Das Geschäft mit den bestellten Organen

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Spenderorgane sind in China auffällig schnell verfügbar. Hingerichtete dienen als Quellen - auch politische Gegner sollen zu diesem Zweck getötet werden. Kritiker sprechen von Auftragsmord.

Es ist das Jahr 2005, als der israelische Arzt Jacob Lavee von einem Patienten aufgesucht wird, der ihm von einem Transplantationstermin in einem chinesischen Krankenhaus erzählt. Das Datum ist genau festgelegt, in zwei Wochen soll sich der Patient in der Klinik einfinden. Der Kranke reist nach China und unterzieht sich, genau zum vorab bestimmten Zeitpunkt, einer Herztransplantation.

Fälle wie diese sollen sich in den vergangenen Jahren in der Volksrepublik China immer wieder ereignet haben. Nicht nur sogenannte "Transplantationstouristen“, auch Chinesen, die ein Spenderorgan benötigen, sollen innerhalb weniger Tage ein passendes Körperteil bekommen. Als Quelle der Organe dienen hingerichtete Personen, aber auch Regimegegner sollen ihrer gesunden Körperteile beraubt und getötet werden. "Diese Menschen werden wie ein Hund geöffnet und verbluten dann, weil sie keine Versorgung erhalten“, erklärt Katharina Grieb, Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Sieht man sich die maximale Zeitspanne zwischen dem Tod eines Spenders und der Transplantation eines Organes an, wird deutlich, dass hier mit dem Operationstermin auch der Todeszeitpunkt des "Spenders“ festgelegt wird: Ein Herz beispielsweise wird innerhalb von vier Stunden transplantiert, eine Niere kann maximal 36 Stunden warten. "Wenn es heißt, in zwei Wochen bekommt man eine Niere, ist das im Grunde ein Auftragsmord“, konkretisiert Florian Iberer, Leiter der Transplantationschirurgie der Universität Graz.

Huige Li, Vertreter der Organisation "Doctors Against Forced Organ Harvesting“ (DAFOH), verweist auf Zahlen, um die Ermordung von politischen Gegnern zu untermauern: "Die Hinrichtungszahlen sind stabil, aber die Organtransplantationen steigen an. Die Organe müssen also auch von einer anderen Quelle stammen.“

Mehr als sieben Organe pro Person

Laut chinesischer Botschaft sei diese Kalkulation falsch angestellt. Etwa vier Körperteile könnten einer Person entnommen werden, außerdem würden immer mehr Chinesen ihre Organe innerhalb der Familie oder sogar an Fremde spenden. So sei dieses scheinbare Unverhältnis erklärbar. Laut dem Transplantationschirurgen Iberer könnten einem Menschen sogar bis zu sieben Organe entnommen werden. Multipliziert man also die Zahl der in China exekutierten Personen (Daten von Amnesty International aus dem Jahr 2007) mit sieben, so würde das eine Summe von rund 3300 Transplantationsorganen ergeben. Laut einer Statistik von DAFOH wurden aber allein in diesem Jahr etwa 9000 Nieren und Lebern transplantiert - also viel mehr, als es nach der Erklärung der Botschaft eigentlich möglich wäre.

Jene Menschen, die für ihre Körperteile herangezogen werden sollen, sind Praktizierende der religiösen Bewegung "Falun Gong“, die seit dem Jahr 1999 in China verboten ist. Vor allem wegen ihrer gesunden Lebensweise - sie rauchen und trinken nicht, betreiben Qi Gong - seien sie eine beliebte Quelle: "Diese Menschen sind lebendige Ersatzteillager. Ihre Organe werden weltweit gekauft“, ist Katharina Grieb empört. Laut Schätzungen des österreichischen Falun Dafa-Vereines sollen in den Jahren 2000 bis 2006 zwischen 40.000 und 65.000 Praktizierende ermordet worden sein. "Das ist ein Verbrechen, das über den gesunden Menschenverstand hinaus geht“, meint Yong Wang, Vorsitzender des Vereins.

Die chinesische Botschaft wehrte die Vorwürfe des Organraubes im Gespräch mit der FURCHE ab. Falun Gong sei eine gefährliche Sekte, weshalb sie in China auch verboten worden sei. Verleumdungen wie diese sei man von derartigen Kultusgruppen schon gewohnt, die Anschuldigungen seien haltlos und falsch. Schlagkräftige Beweise für die unfreiwillige Organentnahme gibt es tatsächlich nicht. Yong Wang vom Falun Dafa-Verein hat dafür eine Begründung: "Um Freunde, Familie und andere Praktizierende nicht zu verraten, geben die Betroffenen eine andere Identität an, wenn sie festgenommen werden.“ So falle es den Behörden noch leichter, die Vorfälle zu vertuschen.

Zeugen und Beteiligte berichten

Auch der kanadische Menschenrechtsanwalt David Matas beschäftigt sich seit längerer Zeit mit dem Verschwinden von Falun Gong-Anhängern in China. "Die Körper der Personen, denen ein Organ entnommen wurde, werden entsorgt. Es gibt weder Überlebende noch einen Tatort - auch keine Dokumentationen oder sonstige Beweise“, so Matas. Die Ergebnisse seiner eigenen Nachforschungen würden aber für die Existenz einer solchen Praxis sprechen. "Inhaftierte erzählen, dass sie Harn- und Blutproben abgeben müssen und dass das anscheinend wegen der Gesundenvorsorge geschehe“, erzählt der Menschenrechtsanwalt. In chinesischen Gefängnissen stünden aber Folter und Gewalt auf der Tagesordnung, weshalb es wahrscheinlicher sei, dass die Daten der Gefangenen in eine Spenderkartei aufgenommen würden. In Aufzeichnungen von Telefonaten mit chinesischen Ärzten könne man zudem hören, wie diese über verfügbare Organe von Falun Gong-Anhängern Auskunft geben. Auch Gespräche mit so genannten "Transplantationstouristen“ würden die grausamen Annahmen bestätigen. Als weiteres Indiz handelt man bei DAFOH die Aussagen des chinesischen Arztes Enver Tohti, der selbst Organtransplantationen durchgeführt hatte. Als er im Sommer 1995 gerufen wurde, um Leber und Nieren eines "exekutierten“ Häftlings zu entnehmen, musste er feststellen, "dass der Körper noch atmete“.

Österreich ist nicht betroffen

Organe, die in China entnommen werden, werden hierzulande jedenfalls nicht transplantiert. Österreich ist Mitglied der Service-Organisation "Eurotransplant“, die sämtliche Details zu Spenderorganen offenlegt. Gesetzliche Regelungen, die es verbieten würden, einer Transplantation wegen nach China zu reisen, gibt es hierzulande aber nicht. "Meine größte Angst ist es, dass ein Patient zu mir kommt und mir sagt, dass er ein Organ in China hat“, zeigt sich der Transplantationschirurg Florian Iberer machtlos. Die chinesische Botschaft versucht zu beruhigen. Derartigen Reisen hätte man in China schon lange einen Riegel vorgeschoben.

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