Das Land ist wachsam

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Tirol gedenkt heuer mit Südtirol und Trentino der Erhebung gegen Napoleon vor 200 Jahren. Nationale Kreise betreiben die Selbstbestimmung Südtirols. Tirols LH Platter bleibt gelassen. Interview: Claus Reitan

Tirol gedenkt heuer historischer Ereignisse, richtet den Blick im September mit einem dreitägigen Fest in Innsbruck in die Zukunft. Vor dem Tiroltag zur Eröffnung des Europäischen Forum Alpbach an diesem Sonntag muss sich Landeshauptmann Günther Platter mit einer radikalen Debatte befassen.

Die Furche: Sie forderten, im Gedenkjahr 2009 sollte in Tirol nicht nur der französisch-bayrischen Kriege und der Besetzung 1809 gedenken, sondern es sollten Projekte entwickelt werden. Wie steht es damit?

Platter: Ich habe immer betont, die Landesteile Tirol, Südtirol und Trentino sollen zusammenarbeiten. Nach den Festen im September wird es im Oktober zuerst eine gemeinsame Sitzung der drei Landesregierungen, dann der drei Landtage geben. Diese werden sich mit Initiativen befassen, die sich die drei Landeshauptleute für die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Kultur, Verkehr, Landwirtschaft und Energie vorgenommen haben. Wir sind überzeugt, dass wir als Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino in der EU ein Vorzeigemodell sind. Wir wollen und müssen in den genannten Bereichen breit angelegt etwas weiterbringen. Das gilt auch für das Thema Sprachen, etwa Italienisch an Tiroler Schulen. Die Sprachbarriere muss fallen, damit Verständigung gelingt und der europäische Gedanke intensiver zum Ausdruck kommt.

Die Furche: Ist das eine historische Anknüpfung? Bis 1917/18 waren in Tirol Landesgesetze zweisprachig abgefasst, wurden Wechsel zweisprachig ausgestellt.

Platter: Das ist eine historische Anknüpfung, aber es ist die Antwort auf Fragen der Gegenwart, vor allem der Zukunft: Diese Antwort muss, insbesondere was die Jugend betrifft, lauten, die Sprache des Nachbarlandes verstehen und sprechen zu können. Wir können uns nur gemeinsam als Region innerhalb der Europäischen Union behaupten. Das Trennende der Geschichte, das Ewiggestrige muss einfach Vergangenheit sein.

Die Furche: Aber in der Betrachtung von Außen scheint es so zu sein, dass Tirol stark am Mythos von Andreas Hofer festhält.

Platter: Die Tiroler Geschichte ist fest mit Andreas Hofer verbunden. Das werden alle Tirolerinnen und Tiroler, auch die Jugend, bestätigen. Hofer hat sich vor 200 Jahren gegen eine enorme Übermacht gestemmt. Und es ging ihm um Werte der Freiheit, des katholischen Glaubens, der Heimatliebe. Diese Werte und die Legende Andreas Hofer sind im Land wach und stark ausgeprägt. Das andere ist: Seit 1984, dem letzten großen Landesumzug (mit einer stählernen Dornenkrone als Symbol des geteilten Landes; Anm.) hat sich sehr viel getan. Österreich ist der EU beigetreten, es sind die Grenzen gefallen, wir haben mit Italien eine gemeinsame Währung, wir können mit Südtirol und Trentino auf allen Gebieten ungehindert zusammenarbeiten. Durch die Europäische Union ist die Landeseinheit zusammengewachsen.

Die Furche: Dennoch gibt es eine neue Debatte um das den Südtirolern bisher verweigerte Selbstbestimmungsrecht. Auch Sie wurden in diese heftige Polemik hineingezogen. Wo stehen Sie in dieser Debatte?

Platter: Um das sehr klar zu sagen: Der dritte Nationalratspräsident Martin Graf, der diese Debatte losgetreten hat, hat damit seine eigentliche Verantwortung überhaupt nicht wahrgenommen. Es war ein Fehler, Graf zum dritten Nationalratspräsidenten zu wählen, aufgrund verschiedener Umstände, aber auch aufgrund dieser Aussagen. Wir können nicht die Geschichte revidieren. Mein Weg ist, die unbestritten notwendige Autonomie für Südtirol und für das Trentino zu erhalten, denn dann können wir uns in der EU als Region behaupten. Sollte diese Autonomie untergraben werden, ist die Schutzmachtfunktion Österreich anzurufen. Unter der Regierung von Romano Prodi wurde die Autonomie ernster genommen als unter jener von Silvio Berlusconi. Hier stehe ich Schulter an Schulter mit den Südtirolern. Wir sind sehr wachsam, was sich in Rom abspielt. Aber es ist etwas ganz anderes, jetzt für Abstimmungen (über Südtirol, Anm.) einzutreten, die realistischerweise nicht machbar sind. Wer mit Südtirolern spricht, weiß, dass dort völlig anders gedacht wird. Es geht um die Zukunft in der Europäischen Union, um das friedliche Zusammenleben. Forderungen wie jene von Graf können nicht der Weg Tirols sein.

Die Furche: Soll Martin Graf also von seiner Funktion als dritter Nationalratspräsident zurücktreten?

Platter: Es wäre nur anständig, wenn er das tut. Er hat diesem hohen Amt mehrmals Schaden zugefügt. Ein Repräsentant eines solchen Amtes muss sich bewusst sein, dass er damit verantwortungsbewusst und nicht polemisch, polarisierend umzugehen hat. Es ist daher nur anständig, wenn Graf diese Verantwortung wahrnimmt und zurücktritt. Es war aus heutiger Sicht ein Fehler, ihn zu wählen.

Die Furche: Soll die ÖVP als Klub im Parlament aktiv werden?

Platter: Das ist derzeit aufgrund der geltenden Gesetzeslage nicht machbar. Die Verantwortung hat Graf wahrzunehmen. Aber rückblickend muss man sich kritisch befragen, und man sieht, es war ein Fehler, ihn zu wählen.

Die Furche: Zurück zu Tirol. In einem Monat gibt es in Innsbruck ein großes Fest, einen großen Umzug. Wie die Dinge liegen, sind Tumulte nicht auszuschließen. Wie besorgt sind Politik und Exekutive?

Platter: Notwendig ist eine Strategie der Deeskalation. Es bereiten sich 26.000 Leute auf den Umzug vor, rund 3000 Kinder werden dabei sein. Der Bundespräsident wird kommen, wofür ich danke. Das Thema lautet, Geschichte trifft Zukunft. Das ist mir wichtig. Bei der jetzigen Debatte, die Sie meinen, geht es darum, ob Plakate mitgetragen werden können, etwa mit der Parole „Los von Rom“. Es wird noch ein Gespräch mit den Südtiroler Schützen geben. Man muss aufpassen, nicht Teil einer Provokation zu werden. In einer Demokratie ist gelegentlich eine Meinung zu erdulden, die man selbst nicht teilt, die aber provoziert. Es geht um den Grad der Provokation, der zu beurteilen ist.

Die Furche: Ihre Kritiker behaupten, Sie hätten Italiens Außenminister Frattini einen politisch ruhigen Landesfesttag zugesagt, Sie hätten sich also mit der Berlusconi-Regierung zulasten der Südtiroler arrangiert und wären mit Südtirols Landeshauptmann Durnwalder verfahren wie in der NS-Zeit.

Platter: Wenn man diese Aussagen ernst nehmen könnte, müsste man völlig anders reagieren. Die haben nicht gewusst, was sie sagen. Ich habe mit Frattini zuletzt keinen Kontakt gehabt, kenne ihn aber aus meiner Zeit als Bundesminister. Bei unseren Kontakten habe ich stets auf die sensible Situation in Südtirol und die notwendige Autonomie hingewiesen. Es muss ja immer wieder Rom gegenüber ein klares Statement abgegeben werden. Aber es gibt keine der behaupteten Absprachen.

Die Furche: Beim Tirol-Tag in Alpbach (am 23. August, Anm.) werden Zukunftsthemen angesprochen. Wie geht denn der Strukturwandel in Tirol voran, denn gerade der Tourismus ist ja krisenanfällig?

Platter: Unser Tourismus ist ein Erfolgsmodell. Im Landes-BIP hat der Tourismus einen Anteil von 15,4 Prozent, in Österreich 6,4 Prozent. Auch in der Krise ist der Tourismus ein stabiler Faktor. In der schwierigen Wintersaison 2008/2009 sind die Nächtigungen gegenüber dem Rekordwinter lediglich um 0,3 Prozent zurückgegangen, die Wertschöpfung schaffte sogar ein Plus von über drei Prozent. Die Mittel, auch um Gäste aus Österreich zu werben, habe ich erhöht. Eine Strategie in der Wirtschaftspolitik ist, Wissen, Bildung und die internationale Forschungskompetenz zu stärken. Wir haben drei Universitäten, dazu die Fachhochschulen als Kompetenzzentren. Wir stellen den Interessierten einen Technologie-Scheck über 2000 Euro zur Verfügung, den sie für ihre Weiterbildung nutzen können.

Die Furche: Nach der letzten Konferenz der Landeshauptleute hieß es, die Länder würden gerne höhere Schulden aufnehmen. Widerspricht das nicht dem Stabilitätspakt?

Platter: Wenn man sich die Verschuldung anschaut, so ist Tirol nach Vorarlberg und Oberösterreich an drittbester Stelle. Wir besitzen als einziges Land noch das gesamte Vermögen, also die Hypotheken-Bank, das Energieunternehmen Tiwag und hundert Prozent der Wohnbauförderung. Stellt man dies der Verschuldung gegenüber, sind wir die Nummer eins in Österreich. Wir werden den soliden Finanzkurs beibehalten. Aber wir müssen wegen der wirtschaftliche Situation Anpassungen vornehmen. Die derzeitige Verschuldung werden wir wegen politischer Entscheidungen, die auf Länder und Gemeinden wirken, nicht halten können. Ich warne allerdings extrem davor, dass wir nach der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Budgetkrise bekommen. An die Adresse aller Zuständigen sage ich: seid vorsichtig, macht nicht nur Politik für eine Legislaturperiode, sondern für die Zukunft.

Die Furche: Wo läge denn der Spielraum für eine Verwaltungs- und Staatsreform, die Kosten einspart und die Abläufe vereinfacht?

Platter: Sicher nicht, indem die Landtage infrage gestellt werden und die Eigenständigkeit der Länder beschnitten wird. Im Verwaltungsbereich ist immer wieder nachzuschärfen, da bestehen Möglichkeiten zur Einsparung. Die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie war schmerzlich, aber richtig. Aber ich sage das mit dem Selbstbewusstsein eines Tiroler Landeshauptmannes, der die europäische Perspektive befürwortet: Die Eigenständigkeit und die Eigenheiten des politischen Handlungsspielraums der Bundesländer sind beizubehalten. Es wäre ein Fehler, die Länder zu beschneiden.

Tiroler Jahrbuch für Politik

Tirols Wahljahr 2008 und Bedenkjahr 2009 in 22 Beiträgen. K. Hämmerle und P. Plaikner (Hg.) facultas.wuv

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