Das neue Gesicht des Krieges

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Gotteskrieger gegen Hightech-Soldaten: Der Feldzug gegen Osama Bin Laden und seine Helfershelfer in Afghanistan wird mit modernsten Waffen geführt. Die USA revolutionieren für die Terrorbekämpfung ihre Kriegstechniken (S. 16), und österreichische Soldaten riskieren ihr Leben, um einen fragilen Frieden im Land am Hindukusch zu sichern (S. 14 und 15).

Der Begriff "Landesverteidigung" ist immer noch gängig, in der heutigen Welt aber eigentlich fast schon überholt. Nicht allein deshalb, weil der Ausdruck "Land" die Situation des neuen Europa nicht mehr trifft, sondern weil die Werte, die es zu verteidigen gilt, nicht mehr länderspezifisch sind. Im Angesicht von Terrorismus, internationaler Kriminalität, unkontrollierten Gewaltspiralen in manchen hartnäckigen Krisenherden, und einem fundamentalistischen Extremismus, der die Grundrechte missachtet, erschiene ein Begriff wie "Zivilisationsverteidigung" fast angebrachter.

Denn Soldaten, die im Rahmen internationaler Einsätze stationiert werden, sind zunehmend Vertreter der Zivilisation und unserer zivilisatorischen Werte gegenüber dem Chaos, der Repression und der grundsätzlichen Anfeindung all jener Regeln und Werte, die im Lauf der letzten Jahrhunderte mühsam etabliert wurden. Diese Werte zu vertreten, verlangt vom Einzelnen ein hohes Maß an Reflexion und offenem, aber selbstbewusstem Auftreten. Die Waffe, die er trägt, und der Helm oder die kugelsichere Weste, der ihn schützen, sind in vielen Situationen seines Einsatzes nur noch Insignien. Wenn alles nach Plan verläuft, wird er sie nicht brauchen. Was er wirklich und täglich brauchen wird, sind sein Charakter und seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Zivilisationsstand.

Wenn wir an die Gefahren denken, die einen solchen Einsatz begleiten, denken wir an Minen, an Fehler beim Entschärfen von Munition, an Heckenschützen, an randalierenden Mob und dergleichen. Gefährlicher sind andere Risiken, die in der Ausbildung bislang noch nicht zur Sprache kommen: mentale und psychologische Risiken solcher Einsätze.

Ein Artikel in der Zeitschrift National Geographic Adventure, in der ein Einsatz amerikanischer Sondereinheiten in Afghanistan von einem Journalisten begleitet und dokumentiert wird, illustriert in erschreckender Weise ein ganz zentrales Risiko: die Gefahr, den Realitätssinn und die Bindung an eigene Werte und den eigenen Auftrag zu vergessen, seinen Fokus zu verlieren und den Einsatz statt dessen als eine Art fiktive Fantasiewelt zu erleben.

Die amerikanischen Sondereinheiten, in körperlichem Bestzustand und technisch zweifelsohne superb ausgebildet, kulturpolitisch und psychologisch jedoch nicht auf die Situation vorbereitet, landeten in Afghanistan und fanden sich in einer dermaßen fremdartigen Situation vor, dass ihr Urteilsvermögen schlagartig versagte. Ihr Auftrag war relativ vage: sie sollten General Dostum, einen Anführer der Nordallianz, beraten und unterstützen.

Wer ist Dostum?

Über Dostum wussten sie vorher wenig - nur, dass er ein gefürchteter Kriegsherr war, im Ruf, willkürlich zu morden und sehr brutal zu sein. Wer kann es den jungen Amerikanern verübeln, wenn sie sich abrupt in einen Kinofilm versetzt fühlen? Plötzlich sind sie Teil einer Armee, die auf Pferden durch eine staubige, exotische Landschaft zieht, die Lagebesprechungen finden in der Hocke statt, bei einem Glas Chai, und ein kleiner finsterer Typ, der aussieht wie Stalin, ist ihr neuer Befehlshaber. Der "warlord" erweist sich als ganz umgänglich. Wenn er lächelt, berichtet der begleitende Journalist, erinnert er die Green Berets an einen übermütigen Zwölfjährigen. Mit rasch verrutschendem Realitätssinn definiert die Sondereinheit ihre Mission in einer Art und Weise, die verhängnisvoll sein wird. "Wenn Dostum Kabul einnehmen will, dann gehen wir mit ihm. Wenn er das ganze Land nehmen will, tun wir das."

So, mit Verlaub, war es aber nicht geplant. Im Gegenteil - die offizielle Linie der Amerikaner sah sehr dezidiert vor, dass keine Truppen der Nordallianz Kabul betreten sollten. Zuerst sollte ein besseres Gleichgewicht erreicht werden zwischen den Kommandanten der Nordallianz und jenen aus paschtunischen Gebieten. Wie wir alle wissen, hielten sich die afghanischen Bündnispartner nicht an dieses Abkommen, sondern marschierten umgehend in Kabul ein, mit diplomatischen, politischen und militärischen Konsequenzen, die alle beteiligten Länder auf Monate und vielleicht Jahre belasten werden. Denn nun muss mühselig versucht werden, den übergroßen Einfluss der unbeliebten, gefürchteten Nordallianz irgendwie zurechtzurücken, gegen den heftigen Widerstand derjenigen, die sich infolge der amerikanischen militärischen Beihilfe nun als uneingeschränkte Sieger fühlen.

Eine zweite katastrophale Illustration bietet Saudiarabien. Um ihre wankelmütigen Bündnispartner nicht zu vergrämen, betreiben die Amerikaner dort eine peinliche Überanpassung. Amerikanische Soldatinnen müssen, wenn sie sich außerhalb des Militärgeländes bewegen, den schwarzen Ganzkörperschleier, die "abaya" tragen, - weshalb sie jetzt eine Gerichtsklage gegen Verteidigungsminister Rumsfeld eingebracht haben. Zuerst den Saudis Kopf und Kragen retten, unter wesentlicher Mitwirkung weiblicher Militärangehöriger, und sich dann an die mittelalterlichen saudiarabischen Geschlechtervorstellungen anpassen, ist eine opportunistische Herabwürdigung der eigenen Werte, die längerfristig die eigene Position unterminiert.

Für internationale Einsätze ergibt sich aus einer Analyse dieser Fehler als wichtiges Leitprinzip: die eigenen Ziele nicht vergessen, an den eigenen Prinzipien festhalten, sich von der irrealen exotischen Atmosphäre nicht betören lassen, und immer daran denken, wofür man steht.

Die Autorinnen leiten die Ludwig Boltzmann Forschungsstelle für Politik und zwischenmenschliche Beziehungen in Wien und haben kürzlich die Organisation "Frauen ohne Grenzen" gegründet (www.frauenohnegrenzen.org). Ihre aktuelle Buchpublikation: "Die Politik ist ein wildes Tier. Afghanische Frauen kämpfen um ihre Zukunft" Droemer Verlag, München, 2002.

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