Das Elend, die Flut und die Ordensfrau

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Eine österreichische Psychotherapeutin arbeitete fünf Monate mit der kathischen Lepraärztin Ruth Pfau zusammen # zum Elend kam dann dann die Flutkatastrophe. Ein Erfahrungsbericht.

#Die Augen der Mütter, die ihre Kinder nicht festhalten konnten, als die Flut kam, werde ich nie vergessen#, sagt die Wiener Psychotherapeutin und Sozialarbeiterin Claudia Villani.

Insgesamt fünf Monate war Villani diesmal in Pakistan. An der Seite von Ruth Pfau half sie bei den Projekten für die Leprakranken, im Camp für die afghanischen Flüchtlinge # und mit dem Ausbruch der Flutkatastrophe kam die Sorge um unzählige obdachlose Hilfesuchende dazu.

#Viele Menschen sind schwer traumatisiert. Sie mussten mit ansehen, wie ihre Kinder, ihre Eltern und andere Familienangehörige ertrunken sind. Sie konnten nicht helfen, hatten nicht genug Hände und waren im Kampf gegen die Kraft des Wassers nicht stark genug.# Claudia Villani erzählt von Menschen, die sich für eines ihrer Kinder entscheiden mussten, als das Wasser kam. #Dieses Erschrecken ist heute noch in ihren Augen zu sehen. Sie starren oft stundenlang ins Leere.#

Eine Fläche zweimal so groß wie Österreich steht unter Wasser. Langsam erst wird das Ausmaß der Schäden sichtbar. Die UNO spricht in ihren Schätzungen von 2o Millionen Betroffenen, zehn Millionen Obdachlosen und sechs bis acht Millionen Menschen, die Lebensmittel benötigen.

Millionen brauchen Hilfe

Die Angaben schwanken, doch Fakt ist, dass die Zahl täglich steigt und Millionen von Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Auch die Seuchengefahr steigt, denn das verunreinigte Wasser in den überfluteten Gebieten verursacht tödliche Durchfallerkrankungen und das überschwemmte Land ist eine ideale Brutstätte für Malaria.

Entlang der Einfallsstraßen nach Karachi lassen sich ständig Flüchtlinge nieder, und so entstehen provisorische neue Lager. #Stehenbleiben ist menschliche Pflicht#, sagt die Sozialarbeiterin, #aber durch das Stehenbleiben übernimmt man auch eine enorme Verantwortung. Denn dadurch schöpfen die Menschen Hoffnung.#

Die Mitarbeiter der katholischen Ordensfrau und Ärztin Ruth Pfau helfen ganz konkret: mit Zelten, Matten, Grundnahrungsmitteln, Kochgeschirr und Brennmaterial. Und auch, wenn sich die Ressourcen der Organisation ständig zu erschöpfen drohen: #Unmöglich# ist ein Wort, das im Wortschatz der 81-jährigen, aus Deutschland stammenden Ordensfrau nicht vorkommt. Stattdessen spricht sie immer wieder von der #Verrücktheit der Nächstenliebe#.

Seit mehr als 50 Jahren ist Ruth Pfau in der Islamischen Republik Pakistan im Einsatz. Zunächst baute sie ein Lepra-Krankenhaus in Karachi, im Lauf der Jahre überzog sie das ganze Land mit Hilfe einheimischer Helfer mit einem Netz von mobilen Lepra-Stationen, dann nahm sie sich Zehntausender afghanischer Flüchtlinge an und bot gleichzeitig den Bewohnern in den entlegenen Stammesgebieten Tuberkulose- und Augen-Untersuchungen sowie Impfprogramme an. Unermüdlich und ohne körperliche Strapazen zu scheuen machte sich Ruth Pfau auf die Suche nach Leprapatienten auch in Afghanistan; fuhr # bis zu ihrer Herzoperation im vergangenen Jahr # in klapprigen Geländewagen über ungesicherte Pisten und oft genug durch umkämpfte Stammesgebiete.

#Die Not all dieser Menschen ist ja durch die Flutkatastrophe nicht geringer geworden#, sagt Claudia Villani, die bereits mehrmals monatelang als Assistentin von Ruth Pfau in Pakistan geholfen hat. #Wir müssen ihnen die Treue halten und gleichzeitig und zusätzlich den Tausenden Opfern der Flutkatastrophe helfen, die um unsere Hilfe bitten.# Vor der Flutkatastrophe war das Haupt-Einsatzgebiet der Wiener Sozialarbeiterin das sogenannte #Afghan Camp# außerhalb von Karachi. 85.000 illegale Flüchtlinge aus Afghanistan vegetieren dort, das Wort #leben# kommt der Sozialarbeiterin in diesem Zusammenhang nur schwer über die Lippen. Sie haben kein sauberes Wasser, haben nie genug zu essen. Schon die drei- bis vierjährigen Kinder sammeln im Morgengrauen auf den Müllhalden verwertbaren Mist, um so wenigstens ein paar Rupien zu verdienen.

Unvorstellbare Bedingungen

#Und die Leprakranken, die in ganz Pakistan unter unvorstellbaren sozialen Bedingungen in ihren Hütten auf dem Boden liegen, werden in der Nacht weiter von Ratten angefressen, wenn sie offene Stellen haben#, sagt Claudia Villani. Lepra, die Krankheit, die Menschen zu Aussätzigen macht, sie zu Lebzeiten sozial für #tot# erklärt.

Pakistan hat 173 Millionen Einwohner. In den letzten 50 Jahren haben sie Kriege und Bürgerkriege, Militärputsche, Militärdiktaturen und demokratische Phasen erlebt. Bis heute kommt es in Karachi täglich zu Schießereien zwischen Angehörigen unterschiedlicher Stämme und Religionen. Doch die schreckliche Flutkatastrophe habe die Stammesfehden und internen Konflikte teilweise ausgesetzt, die Menschen in der Not näher zusammenrücken lassen, berichtet Villani. #Viele Familien nehmen in ihren winzigen Hütten Flüchtlinge auf und teilen das wenige mit ihnen, das sie besitzen. Das ist sehr berührend.#

Doch neben diesen positiven Aspekten erhebt sie gemeinsam mit Ruth Pfau schwere Vorwürfe gegen einige Großgrundbesitzer: #Es gibt schwerwiegende Beweise, dass an einigen Stellen Dämme angegraben und sogar gesprengt worden sind, um die Wassermassen von ihren Besitzungen fernzuhalten.# Bis zu 50 Prozent der Schäden, so behauptet Claudia Villani aufgrund einheimischer Quellen, hätten verhindert werden können. Auch erste Anzeigen hat es bereits gegeben, doch die Drahtzieher werden wahrscheinlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, vermutet die engagierte Sozialarbeiterin.

Die Überflutungen haben die Lebensgrundlage der Menschen zerstört, ihre Häuser, ihre Felder, die Infrastruktur. Auch das Vieh ist zu einem großen Teil ertrunken.

Die UNO rechnet mit 459 Millionen Dollar, um die jetzt notwendigen Hilfsmaßnahmen zu finanzieren. #Doch nach den notwendigen Hilfsmaßnahmen muss der langfristige Wiederaufbau finanziert werden#, mahnt Villani. #Es wird lange dauern, bis die verschlammten Felder wieder Ertrag bringen. Und so lange sind die Menschen auf unsere Hilfe angewiesen.#

#Weitermachen ist sinnlos; Aufhören ist noch sinnloser. Also machen wir weiter#, lautet ein den Jesuiten zugeschriebener Leitsatz, den Ruth Pfau oft zitiert.

Hoffnung auf Hilfe

Denn die Menschen hoffen auf Hilfe. Oft, so erzählt die 56-jährige Sozialarbeiterin, wollte sie in den letzten Wochen einfach weg aus Pakistan, auf und davon. So viel Leid hat sie gesehen, unvorstellbares Leid. Die quälenden Frage nach dem #Warum?# und #Wie kann Gott das zulassen?# drängen sich auf.

#Gott will dieses Leid nicht. Das habe ich deutlich gespürt#, antwortet Villani nach einer Pause. #Aber ich muss zugeben, dass ich Gott in dieser schweren Zeit nicht gespürt und einfach gehofft habe, dass ich seinen Willen durch mein Hierbleiben, mein Durchhalten tue. In all dem Leid ist es mehr ein Wissen darum, dass Gott da ist und keine konkrete Wahrnehmung. Aber ich weiß, dass er da ist.#

In Ruth Pfaus Teams wird ein positives Miteinander der Religionen gelebt, erzählt Claudia Villani: #Hindus, Muslime und Christen arbeiten in unserer Organisation seit Jahrzehnten gut zusammen. Wir beten sogar gemeinsam und haben großen Respekt vor der Religion des anderen. Dieses Miteinander ist vorbildlich und beglückend.#

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