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Das Ende der Vertrautheit

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Heftig wird der Zeitdruck beklagt, unter dem die Pensionsverhandlungen stehen. Doch die Probleme waren längst bekannt.

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Heftig wird der Zeitdruck beklagt, unter dem die Pensionsverhandlungen stehen. Doch die Probleme waren längst bekannt.

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Die „schlechte Stimmung”, von der der künftige GÖD-Chef Fritz Neugebauer schon vor dem definitiven Nein seiner Beamtengewerkschaft sowie des Gesamt-OGB zur Pensionsreform gesprochen hatte, liegt weiter in der Luft. Grund zur üblen Laune haben freilich nicht nur Verzetnitsch, Sall-mutter, Dohr & Co., auch für die Regierung wäre eine nach den Regeln der „sozialpartnerschaftlichen Ästhetik” (Robert Menasse) zustandegekommene Einigung über die Pensionsreform gewiß angenehmer gewesen. Vor allem auch vertrauter - denn „so war es ja schon immer”. Indes, trotz des rundum gelobten Abschlusses bei der Metallerlohnrunde mehren sich die Zeichen, daß es mit dieser Vertrautheit zu Ende geht. Überdeutlich waren jedenfalls zuletzt die Bruchlinien zwischen Regierung und Gewerkschaft sichtbar.

„Warum beschließen wir jetzt eine Reform, die erst ab 2003 realisiert werden soll?”, wurde von Beamten-Seite gefragt. Diese Argumentation erscheint besonders infam, lenkte doch erst auf Druck der Gewerkschaft die Regierung beim Zeitplan ein. Nun bedeutet dies ohnedies schon ein Aufschieben des Projekts an der Grenze zur Fahrlässigkeit. Dann aber, nachdem man dies schon einmal durchgesetzt hat, darauf hinzuweisen, bitteschön, die Zeit dränge ja nicht, 2003 ist noch weit - das allerdings ist ein Meisterstück an Demagogie.

Eines ist freilich prinzipiell richtig: Die ganze Causa ist tatsächlich unter hohem Zeitdruck über die Bühne gegangen. Aber nur deswegen, weil eine - längst bekannte - Problematik stets beharrlich verdrängt wurde. „Seit 1984 reden wir von der Harmonisierung der Pensionssysteme”, polterte etwa Tirols AK-Chef Fritz Dinkhauser. Seit Jahren warnen Experten vor der Zeitbombe Sozialversicherung. Doch der Moderator Vranitzky wollte alles nur „nicht Aufreger der Nation” sein - und wurde so zu deren oberstem Kalmierer. In der Zwischenzeit ist der Druck, Beformen anzugehen, tatsächlich gestiegen - gemäß einem allgemein gültigen Gesetz, wonach Dinge, die aufgeschoben werden, sich in den seltensten Fällen von selbst erledigen, sondern, im Gegenteil, immer drängender ihrer Erledigung harren.

Das berührt freilich ein über den konkreten Anlaß hinausgehendes prinzipielles Strukturproblem der Politik: Mangels Mut zu Unpopulärem werden Zukunftsfragen wie heiße Kastanien behandelt. Jeder weiß zwar um den „Handlungsbedarf” und spricht davon - doch kommt dies eher einem Beschwören des Status quo gleich. Da wird in den Medien fast täglich der Finger auf die wunden Punkte des Systems gelegt - Kommentare mit „müßten wir nicht...”, „es wäre hoch an der Zeit...” etc. sind wohlfeil doch nichts geschieht. Solange bis der Zeitdruck tatsächlich gewaltig ist und zum Handeln förmlich zwingt. Dann aber wird eben-dieser Zeitdruck lauthals beklagt: Unter solchen Umständen sei. eine umfassende Diskussion gar nicht möglich, heißt es dann. Hier würden Maßnahmen „von oben oktroyiert”, womöglich „durchgepeitscht”, über die Betroffenen würde „drübergefahren”, man müsse an „Härtefälle” denken u.v.m.

Alles nicht ganz falsch! So war es beim EU-Beitritt, so läuft es jetzt bei der Währungsunion und bei der Sicherheitspolitik, und so verhält es sich eben auch bei der unendlichen Geschichte „Pensionsreform”. Wichtige Fragen nach Grund und Ziel bestimmter politischer Entscheidungen zu debattieren, bleibt keine Zeit. Die Dinge werden pragmatisch angegangen.

Es spricht einiges dafür, das bis zu einem gewissen Ausmaß als allgemein menschliches Verhaltensmuster zu akzeptieren: Wir agieren erst, wenn der Hut brennt - und beginnen dann mit dem Naheliegendsten und halten uns nicht mit Grundsätzlichem auf. Dabei sollte man es freilich nicht einfach bewenden lassen: Vom Pragmatismus pur ist es nur ein kleiner Schritt zum Zynismus.

Doch alles Klagen über versäumte Diskussionen, über den Mangel an langfristiger Vorbereitung für wichtige Weichenstellungen ändert nichts daran, daß es zur möglichst raschen Umsetzung von einmal als richtig Erkanntem keine Alternative gibt. Mit bisherigen Versäumnissen lassen sich keine weiteren Versäumnisse rechtfertigen. Auf die Pensionsreform umgelegt heißt dies: Nur weil wir schon längst darüber hätten reden müssen, wie wir die Altersversorgung künftig gestalten wollen, dürfen wir nicht jetzt, wo die Zeit drängt, einen ohnehin moderaten „Schritt in die richtige Richtung” (Hanspeter Haselsteiner) wiederum aufschieben.

GPA-Chef Hans Sallmutter, Gewerkschaftsurgestein und einer der beharrlichsten „Njet”-Sager, hat kürzlich das getan, was er und seinesgleichen am besten können: er hat sich jenes Arguments bedient, das im politischen Diskurs offenbar immer noch als die ultima ratio gilt und dezent die Haider-Rute ins Regierungsfenster gestellt. Paßt auf, alles nur Wasser auf die Mühlen des Bärentalers, war die leicht entschlüsselbare Botschaft.

So einfach kann die OGB-Welt noch sein. Und so weit weg von der Wirklichkeit, wie ebenfalls die Worte Sallmut-ters zeigten. Denn wie anders denn als Entfremdung von der Basis soll man es bezeichnen, wenn der oberste Privatangestellte meint, die Wähler würden hinter „ihren” Gewerkschaften stehen. Die Anzahl derer, die sich von Verzetnitsch & Co. vertreten fühlen, ist im Schwinden; viele spüren deutlich, daß vermeintliche „wohlerworbene Bechte” nicht „wohlerworben” und auch nicht für alle Zukunft einklagbar sind und haben sich innerlich bedeutend mehr bewegt als ihre Interessenvertreter.

Wer solches beim Namen nennt, gerät leicht in den Verdacht des „Neoliberalismus” -eines jener Totschlagvokabel, die wie alle Wörter dieser Art zur Polarisierung statt zur Versachlichung beitragen. Bichtig ist, daß es Auswüchse eines „Brutal-”, „Turbo-” oder wie auch immer -Kapitalismus gibt. Daß wirtschaftliche Entwicklungen keine Naturgesetze sind, sondern immer - und gerade wenn dies bestritten wird - bestimmten zugrundeliegenden Werthaltungen folgen; und daß ökonomische Prozesse dringend der politischen Gestaltungskraft bedürfen. Dazu aber steht nicht im Widerspruch, daß auf Dauer nur ausgegeben oder umverteilt werden kann, was zuvor erwirtschaftet wurde; daß bei stetig ansteigenden Schulden dfe Äusgabenpolitik zu korrigieren ist; und daß eine Mißachtung dieser Grundsätze nicht „sozial” ist, sondern schlicht unanständig und einer modernen civil society unwürdig.

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