Das neue transpazifische Dreieck

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Die Spannungen zwischen Tokio und Peking haben in der vergangenen Zeit besorgniserregend zugenommen. Oberflächlich betrachtet, konzentriert sich der Streitpunkt um die Oberhoheit auf acht kleine unbewohnte Felseninseln im Ostchinesischen Meer -ein Disput, der bereits ein paar Jahrhunderte andauert. Dahinter steckt aber eine alte Feindschaft, die sich u.a. in zwei japanischen Angriffskriegen gegen China, 1894/1895 und 1931 bis 1945, entlud. Kenner der politischen Situation im ostasiatischen Raum vergleichen die derzeitige Situation zusehends mit der in Europa vor hundert Jahren, als die Großmächte der "Alten Welt" schlafwandelnd in den Ersten Weltkrieg taumelten. China wird vorgeworfen, das bestehende Machtverhältnis im Fernen Osten über den Haufen werfen zu wollen. So wird es auch verständlich, wenn Japan mit Besorgnis die Annäherung zwischen Moskau und Peking in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt verfolgt. Und seinerseits im pazifischen Raum um Sympathien und Zusammenarbeit wirbt.

Rahmenabkommen

Im April 2011 wurde in der peruanischen Hauptstadt Lima von den Präsidenten von Chile, Kolumbien, Mexiko und dem Gastgeberland die Pazifik-Allianz aus der Taufe gehoben. Ein Jahr später, Anfang Juni 2012, unterzeichneten die vier Staatschefs ein Rahmenabkommen, das die Einführung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen als eines der Hauptziele des Bündnisses definiert.

"Die Staaten der Pazifik-Allianz stehen Japan ideologisch sehr nahe", erklärte Premier Abe Anfang August in der brasilianischen Wirtschaftsmetropole São Paulo. "Ich betrachte meine Reise nach Lateinamerika als Beginn eines neuen Kapitels in den Beziehungen zwischen Japan un der Region." Und so führte die Reise den japanischen Regierungschef konsequenterweise nach Mexiko, Kolumbien und Chile. Mit Mexiko, Peru und Chile hat Japan bereits ein Freihandelsabkommen abgeschlossen, mit Kolumbien wird derzeit eines ausgearbeitet. Mit Peru verbindet Japan nicht nur die weltanschauliche Nähe, sondern auch die große Zahl japanischer Einwanderer im Andenland.

Wenige Tage vor Abes Lateinamerikareise tourte ein anderer asiatischer Staatschef durch den Subkontinent, der chinesische Präsident Xi Jinping. Ihn zog es allerdings nach Kuba, Venezuela, Brasilien und Argentinien. Abgesehen von der unterschiedlichen politischen Ausrichtung lockt die beiden dasselbe wirtschaftliche Ziel: das große Potential Lateinamerikas als Exportmarkt und als Rohstofflieferant. Chinas Werbemittel zur Marktöffnung ist eine großzügige Kreditvergabe: Präsident Xi kündigte auf seiner Reise Kredite in der Höhe von 25 Milliarden US$ an; Japan wirbt vor allem mit dem hohen technologischen Stand seiner Exportprodukte. In politischer Hinsicht punktet China mehr bei den Mitgliedsländern des ALBA-Bündnisses. So besuchte Xi in Lateinamerika -mit Ausnahme von Brasilien -Mitgliedsstaaten dieser von Venezuelas verstorbenem Präsidenten Chávez gegründeten Linksallianz, während Abe jene Länder besuchte, die bereits Freihandelsabkommen mit den USA, Kanada und der EU geschlossen haben.

Im ALBA-Mitglied Nicaragua plant China ein Großprojekt, das direkten Einfluss auf seine geopolitische Rolle spielen wird: Mit einer Investition von 30 Mrd. US$ soll ab Jahresende durch den Süden Nicaraguas ein interozeanischer Kanal gebaut werden. In den Handelsbilanzen ist derzeit China zweitwichtigster Partner für die Länder der Pazifik-Allianz. Dorthin gehen zwischen 15 und 20 Prozent ihrer Importe, weniger als in die USA, aber mehr als in die EU. Für Chile mit seinen immensen Kupfervorkommen ist China sogar der wichtigste Handelspartner weltweit.

Der ideale Bündnispartner

Für die USA ist die Pazifik-Allianz mit ihrer klaren neoliberalen prowestlichen Ausrichtung ein idealer Bündnispartner in Lateinamerika. Und solche benötigt Washington im ehemaligen Hinterhof dringend, hat sie doch dort durch den Linkstrend im vergangenen Jahrzehnt und durch den Protagonismus von Venezuela unter Chávez stark an Einfluss verloren. Ist ALBA - Abkürzung von Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerika, zugleich auch das spanische Wort für Morgenröte -mit seinen neun Mitgliedsstaaten doch ein dezidiert linkes, anti-imperialistisches Bündnis, das die Vormachtstellung Washingtons und des Westens überhaupt nicht anerkennt und in ihren Mitgliedsländern tiefgreifende soziale und politische Umwälzungen anstrebt.

Auch die CELAC, die "Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten", hat sich zu einer Gefahr für die hegemoniale Position der Vereinigten Staaten entwickelt. Die Gründung dieses Konkurrenzprojektes zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wurde im Dezember 2011 in der venezolanischen Hauptstadt Caracas vollzogen - auch sie ein Kind des damals noch amtierenden Präsidenten Hugo Chávez. Ihm gehören -mit Ausnahme der USA und Kanadas -alle souveränen Staaten des Kontinents an. Das zweite CELAC-Gipfeltreffen wurde heuer im Jänner demonstrativ in -dem immer noch von der OAS ausgeschlossenen -Kuba abgehalten. Neben den Staats-und Regierungschefs der 33 Mitgliedsländer nahm sogar der OAS-Generalsekretär, der Chilene José Insulza, als Beobachter teil, weiters auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und andere ranghohe UN-Vertreter. Die eben wiedergewählte chilenische Präsidentin Michelle Bachelet zeigte sich tief beeindruckt: "Eine so große Präsenz von Regierungsvertretern hat in der Geschichte Lateinamerikas noch nie gegeben". Raúl Castro, Präsident des Gastgeberlandes, skizzierte bei seiner Eröffnungsrede die Ziele des neuen Bündnisses: "Im Rahmen der CE-LAC haben wir die Möglichkeit, ein eigenes und an unsere Verhältnisse angepasstes Modell zu entwickeln, das auf den Prinzipien des Gemeinwohls und der Solidarität beruht." Und Boliviens Evo Morales drückte seine Hoffnung aus, dass irgendwann sich alle CE-LAC-Mitgliedsstaaten "von der neoliberalen Politik lösen und auch antiimperialistisch und antikapitalistisch werden".

Die Neuorientierung der USA

Bei dieser Schwächung der USamerikanischen Position in ihrem einstigen Herrschaftsbereich kommt die Gründung der Pazifik-Allianz für Washington wie gerufen. Die USA haben bereits Beobachterstatus und beabsichtigen einen Beitritt zum Bündnis. Die damalige Außenministerin Hillary Clinton hat bereits 2011 das 21. Jahrhundert zum "pazifischen Jahrhundert der USA" erklärt.

Aus geopolitischer Sicht könnte diese Neuorientierung bedeuten, dass Washington mit der lateinamerikanischen Pazifik-Allianz und Japan ein neues transatlantisches Dreieck aufbaut. Seit Jahren ist im Rahmen der Trans-Pacific Partnership (TPP) ein Freihandelsabkommen zwischen zwölf Staaten in Ausarbeitung, zu denen neben Kanada und den USA auch Australien, Japan, Mexiko, Chile und Peru gehören. Das Abkommen hätte 2013 fertig verhandelt sein sollen, doch wurde der Schlusstermin verschoben. Genauso wie beim TTIP, dem geplanten Abkommen mit der EU, wird auch beim TPP unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Ein heftiger Streitpunkt ist angeblich die profitable und brutale Praxis des Schlachtens von Haifischen, gegen die sich in den USA bereits eine breite Öffentlichkeit gebildet hat, ebenso wie gegen einige umweltschädliche Punkte des Abkommens.

Noch nicht genau definiert ist die Rolle der EU in dem neuen transatlantischen Dreieck. In Deutschland sieht selbst die Adenauer-Stiftung den lateinamerikanischen Integrationsprozess rund um die CELAC mit Interesse. Man könne für die Verfolgung europäischer Positionen auf globaler Ebene diesem Prozess viel abgewinnen, so der konservative Think Tank Ende 2012. Unternehmerkreise aber bezeichnen die Mitglieder der Pazifik-Allianz bereits als "The Pacific Pumas" und träumen von einer strategischen Achse zwischen den USA und Kanada, der Pazifik-Allianz und Japan sowie der EU als von einem gewaltigen kapitalistischen Pakt. Eine Voraussetzung für diesen Zusammenschluss wäre allerdings der Abschluss der Freihandelsabkommen, und hier stehen die Aussichten nicht sehr als günstig für die Vorkämpfer und Nutznießer von TTIP und TPP. Sollte der transatlantische Block doch Wirklichkeit werden, so ließe er sich als Mittel der politischen und ökonomischen "Zähmung" Chinas einsetzen.

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