Der Ökonom und UN-Klimaforscher Stefan Schleicher über die Risiken von Schiefergas und die trüben Aussichten für ein Klimaschutzabkommen. Das Gespräch führte Oliver Tanzer
Stefan Schleicher ist Professor für Ökonomie an der Universität Graz. Für die UNO ist Schleicher im Rahmen des internationalen Klima-Panels IPCC tätig. Er untersucht die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels.
Die Furche: Die Diskussion zu Schiefergas in Europa verläuft sehr unterschiedlich. Polen ist ohne Wenn und Aber dafür, Frankreich hingegen hat zuletzt alle Bohrlizenzen zurückgezogen. Was würde der Wissenschafter raten?
Stefan Schleicher: Auf Basis der Fakten, die bisher bekannt sind, würde ich zu großer Vorsicht raten. Die Schiefergasförderung ist ein sehr aufwendiges Verfahren, bei dem auch mit sehr aggressiven Chemikalien gearbeitet werden muss. Es besteht auch der Verdacht, dass es zu Grundwasserverunreinigung kommt.
Die Furche: Die US-Konzerne versprachen da zuletzt, mit besseren Sicherheitsmaßnahmen diese Gefahr zu bannen.
Schleicher: Das Versprechen, mit besserer Technologie mehr Sicherheit zu schaffen, begleitet die Diskussion schon sehr lange. Tatsache ist, dass man immer mit einer Kontaminierung rechnen muss. Für mich stellt sich aber auch die grundsätzliche Frage, ob wir damit das Richtige tun, wenn wir weiter in fossile Energieträger investieren. Ob nicht das Bewusstsein über das große Potenzial von Schiefergas dazu führt, alle Bemühungen Richtung Effizienz und Energiesparen zu unterminieren, wie das teilweise schon in den USA der Fall ist. Wir sollten uns fragen, ob uns das nicht von einem Weg wegführt, der gerade Kohlenwasserstoffe als klimaschädlich erkannt hat und auf dem wir die Verwendung von Erdöl und Erdgas zumindest einzuschränken versuchen.
Die Furche: Sie haben von den hohen Kosten gesprochen. Schiefergas scheint sich zumindest in den USA zu rechnen.
Schleicher: Dahinter steht auch die Erwartung, dass sich der Preis für Gas und Energie generell in Zukunft erhöhen wird. Schiefergas wird auch konkurrenzfähig, weil die Ausbeutung der herkömmlichen Öl und Gasvorkommen tendenziell immer aufwendiger wird. Im Falle Polens spielen allerdings auch andere, politische Faktoren eine Rolle: Das Land will bewusst unabhängig von Gasimporten aus Russland werden. Außerdem will die Regierung in Zukunft weniger auf die Verwendung von Kohle zurückgreifen.
Die Furche: Sie sind Teil jener Forschergemeinschaft, die für die UNO die Dimension und die Auswirkungen des Klimawandels untersucht. Um ein etwaiges Nachfolgeabkommen von Kyoto ist es zuletzt sehr still geworden.
Schleicher: Man muss es ganz klar sagen: So wie die Dinge derzeit stehen, ist ein Nachfolgeabkommen des Kyotoprotokolls, das verbindliche Ziele für die internationale Staatengemeinschaft vorsieht, nicht mehr zu erwarten. Einzig die EU könnte in Gemeinschaft mit der Schweiz und Norwegen die Vereinbarungen von Kyoto als Selbstverpflichtung weiter am Leben erhalten. China und die USA werden darauf bestehen, dass es jedem Land überlassen bleibt, seine eigenen unverbindlichen Vorschläge zu machen. Geblieben ist nur die Hoffnung, dass die Industriestaaten bis 2020 100 Milliarden Dollar in Klimaschutzprojekte in den Entwicklungsländern investieren.
Die Furche: Haben diese Rückschläge auch Auswirkungen auf die Klimaforschung?
Schleicher: Interessanterweise entwickeln sich die Dinge in Forschung und Entwicklung ganz anders als in der Politik. Die USA sind derzeit ganz vorne, was die Technologien bei erneuerbaren Energien betrifft. China wiederum ist Weltmarktführer bei der Produktion von Windkrafträdern und Sonnenkollektoren. Hier hat sich also sehr viel bewegt.
Die Furche: Sehr zum Leidwesen der europäischen Hersteller, die mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Schleicher: Europa steckt in einer Doppelmühle. Bei den Klimazielen sind wir ganz weit vorne, aber bei Forschung und Entwicklung sind wir auf den dritten Rang hinter die USA und China zurückgefallen. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Aber diese Entwicklung sollte uns sehr zu denken geben. Denn die Entwicklung der letzten Jahre geht nun einmal weg von den Zielvorgaben und hin zur Technologie.
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