Das Orakel als Wille und Vorstellung

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In die Zukunft zu schauen ist von alters her eine nicht ungefährliche Betätigung. In altestamentarischen Zeiten, als dieser Beruf noch eine echte Berufung war, nutzte Gott die Propheten, um sein Volk und die Mächtigen zur Umkehr aufzurufen. Doch die Ermahnung zu Reue und Sühne kommt meist nicht besonders gut an, bei Menschen, die gerade dem Baal oder dem Mammon oder beidem huldigen. Die Gefahr war also groß, vor den Stadtmauern zu landen, eingegraben bis zum Hals, verurteilt zum Tod durch Steinigung wegen falscher Prophetie.

Bei so trüben Lebensaussichten ist es auch kein Wunder, dass sich Jona, als er den Auftrag von Gott erhält, sich doch nach Ninive aufzumachen, um dort den Untergang der Stadt anzukündigen, genau in die entgegengesetzte Himmelsrichtung davonmacht, und von Gott erst durch einen Sturm und einen Wal zurückgeholt wird.

Heute ist der Beruf zwar etwas weniger gefährlich, aber einfach ist er trotzdem nicht, wie gerade die letzten Wochen in Österreich gezeigt haben. Wenn das Budget nach den Wahlen nämlich eine weitaus stärkere Schieflage hat als davor, dann wird den Ökonomen im Handumdrehen unterstellt, entweder von der Regierung korrumpiert oder aber ein schlechter Wissenschafter zu sein. Das ist also die klassische Wahl zwischen Pest und Cholera.

Der Blick in die Zukunft

Das Peter Drucker Forum versammelt im Gedenken an den brillanten Managementlehrer und Ökonomen jedes Jahr die Management-Elite aus den USA, Europa, Indien und China in Wien. Dieses Jahr machte sich das Forum Gedanken zum Thema "Komplexität“, also jener Zustand, der eintritt, wenn Systeme nicht mehr überschaubar sind und unsteuerbar erscheinen. Neben vielen anderen Themen wurde da auch die Frage diskutiert, wer für solche unüberschaubaren Zusammenhänge die Zukunft am besten einschätzen oder vorhersagen kann: Peter Gomez, der ehemalige Rektor der Universität St. Gallen, vertritt einen sehr klassischen Ansatz, wie ihn die Welt seit Joseph Schumpeter und Peter Drucker kennt: Der Unternehmer trifft Entscheidungen, ohne zu wissen, ob sich diese als gut herausstellen werden. Gomez: "Gute Manager können ohne Vorhersagen auskommen. Der innovative Unternehmer bestimmt durch sein Handeln selbst die Zukunft.“

Sind Prognosen also unnütz? Stefan Thurner sieht das anders. Thurner arbeitet unter anderem am Santa-Fe-Institute in den USA an Lösungen für komplexe Systeme. Und er beantwortet die Frage, ob er die "Temperatur“ von Märkten messen könne, mit Ja. Konkret heißt das, dass er für die EU-Kommission an einem Programm arbeitet, das die Finanzmärkte beobachtet und "Blasen“ von Überinvestitionen aufgrund verschiedener Parameter als solche in einem Frühstadium erkennen kann.

Aber ist das Zukunftssicht? Klar ist, dass die Prognoseinstrumente, welche die Volkswirtschaft zur Verfügung haben, im Krisenfall nur mangelhaft funktionieren. Seit Ende 2008 ist kaum eine Einjahresprognose in den Staaten der OECD eingetroffen. Die Ehrlichkeit über die eigene Fehlbarkeit ist unter den Ökonomen allerdings gering. Nur Klaus Zimmermann, der Chef des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (IfW) war 2010 bereit, seine Prognose abzusagen. Erstaunliches enthüllte Zimmermann da: "Wir haben in den Konjunkturmodellen Finanzkrisen nicht berücksichtigt.“ Weil sich der Rest der Ökonomen aber nicht an Zimmermanns Ratschlag hält, kommt es zu einer beinahe schon amüsanten Konkurrenz der Schlagzeilen: "Krise in einem halben Jahr vorbei“, verkündete die OECD am 9. Juni 2010.

In Österreich gab das Institut für Wirtschaftsforschung WIFO am gleichen Tag bekannt: "Im Herbst 500.000 Arbeitslose.“ Am 22. Juni legte die Österreichische Nationalbank nach: Das reale BIP werde 2010 um 4,2 Prozent schrumpfen.Kurz gesagt: Gerade im Krisenfall, wenn wir der Wissenschaft und ihrer Prognostik am meisten bedürfen, landen wir in ritualisierten Verfahren, die beliebiges Zahlenmaterial ausspucken.

Ritualisierte Verfahren

Zur Verschleierung dessen gibt es zusätzlich zur Einjahresprognose die Halbjahres- und die Quartalsprognose. Erst letztere stellt sich zumeist als richtig heraus. Aber dann benötigt man sie, um John Maynard Keynes abzuwandeln, ungefähr so dringend wie einen Wetterbericht, der an einem sonnigen Tag verkündet, dass es schön ist.

Was wäre also der beste Umgang mit komplexen Systemen - und zwar nicht nur für den Unternehmer, sondern auch für den Ökonomen oder Politiker? Peter Gomez schlägt eine sehr rationelle Vorgangsweise vor. Der Entscheidungsträger solle nach "pockets of order“, nach Bereichen übersichtlicher Ordnung, suchen, und von dort aus steuernd eingreifen.

Zweitens: Man soll danach trachten, das System so gut wie möglich zu vereinfachen - ohne es dabei aber zu zerstören. Zumindest in einem Punkt ist er sich da mit dem Komplexitätsforscher Thurner einig: Mathematik allein löst das Problem nicht. Thurner meint aber, sie könne helfen, ein Unternehmen bei der Selbstfindung und der Selbstanalyse zu unterstützen, um daraus dann eine Strategie abzuleiten. Dazu zitiert er Sokrates: "Erkenne Dich selbst“.

Dieser Satz schließt auch den Kreis: Nicht zufällig prangen dieselben Worte "Erkenne Dich selbst“ auch über dem Tor des Orakels von Delphi: Dort, wo die Zukunft auf geheimnisvolle Art zumeist zutreffend vorausgesagt wurde.

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