einer Abschreibungsperiode von - sagen wir - zehn Jahren zur Verfügung gehabt, hätte man sich geordnet umstellen können. So ,aber wären wir durch Importe überschwemmt worden. Fachleute hatten nämlich mit bis zu 40 Prozent Marktverlusten bei Milchprodukten gerechnet.

Tatsächlich ist es bei den Dauerprodukten, etwa Joghurt oder Käse, schon zu massiven Einbrüchen gekommen. Bei den Frischprodukten konnte die Front dank der niedrigen Preise gehalten werden.

Halbierung der Getreidepreise

Enorme Rückgänge auch bei den Produzentenpreisen: Bei Qualitätsweizen kam es zu einer Halbierung der Preise, bei Futtergetreide zu einem Absinken um 30 bis 40 Prozent. Rückgänge gab es auch bei Fleisch, sowohl bei Rindern als bei Schweinen (von 22 auf 19 Schilling pro Kilo).

Die Ausgleichszahlungen werden heuer gerade reichen, um die Verluste abzudecken. Diese Zahlungen sind allerdings nicht rechtzeitig erfolgt. Obwohl die Preisenkungen ab 1. Jänner eingetreten sind, haben die Bauern noch nichts ausgezahlt bekommen. Derzeit hofft man, daß die ersten Zahlungen im Oktober flüssig gemacht werden können. Das spielt vor allem bei den Beziehern von Mindesteinkommen ein schwerwiegende Rolle. Ich kenne einen Berg-bauernbetrieb in der Gegend von Hainfeld, der monatlich 8.000 Schilling weniger Einkommen hat. Diesem Betrieb ist es aber schon bisher nicht gut gegangen. Das ist eine der Folgen dieses gehudelten Beitritts. Wer wird den Bauern die Zinsen für das Geld, das sie aufnehmen müssen ersetzen?

Da die Ausgleichszahlungen aber in den nächsten fünf Jahren auf null abge senkt werden, fragt man sich: Was geschieht dann? Dann stehen massive Einkommensverluste fest, die von den aufrecht bleibenden Programmen nur zum Teil ausgeglichen werden.

Vieles von dem war schon vor der Abstimmung absehbar. Aber man wollte damals die kritischen Stimmen nicht hören. Wenn ich jetzt im nachhinein unter Kollegen herumfrage, dann sagen viele: Wir haben es ohnehin immer leise gesagt. Aber zum Teil wurde ja sogar mit dem Entzug von Mitteln gedroht, wenn die Bedenken allzu laut und öffentlich geäußert wurden.

Die Begierung hat mit einem

Phantombild gelebt. Man ging wohl von der typisch österreichischen Vorstellung aus, man werde es sich schon im Nachhinein richten können. Wir sind ja so charmant. Daher hat man das unabdingbare „Kleingedruckte” im Vertrag nicht wirklich durchdacht und verhandelt. Das gilt ja insbesondere auch für die Budgetbelastung. Heute steht man vor der Situation eines explodierenden Defizits. Man ist von Nettobeiträgen zur EU ausgegangen. Bud-getär aber wirkt sich der Rückfluß von Mitteln nicht aus, da sie in andere „Töpfe” gehen. Tatsächlich müssen wir klar definierte Beiträge leisten, müssen darüberhinaus vielfach budgetär Vorsorge für Projekte treffen, die ihrerseits wieder von der EU nur unter der Voraussetzung eines entsprechenden Eigenbeitrages Österreichs gefördert werden. Über diese schwerwiegenden Folgen für die Budgets ist auch viel zu wenig im

voraus nachgedacht worden.

Ein weiterer Trugschluß, der wahrscheinlich noch aufkommen wird, liegt darin, daß man gesagt hat: Als EU-Mitglied haben wir keine Probleme mit dem Gatt. Die EU wird selbstverständlich alles, was an Belastungen aus Gatt-Vereinbarungen kommt, gemäß ihrer Produktionsleistung aliquot an die Länder weitergeben. Auch da kommt noch etwas auf uns zu.

Es hat also echte Verdrängungsmechanismen gegeben. Und es hat an Mut gefehlt: Wir hätten zum Beispiel bei der Milch ein nationales Konti-gent in der Größenordnung des bayerischen (die bayerische Bicht-menge ist für ein vergleichbares Produktionsgebiet doppelt so hoch) verlangen müssen, Punkt.

Jahrelang haben wir eine Politik der „Splendid Isolation” betrieben. Wir hätten Zeit gebraucht, dieses System geordnet in die EU überzuführen.

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