Das Problem wird schlicht negiert

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So werden Probleme nicht gelöst, sondern nur aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt: Mit einem akkordiert wirkenden Wortschwall beantworteten Sozialministerium, Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund vorige Woche jüngste Berechnungen des Institutes für Höhere Studien (IHS) zur dramatischen Entwicklung im Pensionswesen. Und weil in den meisten der Nachrichtenmedien teils noch dramatischere internationale Meldungen die verfügbare Aufmerksamkeit absorbierten, ist von den IHS-Zahlen derzeit kaum eine Rede mehr. Das ist falsch.

Verworfene Berechnung bestätigt

Die Bundesregierung und Teile der Sozialpartner scheinen die Wirklichkeit nicht sehen zu wollen. Bereits im November 2010 hatten die Experten von IHS und Institut für Wirtschaftsforschung ihre Berechnungen vorgelegt. Darin prognostizierten sie einen massiven Anstieg der staatlichen Ausgaben für die Pensionen. Allein, es sollte nicht sein, was nicht sein darf, die Pensionskommission durfte die Zahlen nicht verwenden, keine Schlussfolgerungen ziehen, musste ihre Empfehlungen vertagen. Nun haben die Experten neuerlich gerechnet.

Herausgekommen ist, erraten, das Gleiche. Am Ergebnis habe sich nichts geändert, erklärte der IHS-Experte Ulrich Schuh vor wenigen Tagen. Nach dem "realistischsten Szenario“ würden die Ausgaben der Pensionsversicherung von 2009 bis 2050 von 11,2 auf 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ansteigen, referierte die Austria Presse Agentur. Der Zuschuss des Bundes werde sich von 2,8 auf 6 Prozent des BIP verdoppeln, heißt es in den unlöschbar gespeicherten Meldungen.

Die Gründe für diese Entwicklung vermeint man schon mehrfach gehört zu haben: Pensionsantritt vor dem Anfallsalter trotz steigender Lebenserwartung; höhere Anzahl an Senioren dank bald einsetzender Pensionierung der Baby-Boomer-Generation; zu viele Pensionen aufgrund von Invalidität und von ausreichend langer Versicherungsdauer. Das ist jene Pensionsform, dank der Verwaltungsbeamte im Ruhestand als Hackler gelten. Was Schuh zutreffend charakterisierte: Die Österreicher seien nicht faul, sondern vernünftig, wenn sie Möglichkeiten nützen. Aber dieses kostentreibende System wird mit inakzeptabler Vehemenz verteidigt, indem Zahlen bestritten werden.

Beteuerungen bleiben folgenlos

Die Aussagen empfand der Gewerkschaftsbund als "ärgerlich“, weil die IHS-Behauptungen auf "falschen Zahlen beruhen“. Die Arbeiterkammer warf dem IHS einen "befremdlichen Umgang mit Fakten“ vor. Wegen belebter Konjunktur sei mit höheren Beiträgen zu rechnen, was den Staat entlaste.

Dank dieser politischen Entlastungsoffensive konnte Sozialminister Rudolf Hundstorfer locker bleiben: Mit eingeleiteten Maßnahmen würden Personen länger im Arbeitsleben bleiben, das faktische Pensionsantrittsalter also angehoben werde. Doch das wird, so scheint es, nicht reichen, denn die Politik kündigt mehr an, als sie umzusetzen vermag.

Die Beseitigung von Privilegien, also die Angleichung unterschiedlicher Pensionssysteme, wird seit Jahren gefordert, jüngst erst wieder - ohne Folgen. Die hohe Anzahl an Pensionierungen aus gesundheitlichen Gründen löste vor Jahren in der Sozialpolitik einen Alarm aus - folgenlos, denn an der Misere hat sich nichts geändert. Und für die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen sind weniger die an den Werkbänken verbliebenen Senioren ursächlich als vielmehr Mängel in Bildung und Ausbildung eben dieser Jugendlicher - ein folgenlos bleibender Befund.

Alle Analysen hat man schon mehrfach vernommen. Das Abstreiten von Fakten, das Abwiegeln angesichts von Zahlen leiten die politische Agenda.

Eine Sozialpolitik, die ihre historischen Fehler ebenso leugnet wie demografische Fakten, verliert das Vertrauen - und damit ihre wichtigste Beitragsgrundlage.

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