Das fliegende Klassenzimmer

Werbung
Werbung
Werbung

Die Schule wirbelt es - seit geraumer Zeit schon - gehörig durcheinander, das System steht auf dem Prüfstand. Darüber sollten wir in Ruhe reden, nicht, wie viele Unterrichtsstunden oder wie wenig Ferien zumutbar sind.

Wollen wir hoffen, dass er recht hat: Es geht nicht um zwei Stunden mehr in der Klasse, meint ein FURCHE-Leserbriefschreiber (s. Seite 11); vielmehr sei der Vorstoß von Bildungsministerin Claudia Schmied für eine Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung um zwei Wochenstunden jener berüchtigte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Wortspenden der Beamten- und Lehrergewerkschaftsspitze, Fritz Neugebauer und Walter Riegler, erwecken leider nicht diesen Anschein - sie sprechen die Sprache von Wagners Fafner: "Ich lieg' und besitz'". Doch wer sich ein paar Etagen tiefer umhört, in diesen Tagen kursierende Aussendungen, offene Briefe liest, mit Lehrern spricht, der wird tatsächlich einen tief sitzenden Unmut feststellen.

Verbitterung und Frust

Nein, Unmut wäre eine Untertreibung - es ist ein offenbar über Jahre gewachsenes Amalgam aus Verbitterung, Frustration, Überdruss, das den Außenstehenden (Nicht-Lehrer) bisweilen schlicht fassungslos zurücklässt. Das betrifft übrigens keineswegs nur Pädagogen in "schwierigen" Schulen, also jenen mit einem hohen Anteil an Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache und/oder aus problematischen sozialen Verhältnissen, sondern auch (gerade?) solche, die an katholischen Privatschulen oder sonstigen sogenannten "Eliteschulen" tätig sind.

Die Gründe dafür sind weitgehend bekannt: Gesellschaftliche Desintegrations- und Erosionsprozesse oder die Übertragung von ursprünglich in der Familie angesiedelten Erziehungs- und Sozialisierungsaufgaben an die Schule werden immer wieder und zu Recht ins Treffen geführt.

Man kann und soll diese Analyse ruhig noch vertiefen: In einer auf Ablenkung und Aufgeregtheit programmierten Überflussgesellschaft ist Sammlung und Konzentration kaum möglich. Dazu kommt ein im Prinzip ungeklärtes Lehrer-Schüler-Verhältnis: Dass sich Autoritäten heute legitimieren müssen, sich nicht mehr von selbst verstehen, ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Aber deswegen ist Kommunikation "auf Augenhöhe" noch lange kein Ersatz für Erziehung.

Mehr noch aber leidet die Schule daran, dass sie gleichzeitig über- und unterschätzt wird. Gerade sozial besser gestellte Eltern wollen - zumal in wirtschaftlich und arbeitsmarktmäßig unsicheren Zeiten - einerseits "die beste Ausbildung" für ihre Kinder; andererseits aber soll Schule, bitte schön, auch die karge Freizeit nicht stören. Direktoren und Klassenvorstände wissen ein Lied von Eltern zu singen, die ihre Kinder für ein paar Tage Kurzurlaub gerne aus der Schule "herausnehmen".

Dem zu Grunde liegt ein ökonomistisches Paradigma, die ausschließliche Wahrnehmung von Schule in den Kategorien von Angebot und Nachfrage. Aber die Schule ist kein Warenhaus, wo man durchschlendert, und auch kein Gasthaus, in dem man das schuhsohlige Steak zurückschickt. Dieser verkürzte Blick auf die Schule hat unter anderem auch zu all dem geführt, was unter dem wohlklingenden Begriff "Autonomie" läuft: von endlosen, zermürbenden Debatten um das je eigene Schulprofil (was nicht selten aus einer Aneinanderreihung von Gemeinplätzen besteht) bis hin zu den völlig unnötigen, familienfeindlichen "schulautonomen Tagen". Hier werden enorme Ressourcen an Zeit und Hirnschmalz zu Lasten genuin pädagogischer Aufgaben vergeudet.

Schule neu aufsetzen

Der ganze Karren Schule scheint so verfahren, dass man geneigt ist zu sagen, man müsste das System völlig neu aufsetzen, auf der "grünen Wiese" neu erfinden. Das wird nicht einfach sein - und die "Neue Mittelschule", die nichts anderes als ein notdürftig camoufliertes, breit angelegtes Hauptschulförderungsprogramm darstellt, ist sicher keine Antwort. Aber nur an Stellschrauben zu drehen, wird nicht genügen. Irgendein/e Bildungsminister/in der Zukunft wird die Lehrerinnen und Lehrer für eine umfassende Schulreform gewinnen müssen: für eine der gesellschaftlichen Realität Rechnung tragende ganztägige Schule mit Arbeits- und Lernplätzen, die diesen Namen auch verdienen.

* rudolf.mitloehner@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung